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Den Krieg ein paar Minuten vergessen

Syrische Flüchtlinge und Großröhrsdorfer Schüler spielen gemeinsam Fußball und lernen sich besser kennen.

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© Matthias Schumann

Von Reiner Hanke

Die Jungs machen sich schon mal warm und lassen den Fußball durch die kleine Jahn-Turnhalle in Großröhrsdorf fliegen. Noch geht es nicht so richtig los. Es fehlen noch Mitspieler. Die holt Jugendarbeiterin Sarah Schube gerade aus der alten Schulsporthalle ab. Dort ist an Fußball derzeit nicht zu denken. Die Halle ist eine Notunterkunft des Kreises, um den anhaltenden Flüchtlingsstrom aufzufangen. Derzeit leben 38 Männer aus Syrien in der Halle und warten, dass ihr Asylverfahren vorangeht. Ein paar junge Leute sind dabei. Doch vor allem gestandene Familienväter. Die meisten sind monatelang zu Fuß bis nach Deutschland unterwegs gewesen. Angetrieben von der Hoffnung, hier auch einen sicheren Hafen für die Familien zu finden.

Ein bisschen Abwechslung in den Alltag bringen

Die jungen Leute aus dem Rödertal haben nicht nur Bälle mitgebracht, sondern für ihre Gäste auch einen Tisch mit Muffins und Getränken aufgebaut. „Jeder hat etwas beigesteuert“, sagt Linda Bredow. Eine Truppe von bis zu 15 Zehntklässlern, jungen Leuten aus der Region ist es, die sich hier engagiert. Sarah Schube vom Kinder- und Jugendnetzwerk hält die Fäden in der Hand. Die jungen Leute wollen ein bisschen Abwechslung in den Alltag der Flüchtlinge bringen. „Zuerst hatten wir an Vorträge in der Schule gedacht, um die jüngeren Schüler über das Asylthema und die Flüchtlingsunterkunft in der alten Turnhalle aufzuklären“, sagt Linda Bredow. Was die Menschen zu uns führe. So richtig nah an der Realität sei das aber letztlich nicht. Dann kam die Idee, etwas direkt mit den Flüchtlingen zu unternehmen, den direkten Kontakt herzustellen und sie zum Sport einzuladen.

Flüchtlinge haben daran großes Interesse

Damit waren sie auf der gleichen Wellenlänge mit Vertretern des Elternrates und dem Bündnis „Bunte Westlausitz“. Die Aktion sei spontan gewesen, sagt Sarah Schube. Sie ist auch im Bündnis aktiv und steuert das Begegnungsprojekt: „Wir haben auch schnell gespürt, dass die Flüchtlinge selbst großes Interesse haben, Kontakte zu knüpfen. Schülerin Laura Kießig ist sich jetzt sicher: „Nur durch die direkte Begegnung sieht man auch die Geschichten, die Schicksale hinter den Gesichtern.“ Davon müsste viel mehr nach außen dringen, um Vorurteile abzubauen. „Beim letzten Sportnachmittag haben uns die Syrer auch Fotos gezeigt von den Kriegsschäden und von Verletzten Menschen“, sagt Linda Bredow. Wer die Geschichten kennenlernt, den könne das nicht kalt lassen, sagen die Schüler. Die Verständigung ist nicht ganz leicht, aber irgendwie klappe es schon. Manchmal mit Englisch, manchmal mit Übersetzungsapps auf dem Handy, manchmal mit Händen und Füßen.

Während die Jungen in der Halle den Fußball jagen, sind sich die Mädchen einig: „Wir möchten ein anderes Bild von Deutschland zeigen, als es die Pegida-Demos vermitteln.“ Und die Erwachsenen sollen sehen, dass sich junge Leute engagieren und eine Meinung haben.

Seit fast drei Wochen in der Turnhalle

Einige Flüchtlinge sind jetzt seit fast drei Wochen in der Großröhrsdorfer Turnhalle. Sie gucken zuerst noch etwas schüchtern in die Runde. Das sei immer so, „aber dann tauen sie schnell auf“, weiß Linda Bredow. Schnell sind zwei gemischte Mannschaften mit den Jungs gebildet. Dann rollt der Ball und ist heiß umkämpft. Auf dem Spielfeld gibt es keine Schüler keine Flüchtlinge, sondern nur noch Fußballer. Jedes Tor wird mit Applaus gefeiert. Aber Gewinner sind hier alle und der Krieg ist mal für wenige Minuten vergessen. Die Mädchen warten unterdessen auf ihren Einsatz beim Volleyball. Mit ihnen verfolgen einige Syrer das Match vom Spielfeldrand. Dabei sind die Gedanken auch immer wieder bei den Familien. Atar berichtet, dass er in Hama seine Frau und vier Kinder zurückgelassen hat. Er zeigt Bilder aus freundlicheren Tagen. Über die Türkei, Griechenland, den Balkan und Österreich, erzählen die Männer, seien sie bis nach Deutschland gelaufen.

Bilder vom zerbombten Syrien

Ein Flüchtling zeigt Bilder von zerbombten Häusern. So sehe es überall in Syrien aus. Unter den Flüchtlingen sind etliche Akademiker auch Lehrer und ein Zahnarzt. Der Mediziner Iyad kommt aus Aleppo. Sein Wohngebiet sei zu großen teilen zerstört, die Schulen geschlossen, berichtet er. Er habe die Familie verlassen, sein Haus, Auto und Job. Das tue doch niemand, wenn die Not nicht groß ist. Er respektiere die deutschen Gesetze und wolle hier arbeiten und seine Familie, die Frau und zwei Kinder, in Sicherheit bringen: „Sie sind in Aleppo in Lebensgefahr“, sagt Iyad. Es sei das Furchtbarste, hier in der Warteschleife zu hängen und nichts für sie tun zu können. Die sanitären Anlagen in der Halle seien zwar etwas dürftig und die Unterkunft kalt: Aber das größte Problem vieler Flüchtlinge sei nicht das Notquartier. Von den Menschen hier seien sie bisher auch freundlich behandelt worden. Das Problem sei die Flüchtlingszentrale in Chemnitz. Es sei völlig undurchschaubar, wie die Asylverfahren laufen würden. Andere, die später gekommen seien, wären schon weiter, während sie vergessen wurden. Iyad kenne eine ganze Reihe Flüchtlinge, die sich von den Behörden vernachlässigt fühlen. Manche seien schon über mehrere Stationen in Deutschland rumgereicht worden. Nach der Flucht und der Hoffnung gewinnt Verzweiflung die Oberhand: „Wir wollen doch nur unsere Familien retten“, sagt Iyad.

Die Stunden in der Turnhalle sind schnell herum. Zu schnell ist manchem Gesicht anzusehen. Aber Hallenzeiten sind knapp in Großröhrsdorf und die nächste Trainingsgruppe rückt schon an. Aber auch der nächste Sportnachmittag kommt: „Versprochen“, sagen die jungen Leute.