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Der Babyretter aus Frankfurt

Heinrich Nestlé wurde vor 200 Jahren geboren. Er legte den Grundstein für den heute größten Nahrungsmittelkonzern der Welt.

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Von Rolf Obertreis

Das Neugeborene kam zu früh auf die Welt. Rund einen Monat. Es lehnte die Muttermilch ab. Nahm auch nichts anderes an. Das Menschlein war viel zu schwach zum Leben. Bis Heinrich Nestlé kam und den „kleinen Wanner“ mit einem speziellen Kindernahrungsmittel wieder aufpäppelte. Das Frühchen überlebte. Das zumindest schreibt die Nestlé-Geschichte. Mit der Babyrettung, die in Zeiten großer Säuglingssterblichkeit wie ein Lauffeuer die Runde machte, war Nestlés Erfolg ausgemacht.

Der weltgrößte Nahrungsmittel-Konzern sitzt am Genfer See in der Schweiz. Nestlé ist ein eidgenössischer Konzern. Dass der Gründer des Unternehmens allerdings ein Deutscher war und vor 200 Jahren am 10. August 1814 in der Frankfurter Töngesgasse 33 geboren wurde, ist selbst vielen der weltweit 333 000 Mitarbeitern des Konzerns nicht bewusst. „Heinrich Nestlé war neben Goethe und Schopenhauer einer der berühmtesten Söhne Frankfurts. Er war kein Schweizer“, betont Gerhard Berssenbrügge, der Vorstandschef von Nestlé Deutschland, die ihren Sitz in der deutschen Finanzmetropole hat.

Sieben Geschwister dahingerafft

In diesen Tagen feiert der deutsche Ableger des Schweizer Konzerns in Frankfurt den 200. Geburtstag des Firmengründers. Heinrich Nestlé, der sich in der Schweiz Henri nannte, war in den Augen von Berssenbrügge nicht nur der Vater des Konzerns, er habe schon bei der Gründung der „Farine Lactée Henri Nestlé“ in Vevey 1866 auch die Basis für den heutigen hohen Qualitätsanspruch und die Kundenorientierung des Weltkonzerns gelegt. Er habe immer den absoluten Willen gehabt, einen Beitrag zur Gesundheit zu leisten. Vor allem seine Anstrengungen gegen die im 19. Jahrhundert weit verbreitete Kindersterblichkeit hebt Berssenbrügge hervor. Als Nestlé am 10. August 1814 in Frankfurt geboren wurde, waren fünf seiner 13 Geschwister schon tot, zwei weitere starben später.

Nestlé ließ sich bis 1834 zum Apothekergehilfen ausbilden, bevor er sich auf Wanderjahre begab und sich nach Aufenthalten in Frankreich schließlich in Lausanne in der Schweiz niederließ. Dort beschäftigte er sich zunächst mit der Herstellung von Kunstdünger, Portlandzement, Likör oder der Entwicklung von Flüssiggas für den Betrieb von Straßenlampen.

Ab 1860 unternahm Nestlé erste Versuche zur Herstellung einer Milchpaste für die tägliche Ernährung von Kindern. Der Durchbruch kam für Nestlé im Alter von 53 Jahren mit der Gründung seines Unternehmens 1867. In Zusammenarbeit mit einem anderen Wissenschaftler entwickelte Nestlé auf Basis von Liebigs Säuglingssuppe ein Kindernahrungsmittel aus kondensierter Alpenmilch, Zucker, Kaliumbicarbonat und einem zwiebackähnlichen Brot aus Weizenmehl. Dieses Gemisch verabreichte er dem „kleinen Wanner“ und rettet ihn vor dem frühen Tod. Nestlé selbst war von seiner Erfindung mehr als überzeugt. „Meine Entdeckung wird eine große Zukunft haben, denn es gibt bis jetzt kein vergleichbares Nahrungsmittel, das sich mit meinem Kindernährmittel vergleichen lässt“, sagte er 1868.

„Letztlich hat Nestlé maßgeblich zur Reduzierung der Kindersterblichkeit beigetragen“, sagt Berssenbrügge heute. Schon Ende 1867 begann die Großproduktion von Nestlés Kindermehl, ab 1868 wurde der Vertrieb auf allen Kontinenten aufgebaut. Der Gründer engagierte sich noch bis 1875 für sein Unternehmen, dann verkaufte er Nestlé für eine Million Schweizer Franken an drei lokale Unternehmer.

Nicht ganz ohne Klage

In den Jahren bis zu seinem Tod am 7. Juli 1890 erwies sich Henri Nestlé als sozial engagierter und spendabler Bürger. „Mit seinem Kindermehl hat Nestlé die DNA des Unternehmens geprägt, dem es auch heute darum geht, mit seinen Produkten auf wissenschaftlicher Basis zu einer gesunden Ernährung beizutragen“, versichert Berssenbrügge. Zur Nestlé-Haltung zähle auch, dass das Unternehmen keine Kinderarbeit akzeptiere, überall den gesetzlichen Mindestlohn zahle und im vergangenen Jahr 300 000 Bauern in den Entwicklungsländern im Blick auf bessere Anbaumethoden geschult habe. Allerdings sieht sich Nestlé immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, weil das Unternehmen zumindest indirekt unfaire Handelsmethoden unterstütze, zu wenig gegen die Zerstörung von Regenwäldern tue oder natürlich gewonnenes Wasser völlig überteuert verkaufe. Nestlé weist solche Vorwürfe stets zurück. (mit SZ)