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Der Daten-Tüftler

Paul Balzer hat einmal Fahrzeugtechnik studiert. Jetzt erforscht er, wie Städte autofrei werden können.

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© Thomas Schlorke

Von Eva Weber

Paul Balzer schwärmt von Daten. Wenn er darüber spricht, klingt das nach einem wertvollen Schatz, den es nur noch zu heben gilt. Und so sieht er es auch.

Die Leidenschaft des 32-jährigen Dresdners ist die Visualisierung dieser Daten, also das Sichtbarmachen von Fakten, die sich hinter Zahlen verstecken. ÖPNV-Fahrzeit-Heatmap, so nennt er seine neueste Idee. Das Prinzip einer Heatmap funktioniert wie ein Wärmebild, die Skala der Temperaturen – oder eben anderer Daten – wird nach Farben geordnet. Was sich hinter dem sperrigen Namen von Paul Balzers Heatmap verbirgt: Die Karte erleichtert das Leben, indem sie verrät, wie viel Zeit man mit Bus und Bahn von A nach B braucht.

Doch wozu ist das gut? „Zum Beispiel für die Suche nach dem am besten angebundenen Hotel in einer Stadt“, sagt Paul Balzer. „Oder nach dem Baugrundstück, von dem aus man am wenigsten Zeit zur Arbeit braucht.“ Letzten Endes, fährt er fort, seien solche Karten dafür da, unsere Städte zu verändern. „Städte sind für Menschen da – nicht für Autos.“

Die Zeit zurückgewinnen

Es ist erstaunlich, dass diese Sätze ein studierter Fahrzeugtechniker spricht, der zurzeit zur Fahrzeugumfeldsensorik promoviert. „Ich fahre sehr gerne mit dem Auto. Aber das kostet, und zwar vor allem im täglichen Berufsverkehr, Zeit.“ Die möchte er zurückerobern, für sich und für andere.

Als Paul Balzer vor einigen Jahren zum Studium von Cottbus nach Dresden zog, kaufte er sich eine Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel und war bald enttäuscht. „Das könnte alles besser sein“, dachte er sich, als er nach einem Besuch bei Freunden nachts irgendwo im Verkehrsnetz-Nirgendwo gestrandet ist. Der Gedanke bleibt jedoch nur kurz – bis er 2013 plötzlich zurückkehrt. In dem Jahr erscheint der sogenannte Prognos Zukunftsatlas, der regelmäßig die Zukunftschancen aller Städte und Kreise in Deutschland analysiert und vergleicht. Darin steht schwarz auf weiß: In Sachen Innovation liegt Balzers Heimatstadt Cottbus deutschlandweit auf Platz 402 – von 402 teilnehmenden Städten. „Ganz ehrlich: Da war ich irgendwie in meinem Stolz gekränkt“, erinnert sich der 32-Jährige heute. Damals nahm er sich vor, diese Nuss zu knacken. Und die Nuss heißt: mehr Innovation für Cottbus.

Gerade hat sich der Vater einer Tocher die Programmiersprache Python beigebracht, und er ist „heiß darauf, sie auszuprobieren“. Die Inspiration kommt, als er im Internet ein Video über Singapur sieht – und begeistert davon ist, wie dort Daten visualisiert werden, beispielsweise über freie Taxen. Was wäre, wenn man das mit den Daten von Bus und Bahn machen würde? Balzer recherchiert. Und siehe da: Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg hat seit 2013 seine Daten maschinenlesbar freigegeben. Paul Balzers Ehrgeiz ist geweckt.

Tagelang sitzt er neben seiner Freundin auf dem Sofa und programmiert. „Als es endlich geklappt hat, war das Freude pur.“ An seinen Feierabenden hat der Fahrzeugtechniker so mal eben eine Heatmap für Cottbus entworfen. Die zeigt auf einen Blick, wie gut oder schlecht jeder Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Je blauer, desto kürzer ist die Reise; je roter, desto länger.

Er probiert dasselbe für andere Städte aus und stellt fest: Im Hinblick auf die Erreichbarkeit verschiedener Regionen kommt es nicht auf die Größe einer Stadt an, sondern ausschließlich auf die Qualität des Verkehrsnetzes. Für Dresden und Umgebung fällt etwa sofort auf: Von Heidenau oder Freital aus ist man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln genauso schnell im Dresdner Stadtzentrum wie von so manchem nähergelegenen Stadtteil aus.

Nächstes Projekt: Gießcomputer

Bei seiner Entwicklung geht es Paul Balzer nicht um Geld, sondern um seine Vision: dass Städte endlich autofreie Zonen werden, und dass seine Idee dafür einen wichtigen Grundstein legt. Momentan allerdings wartet er. Wenn in den kommenden Jahren in Sachsen Fahrplandaten freigegeben werden, will er in Dresden den nächsten Versuch starten, Menschen von seiner Idee zu überzeugen. Und davon, dass diese Idee in ihrem Sinn ist und dem heiß diskutierten Datenschutz nicht entgegensteht.

Denn: Bei „Open Data“ – und damit arbeitet Balzers Idee – geht es ausschließlich um Daten, die ohnehin schon öffentlich sind, wie etwa die Fahrzeiten für Bus und Bahn. „Die hängen an jeder Haltestelle aus. Mir geht es nur darum, sie auch maschinenlesbar zu machen, damit ein Computerprogramm damit umgehen kann“, sagt er. „Offene Daten schaffen neue Dienstleistungen und neue Märkte.“

Bis es so weit ist, widmet er sich dem Gießcomputer in seinem Striesener Schrebergarten. Er will ihn mit dem Online-Wetterbericht verbinden, damit er nur noch gießt, wenn es auch wirklich nötig ist. Paul Balzer strahlt. Daten, die das Leben vereinfachen, kann er nur gut finden.