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Der dritte Anlauf

Lynel Kitambala startet bei Dynamo durch. Obwohl er privat jetzt öfter den Fuß vom Gas nimmt.

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Von Sven Geisler

Seine Augen funkeln. „Einen schönen Tag“, wünscht Lynel Kitambala zum Abschied. Auf Deutsch. Und das ist für ihn selbstverständlich. Ein paar Vokabeln kennt der Franzose mit kongolesischen Wurzeln zwar schon aus der Schule, aber seit er bei Dynamo in Dresden Fußball spielt, lernt er fleißig. „Mit dem Trainer rede ich nur Deutsch“, berichtet er stolz. Und wenn ihm ein Wort fehlt, setzt er das Englische dazwischen. Dass sich die französische Fraktion abkapseln würde, sei jedenfalls Quatsch. „Wir reden und scherzen alle miteinander – egal ob mit Tschechen, Jugoslawen oder den deutschen Spielern.“

Knie und Oberschenkel sind noch getapt, aber Kitambala ist fit für den Neuanfang bei Dynamo.
Knie und Oberschenkel sind noch getapt, aber Kitambala ist fit für den Neuanfang bei Dynamo.

Natürlich habe es ihm geholfen, sich schnell einzugewöhnen, dass sechs Kollegen seine Sprache sprechen. „Es ist sicher schwieriger, wenn du als Ausländer alleine in eine Mannschaft kommst. Dann fühlst du dich einsam, ziehst dich zurück und findest dich nicht zurecht, auch wenn du vielleicht sogar mehr Talent hast als ich“, meint Kitambala. Wobei er in Frankreich als eines der größten Talente gilt und wegen seiner körperbetonten Spielweise mit dem italienischen Stürmerstar Mario Balotelli verglichen wird.

Bis zur U21 gehörte Kitambala zur französischen Nachwuchsauswahl, als 18-Jähriger schoss er sich bei AJ Auxerre mit 21 Toren in 44 Spielen für die zweite Mannschaft ins Profi-Team. Rekordmeister AS St. Etienne zahlte 2,5 Millionen Euro Ablöse, um ihn 2011 vom FC Lorient zu holen. Plötzlich aber geriet der steile Aufstieg ins Stocken. In den 20 meist kurzen Einsätzen für St. Etienne in der Ligue 1 gelang dem Angreifer kein Treffer. Deshalb suchte er eine Veränderung, wobei er am liebsten nach England gewechselt wäre. „Ich hatte eine schöne Zeit in Frankreich. Aber jetzt wollte ich mich nicht nur sportlich weiterentwickeln, sondern auch eine andere Kultur kennenlernen.“ Als er sich für Dynamo entschied, fragten seine Kumpels, wieso er zu einem Zweitligisten geht. Inzwischen kann er ihnen entgegenhalten: „Weil es die stärkste zweite Liga der Welt ist.“

Davon sei er selbst überrascht gewesen, sagt Kitambala, der als Steppke auf den Straßen von Thiverny nahe Paris kickte und von seinem älteren Bruder Gerry mit zum Verein genommen wurde. Sein Wechsel nach Dresden aber schien unter keinem guten Stern zu stehen. Beim Debüt gegen den 1. FC Kaiserslautern holte er sich erst eine dicke Beule und zog sich dann eine Sprunggelenksverletzung zu. Und als er gerade wieder in Tritt gekommen war und mit einem Freistoß-Knaller-Tor in Paderborn seine außergewöhnliche Schussstärke gezeigt hatte, erlitt er in der Partie gegen Bochum einen Innenband-anriss im rechten Knie. „Das ist dumm gelaufen, Pech gehabt.“ Haken dran.

Mit seinem Treffer gegen Sandhausen hat er ein überraschendes wie erfolgreiches Comeback gefeiert. „Das Tor“, erklärt er selbstbewusst, „habe ich mir verdient für die harte Arbeit in der Reha.“ Bei Christian Canestrini. Von Dynamos Fitnesscoach schwärmt er in den höchsten Tönen, obwohl der Österreicher dafür bekannt ist, seine „Patienten“ zu quälen. „Wir hatten auch in St. Etienne einen Fitnesstrainer, aber einen wie Christian habe ich noch nie erlebt. Er arbeitet absolut professionell, hat einen genauen Plan, macht dich auch mental stärker. Das kann man sich kaum vorstellen.“ Deshalb habe er nach gut einer Stunde zwar mit der Luft zu kämpfen gehabt, aber keinerlei muskuläre Beschwerden gespürt.

So startet Kitambala durch, obwohl der Porsche-Fahrer seit einem Vierteljahr vorsichtiger auf das Gaspedal tritt. „Ich habe doch jetzt ein Baby“, sagt er. Und lächelt glücklich. Seit Ende September ist der 24-Jährige Vater und spürt „die neue Verantwortung. Es ist vieles anders als vorher, man denkt mehr über die Zukunft nach.“ Seine Tochter hat er nach der amerikanischen Sängerin Aaliyah benannt, die 2001 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist. „Ich habe sie und ihre Musik bewundert, ihre Lieder leben weiter.“

Die Frage, was die Familie für ihn bedeutet, beantwortet Kitambala mit einem ungläubigen Blick – und einem Wort: „Alles!“ Deshalb war es für ihn wichtig, dass seine Frau Naima ihm nach Dresden folgt. Was er hier von Frankreich vermisst? „Gar nichts, wir fühlen uns wohl“, antwortet Papa Kita. „Ich habe mich schnell an das Leben hier gewöhnt, es ist geordneter, einfacher. Hier kann man sich etwas aufbauen.“

Doch seine Zukunft hängt davon ab, ob Dynamo den Klassenerhalt schafft. Wovon er überzeugt ist. „Wir bleiben drin! Wenn ich das Potenzial sehe, was in dieser Mannschaft steckt und wie viele Spiele wir in der Hinrunde aus der Hand gegeben haben wie nach der 2:0-Führung bei St. Pauli kann ich über unsere Situation nur den Kopf schütteln.“ Die Moral in der Truppe sei entscheidend, damit „wir nachholen, was wir verpasst haben“.

Weil die Lage jedoch nach wie vor kritisch ist, mache er sich keine Gedanken, ob er bleibt oder nach St. Etienne zurückkehrt, wo er noch einen Vertrag bis 2015 hat. „Ganz ehrlich, daran denke ich nicht. Wenn Dynamo auf Platz sechs, sieben oder acht stehen würde, könnte ich vielleicht eine Prognose abgeben, aber so müssen wir uns nur darauf konzentrieren, da unten rauszukommen.“ Sportchef Steffen Menze legt sich nicht fest, lässt aber eine Tendenz erkennen: „Jetzt ist erst einmal wichtig, dass der Junge zum Spielen kommt und zeigen kann, was er draufhat. Man sieht, dass er Qualitäten hat, aber wir warten ein paar Wochen ab, ob er seine Leistung konstant bringt.“ Eine mehr als mittlere sechsstellige Summe müsste die SGD aufbringen, um die Kaufoption für den Franzosen mit kongolesischen Wurzeln einzulösen.

Apropos Kongo. In der Heimat seiner Eltern war Lynel Kitambala noch nie. „Vielleicht kriege ich mal eine Einladung“, sagt er grinsend – und meint: zur Nationalmannschaft. Dann würde er sofort Ja sagen, obwohl er auch für Frankreich spielen dürfte. „Es wäre natürlich etwas Besonderes, für das Land meines Vaters aufzulaufen.“ Schließlich war der auch Fußballer, wenngleich nicht ganz so begabt wie der Sohn. Aber über ferne Ziele mag sich Kitambala nicht den Kopf zerbrechen. „Ich will in erster Linie glücklich sein, sportlich wie privat. Wenn der Tag der Träume kommt, bin ich bereit, ihn festzuhalten und zu leben.“ Vielleicht werde er später mal etwas mit Musik machen, ähnlich wie David Guetta, ein Star-DJ in Frankreich. Im Moment aber bleibt für das Hobby keine Zeit. Er setzt alles auf seinen dritten Anlauf bei Dynamo.