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Der Applaus gilt uns allen

Der Mann hinter den Kulissen: 40 Jahre lang hat Wolfgang Archner am Görlitzer Theater für Sicherheit gesorgt.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Susanne Sodan

Wenn im Theater Applaus aufbrandet, sieht das Publikum Wolfgang Archner nicht. Er steht nicht auf der Bühne. Meistens ist er zu der Zeit bereits zu Hause. Manchmal steht er aber auch irgendwo versteckt an der Seite der Bühne. Sein Blick ist dann nicht auf die Schauspieler oder Tänzer gerichtet, sondern auf Seilzüge, auf Beleuchtungsbrücken, auf das Bühnenbild. „Vom Applaus nehmen wir trotzdem alle etwas mit. Der gilt uns allen“, sagt Archner. Seit 40 Jahren ist er zuständig für die Technik und die Sicherheit der Besucher und des Ensembles am Gerhart-Hauptmann-Theater. Er ist der Technische Direktor. Bald geht der 60-Jährige in den Ruhestand. Jetzt aber macht Archner nochmal Sommertheater im Stadthallengarten Görlitz.

Beinahe wäre Wolfgang Archner selber auf statt hinter der Bühne gelandet. „Ich war in den 70er Jahren an der Kirchenmusikschule in Görlitz“, erzählt er. Kantor wollte er werden, um dann festzustellen: „Ich hätte alles werden können, nur nicht Kantor.“ Nicht seine Welt. Wolfgang Archner bewarb sich als Bassstimme für den Chor des Görlitzer Theaters. „Ich bin auch tatsächlich angenommen worden.“ Bis zum Start der Spielzeit 1976 war aber noch ein halbes Jahr Zeit. „Man hatte mir angeboten, ich könnte zur Überbrückung in der Technik mithelfen.“ Er blieb nicht nur das halbe Jahr. „Ich sage immer: Ich habe den Job 39 Jahre länger gemacht als geplant.“ Wolfgang Archner wurde Bühnentechniker, Theatermeister, Beleuchtungsmeister, schließlich 2011 Technischer Direktor für beide Spielstätten, Görlitz und Zittau. „Ich wollte es so, ich habe es auch nie bereut.“

Auf der Bühne Stadthallengarten bauen Bühnenarbeiter gerade zwei große Wippen aus Metall auf. „Die brauchen wir für ’Romeo und Julia‘. Die Tänzer wollten zwei Wippen haben, bei denen man unterschiedliche Neigungen fest einstellen kann.“ Haben sie bekommen, Marke Eigenbau. So läuft es immer: Regisseur und Bühnenbildner entwickeln einen Entwurf, wie die Bühne aussehen soll – Archner sucht Wege, wie die Idee Realität werden kann. Oberstes Gebot: Sicherheit. „Ich laufe immer wie so ein Tiger durch das Görlitzer und das Zittauer Theater.“ Ist aus den Seilzügen alles abgehängt, was abgehängt zu sein hat. Und hängt das, was hängen soll, richtig? Geht das, was der Regisseur sich vorstellt? Und wenn ja, wie? Sind alle Ämtergenehmigungen da? Und immer wieder die Frage: Ist alles sicher?

Manchen Ideen von Regisseuren hat er auch schon eine Abfuhr erteilen müssen. „Ein Regisseur wollte mal, dass der Schauspieler eine Rolle Richtung Publikum macht, und zwar unter demEisernen Vorhang hindurch, während der hinunterfährt.“ Menschen unter schwerer fahrender Maschinentechnik? „Das habe ich untersagt.“ Angst vor Auseinandersetzungen dürfe man als Technischer Direktor nicht haben. „Theater ist kein sanfter Betrieb. Es geht auch mal rau zu, aber am Ende haben wir immer eine Lösung gefunden.“ Andere Wünsche sind echte Herausforderungen. „’Rusalka‘ war so ein Fall“, erinnert sich Archner. „Da gab es eine Wendeltreppe, die von oben auf die Bühne schweben sollte.“ Fast eine Tonne schwer, gehalten von Seilzügen. „Bis wir es geschafft haben, dass diese Treppe punktgenau auf der Bühne landete – da war viel Vorarbeit nötig.“

Auch das Sommertheater im Stadthallengarten war eine echte Herausforderung. Denn hier ist im Grunde ein komplett neues Theater entstanden, unter freiem Himmel. Zuschauerraum, Bühne, Deckenkonstruktion, Bühnenmaschinerie, Licht, Ton – in den Spielstätten Zittau und Görlitz sind das feste Gegebenheiten. Im Stadthallengarten war davon nichts da – dafür aber Naturschutzvorschriften. „Die Sitzplätze ganz hinten rechts stehen zum Beispiel auf einem freischwebenden Balkon“. Wegen der Flachwurzler-Bäume in dem Bereich war ein Aufbau auf dem Grund nicht möglich. „Und dass ich mit Totholz als Gefahr rechnen musste, hatte ich auch noch nicht“, sagt Wolfgang Archner und lacht. Das diesjährige Sommertheater wird sein letztes sein. In der kommenden Spielzeit geht er in Rente, nach 40 Jahren. Das Theater hat sich seitdem gewandelt, sagt Archner, nicht nur technisch. „Nehmen Sie ’Hänsel und Gretel’. Das ist oft inszeniert worden. 1976 gab es eine ganz traditionelle, fast schon kitschige Inszenierung.“ Die letzte lief vergangenes Jahr. Moderne, sehr auf aktuelle Geschehnisse bezogen, sagt Archner. Eine Inszenierung, die Diskussionen ausgelöst hat.

Auch an die erste Produktion, die er technisch begleitet hat, kann sich Wolfgang Archner noch gut erinnern. La Boheme. „Die Musik geht durch und durch. Für mich ist das die Oper der Opern.“ Die Leidenschaft für Musik hat nie nachgelassen. Die Leidenschaft für Sicherheit auch nicht. „Mit dem Alter bekommt man ein anderes Sicherheitsgefühl. Ich will nicht sagen, dass ich heute manches verbieten würde, was ich früher habe durchgehen lassen. Aber man bekommt einfach einen besseren Blick für Gefahrenstellen.“ Warum er dann trotzdem aufhören will? Aus Angst, dass ihm mit dem Alter doch mal was durchrutschen könnte, sagt Archner. Bisher sei ihm das nicht passiert. Aber er hat schon Totalkatastrophen auf der Bühne gesehen. „Als ich angefangen hatte, hat ein Mitarbeiter bei einer Aufführung das falsche Zugseil erwischt.“ Ein Kronleuchter sollte eigentlich auf die Bühne schweben. Stattdessen ließ der Mann eine Rückwand hinunter, die mit ordentlich Krawall im Bühnenbild landete. „Da war nichts mehr zu retten. Die Vorstellung musste unterbrochen werden.“ So was soll ihm nicht passieren.