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Der blinde Masseur von Großenhain

Stefan Knoblich ist seit seinem zehnten Lebensjahr blind. Seine Hände sind sein Kapital. Das wissen Patienten der Reha-Klinik zu schätzen.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Jörg Richter

Großenhain. Es gibt Frauen, die sich nicht von einem fremden Mann massieren lassen wollen. Stefan Knoblich akzeptiert das. Dabei kann der 31-Jährige ihnen ohnehin nichts abgucken. Denn der Masseur, der seit Juni 2013 in der Reha-Klinik Großenhain arbeitet, ist fast vollständig blind. „Ich kann zwar Umrisse erkennen, aber keine Details“, sagt er. „Ich könnte also nicht sagen, ob eine Frau schön ist oder nicht.“ Das bleibt seinen Augen verborgen.

Heidelberger Spezialärzte bescheinigten ihm eine Restsehschärfe von 0,02. Da war er gerade mal zehn Jahre alt. Bis dahin war er ein ganz normaler Junge. Er wuchs in Treuen im Vogtland auf und ging dort in eine normale Grundschule. Nach den Hausaufgaben war er bis abends draußen mit seinem Bruder unterwegs, um zu spielen. Und natürlich hat er als Junge auch Blödsinn gemacht. Bis dahin war seine Kindheit fröhlich. Doch das änderte sich. Schleichend und heimtückisch.

„Ich schrieb in der Schule immer mehr Kauderwelsch“, erzählt Stefan Knoblich. Das bemerkten zwar die Lehrer, taten es aber als Unsinn ab. Im Januar 1996, kurz nach seinem zehnten Geburtstag, häuften sich bei ihm Kopfschmerzen und Nasebluten. Da ahnten die Eltern, dass bei ihrem Sohn etwas nicht stimmte. Sie gingen mit ihm zu mehreren Ärzten, sogar zu einem Neurologen. Doch die Mediziner fanden lange nichts heraus.

Tumor im Kopf entdeckt

„Die Kopfschmerzen wurden immer extremer“, erinnert sich Knoblich. „Ich konnte kaum noch dem Unterricht folgen.“ Nur abends sei er etwas zur Ruhe gekommen. Doch am nächsten Tag fingen die Kopfschmerzen erneut an. Dann kam auch noch eine rechtsseitige Gesichtslähmung dazu. Schließlich entdeckten Ärzte des Zwickauer Krankenhauses bei dem Zehnjährigen einen Tumor. „Er war gutartig, aber er hat trotzdem seinen Schaden hinterlassen“, erzählt Knoblich.

Er wurde sofort in die Uniklinik Leipzig transportiert, wo dem Jungen etwas Gehirnwasser abgeleitet wurde, um ihm den Druck aus dem Kopf zu nehmen. Das war im Mai 1996. Da hatte der Tumor schon zu sehr auf den Sehnerv gedrückt. Am 13. Juli entfernten die Leipziger Ärzte in einer zwölfstündigen Operation den Tumor. Die Narben am Kopf sind heute noch deutlich zu sehen.

Ein paar Wochen zuvor machte sich die zunehmende Sehschwäche bemerkbar. „Wir saßen im Garten, und da hab ich nach einem Glas gegriffen“, erinnert sich Knoblich. Aber er hatte Schwierigkeiten, die Entfernung richtig einzuschätzen und griff daneben. – Heute sind seine Hände, das Wichtigste , was er besitzt. Sein Kapital.

Ab der fünften Klasse musste er auf die Blindenschule Chemnitz, um vor allem Blindenschrift zu lernen. Nach der Schule begann er in Chemnitz auch seine zweijährige Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister. „Das hat mit einem Bademeister am Beckenrand wenig zu tun“, sagt Knoblich lächelnd. Er wurde vor allem darin geschult, wie man Saunaaufgüsse zubereitet oder Kneipp-Therapien durchführt. Doch seine Hauptaufgabe ist das Massieren. „Manche Patienten sagen, ich hätte goldene Finger“, sagt der 31-Jährige, der auch schon in einem Vier-Sterne-Hotel gearbeitet hat. Doch an diese Zeit erinnert er sich recht ungern. Sein damaliger Chef präsentierte ihn überall als Vorzeige-Blinden und machte damit für sein Hotel Werbung. „Doch es störte mich, dass ich kaum Kunden hatte“, erzählt Stefan Knoblich. Das sei in der Reha-Klinik Großenhain ganz anders. Hier wird er gebraucht. Aller halbe Stunde hat er einen Patienten vor sich und massiert ihn. Meistens im Sitzen. Denn oft sind es Menschen im Rollstuhl, die einen Schlaganfall erlitten haben. Dann heißt es für ihn vor allem, Schulter und Nacken massieren. Mit der manuellen Lymph-Drainage knetet er Schwellungen aus Armen und Beinen weg. Für viele seiner Patienten ist der blinde Masseur von Großenhain ein Engel.

Für Stefan Knoblich ist die Arbeit in der Reha-Klinik das Beste, was ihm passieren konnte. Auch er wenn oft seine Familie im Vogtland besucht, hat er doch in Großenhain sein neues Zuhause mit tollen Kollegen und Freunden gefunden. Seit letztem Jahr ist auch im hiesigen Blinden- und Sehbehindertenverband aktiv.