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Der Barbier von Meißen

Ein junger Iraker entpuppt sich mit einem Talent als Glücksfall für eine Meißner Friseurin. Ob er bleiben darf, ist ungewiss.

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© Claudia Hübschmann

Von Marcus Herrmann

Meißen. Vorsichtig, fast schon bedächtig führt Omar Al Hatab die Schere zum Kopf seines Kunden, fragt nach, wie dieser sich seinen Haarschnitt wünscht. Bei Bedarf greift der 24-Jährige auch gerne zur Rasierklinge – nicht für die Haare auf dem Kopf, sondern für die im Gesicht. Mit scharfer Klinge fährt er dann geschickt über die Haut, nachdem der Rasierschaum richtig eingezogen ist und die Barthaare weich genug für die perfekte Rasur sind. Nach einer warmen Kompresse, einer Desinfektion und einem Aftershave ist Mann fertig. Immer mehr gönnen sich diesen Service. „Ich mache auch Augenbrauen. Mit einem Faden“, sagt Omar in gebrochenem Deutsch. Verstehen könne er fast alles, die Sprache lernt er seit Monaten in Deutschkursen.

Dass Al Hatab die aus dem Orient stammenden, klassischen Methoden des Haarentfernens beherrscht, ist kein Zufall. „Ich hatte im Irak zwei Salons, habe dort Polizisten und Mitarbeiter der Armee frisiert“, sagt Omar Al Hatab. Der Muslim hätte damit auch gerne weiter gemacht. Doch seit 2014 wurde seine Heimatstadt Mossul von Gräueltaten der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) heimgesucht.

25 Tage an Stuhl gefesselt

Noch heute gilt die Metropole als Hochburg des IS, ist wegen seiner Lage schon seit Langem Streitpunkt zwischen Kurden und der irakischen Zentralregierung. Im Sommer 2014, sagt Omar, verliert er einen seiner Salons an die Bomben des IS, den anderen okkupieren die Fanatiker. „Sie haben gesagt, dass meine Arbeit nicht gewollt ist, nicht zu ihren Überzeugungen passe.“

Dass unter Al Hatabs Kunden auch Staatsdiener sind, macht die Sache noch schlimmer. 25 Tage sei er an einen Stuhl gefesselt worden, habe einmal in 24 Stunden ein Glas Wasser und eine Scheibe Brot bekommen. Erst nachdem er zusagte, die Flucht in Richtung Türkei zu ergreifen, lassen ihn die Kämpfer aus ihren Fängen. Doch Al Hatab flieht nicht wie zwei seiner Brüder in die Türkei, sondern bahnt sich seinen Weg in Richtung Deutschland.

Zuerst mit dem Schiff nach Griechenland, dann zu Fuß nach Mazedonien, schließlich mit dem Zug nach Serbien. „In einem Auto bin ich dann bis nach Wien mitgefahren, dann nach Berlin geflogen“, so der Iraker. Im August 2015 kommt er nach Aufenthalten in der Bundeshauptstadt und der Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz schließlich nach Meißen. Seine Eltern muss er im Irak zurücklassen. Seit eineinhalb Jahren hat er sie nicht mehr gesprochen, weiß nicht, wie es ihnen geht.

„Trotzdem möchte ich nach vorne blicken, hier arbeiten, denn es macht mir Spaß“, so Omar Al Hatab. Hier – das ist das Haarstudio „Abschnitt 5“ auf der Leipziger Straße. Es gehört der 34-jährigen Karola Wutzler. Nach dem Hochwasser 2013 hatte sie ihren Salon im darauffolgenden Jahr neu eröffnet. Dass Omar über eine Einstiegsqualifikation (EQ) seit August für sie arbeitet, bezeichnet sie als „absoluter Hauptgewinn“. Derzeit bezahle sie ihren Azubi im Rahmen der EQ selbst, bekomme einen Teil des Geldes vom Arbeitsamt zurück.

Mit Omars Fähigkeiten, gerade in der Bartpflege, habe er sich schon einen recht großen Kundenstamm erarbeitet. „Einen Barbier gab es meines Wissens in Meißen noch nicht. Wir haben jetzt einen“, freut sich Wutzler.

Über eine Kundin, die eine Betreuerin für Geflüchtete in Meißen kannte, sei der Kontakt zu Omar zustande gekommen. Damals wie heute wohnte er mit sechs Mitbewohnern in einer Wohnung an der Rosa-Luxemburg-Straße. Außer Deutsch lernen, konnte er nicht viel unternehmen. Bis jetzt. „Bei uns hat er nun vier- bis fünfmal in der Woche eine echte Aufgabe, kann sein Talent einbringen“, so die Chefin.

Das bringt dem Geschäft einiges – denn obwohl die Bartpflege noch immer Teil der Friseurausbildung ist, bieten nur wenige Friseure außerhalb großer Städte die Dienstleistung an. Zwar habe Omars Schneide-Stil zu Beginn noch sehr arabisch angemutet. Aber er lerne sehr schnell, was die vorwiegend deutschen Kunden erwarten. Wie es mit dem freundlich-zuvorkommenden Jungen weitergeht, ist allerdings noch nicht klar. „Er könnte theoretisch ungelernt bei uns weiterarbeiten, solange er eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Besser für ihn wäre sicherlich, einen Ausbildungsschein und einen Gesellenbrief zu erlangen“, erzählt Wutzler.

Um aber die nicht immer einfachen theoretischen Inhalte während der Ausbildung zum Friseur richtig zu verstehen, müsse er erst noch länger deutsch lernen. „Ich bin in intensiven Gesprächen mit der Handwerkskammer, wie wir Omar den Weg zum Schein erleichtern können“, sagt die Friseurin. Das Wichtigste sei, dass er endgültig in Deutschland anerkannt werde. Zurzeit läuft seine Aufenthaltsgenehmigung nur ein halbes Jahr. Danach werde lediglich wieder um den gleichen Zeitraum verlängert.

Seit 16 Monaten wartet Omar auf einen deutschen Pass. „Ich will gerne bleiben. Mir gefällt es in Meißen“, sagt er. Ob es dazu kommt und er sich weiter um Haare und Bärte kümmern darf, ist ungewiss. Die Zustände in seiner umkämpften Heimatstadt und sein persönliches Engagement scheinen einen Verbleib in Meißen zumindest wahrscheinlicher zu machen.