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Dem zähen Luder wird schwindelig

Laura Dahlmeier feiert mit der Staffel das nächste WM-Gold und hat danach mit ihrem Kreislauf zu kämpfen.

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© AFP/Franck Fiife

Von Daniel Klein, Hochfilzen

Manchmal kann man Redewendungen durchaus wörtlich nehmen. Kämpfen bis zum Umfallen ist so eine. Laura Dahlmeier weiß inzwischen, was das bedeutet. Bereits nach ihrem Sieg im Einzelrennen am Mittwoch hatte sie mit Kreislaufproblemen zu kämpfen, musste vor der Siegerehrung im Stadion behandelt werden.

Nach dem Staffelerfolg am Freitag wurde der Schlussläuferin erneut schwindelig. Für die Pressekonferenz im Medienzentrum hatte sie bereits Platz genommen und die Beine hochgelegt, doch dann stützte sie ihren Kopf auf den Tisch und wurde von Mannschaftsarzt Klaus Marquardt in einen Nebenraum geführt. Während ihre Kolleginnen Vanessa Hinz, Maren Hammerschmidt und Franziska Hildebrand den vierten Sieg im vierten Staffelrennen der Saison erklärten, lag Dahlmeier nebenan auf einer Holzbank und versuchte, den Puls wieder auf Touren zu bekommen.

„Das geht natürlich nicht alles spurlos an mir vorüber“, ließ die 23-Jährige über den Pressesprecher ausrichten. „Es war ein bisschen viel gewesen in der letzten Zeit.“ Viermal Gold hat sie nun bereits bei der WM in Hochfilzen gesammelt, das war vor ihr erst fünf Biathleten gelungen. Die zehnte Medaille in zehn WM-Starts in Folge ist dagegen einsamer Rekord. Auch das kann einen schon umhauen. Doch es waren wohl vor allem die körperlichen Anstrengungen sowie die Interviewmarathons, die zu den beiden Schwächeanfällen führten.

„Spitzensportler geben mitunter mehr, als sie körperlich eigentlich in der Lage sind“, erklärte Marquardt. „Wenn im Ziel dann die Spannung abfällt, braucht der Kreislauf eine Pause. Die Herzfrequenz geht runter, es wird einem schlecht und schwindlig – wie bei Laura heute.“ Gleichzeitig gab der Arzt aber Entwarnung, es gehe ihr wieder gut. Zudem kenne er sie seit Jahren und wisse, dass sie schnell regenerieren kann.

Auf Schultern getragen

Nach dem letzten der acht Schießeinlagen ging Dahlmeier zwar mit einer Führung auf die letzte Runde, doch das Polster fiel knapper aus als erwartet. Zwei Nachlader benötigte die Dominatorin dieser Titelkämpfe, das Verfolger-Trio aus der Ukraine, Frankreich und Italien kam geschlossen ohne Zusatzpatronen aus – und der deutschen Nummer eins bedrohlich nahe. „Dadurch musste ich auf der Schlussrunde alles geben“, sagte Dahlmeier. Der Sieg war letztlich ungefährdet, hatte aber Nachwirkungen. Schon im Zielbereich sank sie in den Schnee, ihre Kolleginnen verhalfen ihr erst in die Senkrechte und trugen sie dann auf Schultern. „Beim Umziehen merkte ich dann, dass der Blutdruck absackte. Er wurde auch gemessen und war massiv im Keller“, sagte sie. Vieles an diesem Nachmittag klang mehr nach einem medizinischen Bulletin als nach einer Wettkampfanalyse.

Bei der ganzen Dramatik um die derzeit beste Biathletin der Welt ging beinahe unter, dass Franziska Hildebrand in der Staffel eine Art sportliche Wiederauferstehung feierte. In der vergangenen Saison noch hatte die aus Köthen in Sachsen-Anhalt stammende Dienstälteste des deutschen Teams ihre ersten beiden Weltcupsiege gefeiert, war im Gesamtklassement als Fünfte die Beste in der Mannschaft. In diesem Winter wollte sie einen weiteren Schritt nach vorne machen, bei der WM ihre erste Einzelmedaille gewinnen – was gründlich misslang. „Bisher war es überhaupt noch nicht aufgegangen, mal klappte es beim Schießen nicht und mal beim Laufen“, erzählte sie. Doch am Freitag benötigte die 29-Jährige als Einzige des deutschen Quartetts keinen einzigen Nachlader, brachte die Staffel erstmals in Führung und gab Dahlmeier einen Vorsprung mit.

Allerdings war der gehörig geschmolzen. „Es hat hinten heraus ordentlich gebrannt“, bekannte sie. „Ihr ist es wieder schwergefallen, die letzte Runde so zu gestalten wie die ersten beiden“, meinte Bundestrainer Gerald Hönig, der trotzdem ein Sonderlob verteilte: „Sie war eine tragende Größe heute. Für sie freut es mich besonders.“ Hildebrand selbst war die Erleichterung auch anzumerken, sie sprach von einem Befreiungsschlag, der ihr wieder Selbstbewusstsein gebe.

Für Hönig war der vierte Staffelsieg in Folge nicht allein der Beleg für die beste Tagesleistung. „Es zeigt, dass wir nicht nur Einzelkönner haben und dass Richtung und Konzeption bei uns stimmen.“ Angesichts der Erfolge in Hochfilzen findet man da kaum Gegenargumente.

Am erfolgreichen Abschneiden hat Dahlmeier jedoch den größten Anteil. An fünf der bisher sechs deutschen Medaillen war sie beteiligt. Am Sonntag kann sie ihre Bilanz weiter ausbauen – falls sie startet. „Ich denke schon, dass es bis zum Massenstart klappen wird“, ließ sie aus dem Nebenraum ausrichten. Und auch der Arzt gab sich optimistisch. „Hobbysportlern würde ich jetzt eine Pause gönnen, aber bei ihr denke ich, dass sie wieder starten kann“, so Marquardt. Letztlich entschieden wird das bei einem Gespräch vor dem Rennen. Und dann übermittelte der Arzt noch ein Zitat seiner Patientin. Demnach habe Dahlmeiers Großvater zu seiner Enkelin öfter gesagt, dass sie ein zähes Luder sei.

TV-Tipp: Sa., 14.45 Uhr: Männer-Staffel. So., 11.30 und 14.45 Uhr: Massenstart der Frauen und Männer live bei ARD und Eurosport.