Von Jens Schmitz, SZ-Korrespondent in Washington
Angeblich wurde der Deal über einem Schälchen Schokoerdbeeren geschlossen: Für 16 Milliarden Dollar will sich der Internetriese Facebook den Nachrichtendienst WhatsApp einverleiben. Zusätzlich versüßen sollen den Kauf weitere drei Milliarden, die Gründer und Angestellte der Start-up-Firma in den nächsten vier Jahren in Form von Aktienoptionen erhalten (Restricted Stock Units). Der Kauf muss von der Kartellbehörde noch abgesegnet werden.
Der Preis schießt weit über den Rahmen vergleichbarer Übernahmen hinaus. Als Facebook 2012 für den Fotodienst Instagram eine Milliarde Dollar bezahlte, wurde das weithin als zu hoch kritisiert. 2012 bot der Konzern dem Nachrichtendienst Snapchat drei Milliarden Dollar; dass dieser ablehnte, erschien vielen als arrogant. Andererseits wurden auch die 1,65 Milliarden Dollar, die Google 2006 für die Videoplattform Youtube bezahlte, als absurd gegeißelt. Im Rückblick erscheint diese Summe heute als Schnäppchen. Für WhatsApp will Facebook vier Milliarden bar bezahlen, der Rest wird in Aktien erlegt.
Mit gerade mal 55 Angestellten ist WhatsApp kein großer Player im Silicon Valley. Möglichkeiten zum Nachrichtenversand bietet Facebook sogar selbst. Trotzdem wollte dessen Chef Mark Zuckerberg offenbar kein Risiko eingehen, wieder einen Korb zu bekommen. Und tatsächlich gibt es gute Gründe dafür: WhatsApp hat in den fünf Jahren seines Bestehens ein Wachstum hingelegt, wie es selbst Facebook in den Anfangsjahren nicht verzeichnen konnte. In den vergangenen neun Monaten hat sich die Zahl seiner Nutzer mehr als verdoppelt. 450 Millionen Menschen nutzen den Dienst, um SMS, Bilder oder Videos zu verschicken – zu extrem günstigen Konditionen. Dass WhatsApp vor allem außerhalb der USA beliebt ist, stabilisiert Zuckerbergs Firma international.
So lief der Facebook-Deal
WhatsApp bietet eine rasant wachsende Nutzerschar, die das Produkt zu 70 Prozent täglich nutzt (Facebook: 61 Prozent). Es verfügt über ein tragfähiges Geschäftsmodell, und das ohne Werbung. Anfangs setzte die Firma auf eine niedrige Gebühr für die Software. Inzwischen ist diese meist frei, dafür kostet der Service einen Dollar pro Jahr. Der Preis der Übernahme ist relativ: Auf Nutzer umgerechnet erlöst Whats App vergleichbar viel wie andere Social-Media-Dienste in jüngerer Vergangenheit. Der Kurznachrichtendienst Twitter wird derzeit auf 30 Milliarden Dollar geschätzt. Aber Twitter nutzen nur 240 Millionen Menschen. All das ist interessant für einen Konzern, der mit seinen Nutzern in die Jahre kommt. Mit 1,2 Milliarden Profilen nähert sich Facebook in vielen Ländern einer Sättigungsgrenze. Der zunehmende Wechsel zu mobilen Geräten schafft für Facebook ein Übersichtsproblem. Gerade junge Menschen entdecken daneben privatere Kommunikationsformen neu. Dafür nutzen sie Anwendungen mit klar umrissenem Adressatenkreis. Diese Zielgruppe will Zuckerberg nicht verlieren.
Während das anzeigenfinanzierte Facebook seit jeher mit der Kritik von Datenschützern leben muss, betonen die Whats App-Gründer Brian Acton und Jan Koum den Schutz der Privatsphäre. Nachdem eine Nachricht zugestellt ist, wird sie ihren Angaben zufolge vom Server gelöscht. Wer WhatsApp auf seinem Smartphone installiert, muss allerdings umfassende Zugriffsrechte auf seine Daten einräumen. Kritiker weisen seit Langem darauf hin, dass die Übertragung nicht sonderlich sicher ist.
WhatsApp behält sein Hauptquartier in Mountain View im Bundesstaat Kalifornien, es soll auch künftig unabhängig arbeiten. Vergangenen Herbst hatte Koum noch verkündet, es gebe keine Pläne, WhatsApp zu verkaufen. Presseberichten zufolge gab es allerdings schon seit zwei Jahren informelle Gespräche. Nachdem Zuckerberg ihm angeboten hatte, dem Facebook-Vorstand beizutreten, soll Koum am vergangenen Valentinstag dann zur Dinnerzeit überraschend in Zuckerbergs Privatresidenz erschienen sein. Über einem Schälchen Schokoerdbeeren, das eigentlich für Frau Zuckerbergs gedacht war, sei man sich einig geworden.