Von Dirk Schulze
Sebnitz. „Wissen Sie, wo die Weberstraße ist?“ Sven Liebich kennt sich nicht aus in Sebnitz und er ist spät dran. Einen Moment später biegt der Konvoi mit Bundespräsident Joachim Gauck um die Ecke. Liebich und sein Begleiter laufen hinterher. Während Gauck in der Turnhalle des Gymnasiums bei der offiziellen Feierstunde des Deutschen Wandertags spricht, steht Liebich auf der anderen Straßenseite und brüllt „Nur im Land das größte Schwein, lässt sich mit der Stasi ein“ durch einen tragbaren Lautsprecher. Liebich war früher der Hallenser Neonazi-Szene aktiv. Er verbreitet die Behauptung, Gauck habe für die Staatssicherheit gearbeitet. In seinem Blog hatte er dazu aufgerufen, den Sebnitz-Besuch Gaucks zu einem „Spießrutenlauf“ werden zu lassen. Tatjana Festerling hatte diesen Aufruf auf ihrer Facebook-Seite geteilt mit dem Zusatz „#ZwickauZeigtWiesGeht“ – eine Anspielung darauf, wie Justizminister Heiko Maas am 1. Mai in Zwickau von der Bühne gepfiffen wurde. Auch Pegida wies auf Facebook auf den Gauck-Besuch in Sebnitz hin.
Doch die Protestler waren nicht nur Zugereiste. Bereits vor Gaucks Ankunft hatten sich junge Männer aus Sebnitz und Umgebung in eindeutigen Nazi-T-Shirts auf dem Markt gesammelt – einer von ihnen wird später noch besonders in Erscheinung treten. Einen Stehtisch weiter warten die regionalen Unterstützer von Festerlings neue Initiative Festung Europa um den Neustädter Friedensrichter Lothar Hofmann und Sandro M. darauf, dass es losgeht. Später stoßen die Macher des Demokratischen Aufbruch Sächsische Schweiz – im sächsischen Verfassungsschutzbericht der rechtsextremen Szene zugeordnet –, inklusive des Sebnitzer NPD-Stadtrates Hartmut Gliemann.
Als die Delegation um Bundespräsident Joachim Gauck und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich zu Fuß den kleinen Berg vom Rathaus zum Markt hinunterläuft, geht es los. Die Störer, die am Markt gewartet haben, entrollen Fahnen: „Willkommen in Dunkeldeutschland“ und „Das Pack grüßt Gauck“. Trillerpfeifen, Rufe: „Haut ab!“, „Volksverräter“, „Widerstand“. Gauck lässt sich nicht abbringen, er geht zu den Wanderern, schüttelt Hände. Die freuen sich. Personenschützer und Polizei müssen Gauck den Weg durchs Gedränge bahnen. Die Delegation will zwischen den Ständen von der einen zur anderen Seite des Marktes. In einem Video von den Pöbeleien ist zu sehen, wie sehr sich die Delegation des Bundespräsidenten von den aggressiven Protestierern bedrängt fühlt. Es ist Gaucks persönlicher Referent Michael Kniepen, der die sächsischen Polizeibeamten auffordert, dem Bundespräsidenten und seinen Begleitern den Rücken frei zu halten. „Zumachen! Zumachen!“ ruft der Beamte den Einsatzkräften zu. Erst daraufhin bilden die Polizisten eine Kette, um Demonstranten fernzuhalten – mit mäßigem Erfolg.
Pressestimmen zum Deutschen Wandertag in Sebnitz
Die Situation eskaliert als Gauck auf der anderen Seite des Marktes ankommt. Einige Störer sind außen um die Stände herumgelaufen. Plötzlich Gerangel. Ein Video zeigt, dass ein Beamter in Zivil einen der Störer packt. Uniformierte Kollegen fassen mit zu. Er wehrt sich, es gibt Schläge, Pfefferspray wird versprüht. Der Zugriff hat eine Vorgeschichte. Auf einem anderen Video ist zu sehen, wie der Mann schon auf dem Weg vom Rathaus zum Markt aggressiv brüllend mit ausgestrecktem Arm und geballter Faust hinter der Gruppe um Gauck herläuft. Polizisten schubsen ihn zurück. Es ist ein 30-Jähriger aus Sebnitz. Er habe eine Papierbroschüre werfen wollen, erklärt Polizeisprecher Marko Laske. Deshalb wurde er festgesetzt
Die Polizei ermittelt jetzt wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Verstoßes gegen das Waffengesetz sowie Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gegen den Mann. Er trägt ein Hakenkreuz-Tattoo auf dem Rücken und hatte ein Messer bei sich. Insgesamt geht die Polizei von etwa 180 Störern aus, die sich unter die Menge der Wandertagsgäste gemischt haben. Insgesamt stellten die Beamten die Personalien von neun Personen fest und sprachen fünf Platzverweise aus. Bereits am Sonntagmorgen stellten die Beamten an Eisenbahnbrücken vier Plakate sicher, die sich gegen den Besuch des Bundespräsidenten richteten. Eine rechtliche Wertung steht noch aus.