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Der Coole von der Schule

Tony Krüger hilft Grundschülern in Prohlis, den Anschluss zu halten. Dafür ist mehr als das kleine Einmaleins gefragt.

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© Christian Juppe

Von Henry Berndt

Müde wie ein Hund, also hundemüde. Weich wie Butter, also butterweich. Deutschstunde in der Klasse 4c der 122. Grundschule „Am Palitzschhof“ in Prohlis. Heute sind zusammengesetzte Adjektive dran. Ganz vorn links in der Reihe hört jemand zu, der seinen Sitznachbarn um anderthalb Köpfe überragt. Es ist Tony Krüger, 26. Sein Job: Inklusionsassistent.

Nun könnte man sich beim Wort „Inklusionsassistent“ eher in einer Zahnarztpraxis wähnen als in einer Schule, aber hinter so manchem spröden Begriff steht eine fantastische Sache: Inklusion heißt Zugehörigkeit, steht also für das Gegenteil von Ausgrenzung. In einer inklusiven Klasse bilden alle Schüler ein Ganzes, wie unterschiedlich sie auch sein mögen. Realistisch ist solch ein Zustand leider nicht, gerade hier in einem sozialen Brennpunkt wie Prohlis, wo die Bandbreite der Leistungsfähigkeit größer kaum sein könnte.

Seit vergangenem August ist es Tony Krügers Aufgabe, die schwächsten Glieder dieser Kette zu unterstützen. Neben ihm in der ersten Reihe sitzt Enrico. Er hat schon mal die Klasse gewechselt, nachdem er nicht mit seinen Mitschülern klarkam. Auch jetzt ist er häufig noch unkontrollierbar. Manchmal stellt er sich im Unterricht einfach auf den Tisch. Heute hat er einen guten Tag. Mit ein bisschen Hilfe von Tony Krüger hat er als einer der Ersten alle Adjektive den richtigen Substantiven zugeordnet und kann sie in sein Arbeitsheft kleben. Jetzt begehren auch andere die Tipps des 26-Jährigen. „Herr Krüger, ich habe ‚scharf wie ein Messer‘ gefunden“, ruft ein Mädchen. Herr Krüger hier, Herr Krüger da. Und Herr Krüger hilft gern. Nach seiner dreijährigen Ausbildung zum Erzieher ging der gebürtige Dresdner 2012 zunächst in einen Kindergarten nach Berlin, wurde dort aber nicht glücklich. Zurück in der Heimat, heuerte er kurzzeitig in einer Krippe an, bewarb sich dann aber schnell und erfolgreich auf die neue Stelle als Inklusionsassistent.

Holpriger Start

Damit ist er ein echter Pionier, denn das Projekt, das komplett vom Europäischen Sozialfonds bezahlt wird, gibt es erst seit August 2016. In ganz Sachsen nehmen derzeit 173 Schulen teil, darunter auch Oberschulen und Gymnasien. Der größte Unterschied zu bisherigen Programmen mit Schulbegleitern: Inklusionsassistenten betreuen nicht nur Schüler mit Integrationsstatus, sondern theoretisch jeden, bei dem Förderbedarf erkannt wird. Dafür müssen sie keine Erzieherausbildung haben, sondern können genauso Sozialpädagogen oder Ergotherapeuten sein. In der Regel werden für sie etwa zehn Schüler einer Schule ausgewählt, so wie in der Grundschule „Am Palitzschhof“.

Noch wird hier ein bisschen improvisiert. Seinen Schreibtisch hat Tony Krüger in einem Klassenzimmer, in dem gerade das neue Computerkabinett eingerichtet wird. Wohin er danach umziehen wird, weiß er noch nicht. Überhaupt startete sein Einsatz im Sommer ein wenig holprig. So richtig wussten in den ersten Wochen weder er noch die Lehrer, was ein Inklusionsassistent eigentlich tun sollte. Die nötige Weiterbildung bekam er erst im Oktober und November. Seitdem hat sich die Sache merklich eingeruckelt. Tony Krüger ist angekommen bei den Lehrern, den Eltern – und vor allem bei den Schülern. In ihm finden sie einen Ansprechpartner und eine Vertrauensperson, mit der sie ihre Sorgen teilen können, dem sie aber genauso das neuste Weihnachtsgeschenk präsentieren können. Gerade steht Krüger auf dem Gang und hält sich einen Stimmenverzerrer von Star Wars vors Gesicht. Der Coole von der Schule ist angesagt.

„Ich bin hier einer von den Guten“, sagt Krüger und lacht. „Ich gebe keine Noten und keine Tadel. Wer auf mich zukommt, der macht das freiwillig.“ Er hat einen anderen Fokus als die Lehrer, versprüht keinen Leistungsdruck. Das macht die Motivation natürlich leichter, wenn gerade mal wieder ein Kind mit null Bock seine Zeit absitzt oder gleich gar nicht im Klassenraum auftaucht. „Vielen der Schüler fehlt vor allem eine feste Bindungsperson“, sagt Krüger. Die versucht er, im Rahmen seiner Möglichkeiten, zu ersetzen.

Tonys Stundenplan

Krüger hat einen Stundenplan wie die Schüler und weiß, wo er sich am besten hinsetzen sollte. Im Unterricht hilft er bei besonders kniffligen Aufgaben, in den Pausen mischt er sich unter die Gruppen und ins Winterlager fährt er als Betreuer mit. Nur unterrichten ist tabu. Allerdings nehmen das bislang nicht alle Schulen so genau. „Wir haben einige Fälle, in denen Inklusionsassistenten für so ziemlich alle anfallenden Aufgaben genutzt werden“, sagt Diana Welsch, die das Programm für die Fortbildungsakademie der Wirtschaft betreut. „In diesen Fällen schreiten wir ein. Hier gibt es solche Probleme aber nicht.“

Auch Schulleiter Karsten Reisinger weiß, wie er die neue Hilfe am effektivsten einsetzen kann. „Wir sind froh, dass wir den Tony Krüger haben, der sich hier unwahrscheinlich reinhängt“, sagt er. Schon nach den wenigen Monaten sei er ein festes Mitglied des Kollegiums geworden. Doch bei aller Euphorie: Die Unterstützung ist für Reisinger „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Gerade in Prohlis sei der Bedarf an zusätzlichem Personal in den Schulen noch immer riesig.

Das Projekt „Inklusionsassistent“ ist zunächst auf fünf Jahre befristet. Natürlich hoffen aber alle Beteiligten, dass hier etwas Langfristiges aufgebaut werden kann. Schon zum nächsten Schuljahr sollen weitere Schulen hinzukommen, sagt Koordinatorin Diana Welsch. Sicher ist, die Schüler der Grundschule „Am Palitzschhof“ werden ihren Herrn Krüger nicht mehr so einfach hergeben. Immerhin ist er doch einer von den Guten.