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Der Bodenständige

Konrad Schwäbe wollte Flugzeugbauer werden. Damit wurde es nichts. Doch abgehoben ist er auch so nicht.

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© G. Schlechte

Von Jürgen Müller

Lommatzsch. Konrad Schwäbe steht vor dem Lommatzscher Terence-Hill-Freibad. Das Tor ist verschlossen, die Anlagen verfallen. Seit mehr als fünf Jahren ist das Bad dicht. Dabei gehörte es einst zu den Projekten, auf die Schwäbe und seine Mitstreiter immer sehr stolz waren, die in den 90er Jahren die Sanierung beschlossen. „Das war damals eine richtige Entscheidung. Das Bad entsprach nicht den jetzt geltenden Vorschriften. Es gab nur zwei Möglichkeiten: sanieren oder schließen“, sagt er. „Wir wollten den Leuten etwas bieten, schließlich gab es Fördermittel“.

Doch die Stadträte seien auch gewarnt worden. „Lasst das mit dem Bad sein, das fällt auch auf die Füße“, hatte schon 1991 der Bürgermeister aus der Partnergemeinde Weissach im Tal gewarnt. Nun ist es auf die Füße gefallen. Konrad Schwäbe hat die Größe, einmal getroffene Entscheidungen zu überdenken und zu ändern, wenn das notwendig ist. Und so stimmte er für die Schließung des Bades, als das Becken kaputt war. „Man hatte uns damals versprochen, dass das Becken 20 bis 25 Jahre hält. Dann war es nach zehn Jahren kaputt“, sagt er. In Anspruch genommen werden konnte die Firma nicht mehr. Die war längst pleite.

Nach 27 Jahren hat sich Konrad Schwäbe jetzt aus dem Stadtrat verabschiedet. Auf Vorschlag der Bürgermeisterin wurde er bei dieser Gelegenheit zum Ehrenbürger ernannt. Man schätzt sich gegenseitig. Mit Schwäbe verabschiedete sich der dienstälteste Stadtrat. Seit 1990 saß er ununterbrochen in dem Gremium, wurde sechsmal gewählt, war auch stellvertretender Bürgermeister. Dass er eineinhalb Jahre vor Ende der Legislaturperiode ausschied, hat persönliche Gründe. Er möchte sich um seine Frau kümmern, die erkrankte und mit der er regelmäßig zu Ärzten muss. „Ich habe das nicht von ihm gefordert. Doch er hatte den Kopf nicht mehr frei“, sagt die 72-jährige Melita Schwäbe, die aus Schlesien stammt und Kindergärtnerin in Lommatzsch war.

Er wollte unabhängig sein

Konrad Schwäbe saß zwar für die CDU im Stadtrat, gehörte der Partei aber nie an. „Ich wollte unabhängig sein und frei entscheiden“ begründet er. Schon zu DDR-Zeiten widerstand er den Anwerbeversuchen der SED. Nach der Wende sprach ihn der spätere CDU-Bürgermeister Klaus-Dietrich Hirsch an, ob er nicht auf der Liste der CDU als Stadtrat antreten will. „Hätte mich Manfred Elschner angesprochen, wäre ich wohl auf der Liste der FDP gelandet“, sagt Konrad Schwäbe.

Geboren in Trogen im Kriegsjahr 1941 ist Konrad Schwäbe als eines von sieben Kindern einer Bauernfamilie aufgewachsen. Schon damals fühlte er sich zur Natur hingezogen. „Ich sammelte Schmetterlinge, habe so manchen Vogel, der aus dem Nest gefallen war, aufgepäppelt“, erinnert er sich. Er will Förster werden, doch dann entdeckt er eine neue Leidenschaft. Flugzeugbauer soll es jetzt sein. Er beginnt ein Studium an der TU Dresden. Als das in der DDR entwickelte und in Dresden gebaute Passagierflugzeug 152 abstürzt, wird wenig später der Flugzeugbau in der DDR eingestellt. Konrad Schwäbe sattelt um, studiert Maschinenbau, schließt das Studium als Diplom-Ingenieur ab. Und kümmert sich selbst um eine Arbeit im damaligen Dämpferbau in Lommatzsch. Der Firma bleibt er treu bis zur Insolvenz 2003. Er ist bodenständig, will in der Region bleiben.

Dennoch stellt er mit seiner Familie 1973 einen Ausreiseantrag. Doch wirklich weg aus der DDR will er nicht. „Wir hatten im Westen weder Verwandte noch Bekannte. Ich hätte dort keine Chance gehabt“, sagt er. Der Ausreiseantrag ist ein Druckmittel. Die Schwäbes haben zwar ein großes Haus in Lommatzsch gekauft, dürfen aber nicht frei darüber verfügen. Sie müssen vermieten, wohnen selbst nur in einer winzigen Wohnung.

Er wird in die SED-Bezirksleitung vorgeladen. Dort macht man ihm klar, dass sein Antrag abgelehnt wird. Und es hat weitere Konsequenzen. Während er zuvor zu Tagungen ins Ausland wie nach Ungarn und Bulgarien fahren darf, ist es damit vorbei. Über den Ausreiseantrag spricht keiner mehr. „Wir wollten es nicht auf die Spitze treiben, wussten doch von anderen, die deswegen ins Gefängnis mussten oder denen man die Kinder wegnahm. So weit wollten wir es nicht kommen lassen“, sagt er. Das Wohnjungsproblem löst sich erst 1981. Da stirbt eine Mieterin, die Schwäbes dürfen jetzt den Dachboden ausbauen und für sich nutzen.

Das Beste, was passieren konnte

Die politische Wende 1989 verbindet er mit großen Hoffnungen. „Für Lommatzsch war es das Beste, was passieren konnte. Sonst würde es heute wohl auf allen Straßen so aussehen, wie jetzt vor unserer Haustür“, sagt er und lacht. Die Zöthainer Straße ist tatsächlich in einem schlechten Zustand. Schwäbe hätte sich als Stadtrat einsetzen können, dass sie saniert wird. Doch er macht es nicht, nutzt seine Funktion nicht für persönliche Vorteile.

Auch die Schattenseiten der neuen Gesellschaft muss er kennenlernen. 2003 wird er arbeitslos, dass erste Mal in seinem Leben. Doch es trifft ihn nicht so hart wie andere. Nach 32 Monaten kann er nahtlos in den Ruhestand wechseln.

Die einzige Tochter Conny ist im Westen, lebt und arbeitet seit einigen Jahren in einer Bank in Frankfurt am Main. Gern wäre sie hiergeblieben, die Wohnung im Haus war schon ausgebaut. Doch sie fand einfach keinen Job. „Spätestens die dritte Frage im Bewerbungsgespräch drehte sich darum, ob sie Kinder haben wollte“, sagt Konrad Schwäbe. Und dann war das Gespräch gelaufen. Jetzt hat die Tochter beides, Job und zwei Kinder. Ihre neun und 13 Jahre alten Enkel sehen die Schwäbes zwar relativ selten, wenn, dann aber meist lange. Oft bleiben sie die gesamten Ferien in Lommatzsch. Platz haben sie ja jetzt genug, neben dem großen Haus auch einen 2 500 Quadratmeter großen Garten.

Konrad Schwäbe wird im Stadtrat fehlen. Er spielte sich nie in den Vordergrund, war stets sachlich und um Ausgleich bemüht, war der Vermittler. Er schließt nicht aus, dass er künftig bei Ratssitzungen auf den Gästeplätzen Platz nehmen wird. „Es fällt mir schon schwer, am Rathaus vorbei- und nicht hineinzugehen“, sagt er. Doch erstmal will er sich um seine Frau kümmern, hofft, dass sie wieder ganz gesund wird. Schließlich wollen die beiden im kommenden Jahr goldene Hochzeit feiern.