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Dem Hamsterrad entkommen

Stress hat Andrea Kunz in eine Krise gestürzt. Sie wagte einen Neuanfang und hilft inzwischen anderen beim Entspannen.

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© André Braun

Von Elke Görlitz

Leisnig. Andrea Kunz schlägt eine bronzefarbene Klangschale an und schwärmt von den feinen Vibrationen, die Körper, Geist und Seele berühren sollen. Stolz führt sie durch ihr Reich, das sie sich im Keller des Fitness-Studios Solemed in Leisnig eingerichtet hat. Voller Begeisterung erzählt sie von ihrem Traum, den sie sich mit ihrer Wellness-Oase erfüllt hat. Mit dem Schritt in die Selbstständigkeit begann für die 57-Jährige vor nunmehr sieben Jahren ein zweites Leben.

In ihrem ersten war sie gefangen, hatte sie der Stress so im Griff, dass sie in eine tiefe Krise stürzte. Wie sie diesem Hamsterrad entkam, erzählte sie kürzlich auch im SWR-Nachtcafé, wo sie mit Prominenten wie der Linken-Chefin Katja Kipping, dem selbstständigen Unternehmer Axel Allion oder dem Psychiater Dr. Mazda Adli eingeladen war. Über Stress und seine gesundheitlichen Folgen, aber auch darüber, wie man Auswege findet, sprach sie mit Moderator Michael Steinbrecher. Erst im zweiten Anlauf, so sagt sie, habe die Redaktion sie überzeugen können, über ihre Krise, deren Ursachen und darüber zu berichten, wie sie nach einem Burn-out die Freude am Leben wiederfand.

Traumberuf Krankenschwester

Einmal „Gefangen im Hamsterrad des Lebens“ zu sein, so der Titel der Sendung, hätte Andrea Kunz nie geglaubt, als sie ihren Traumberuf erlernte, den sie 34 Jahre lang ausübte. „Krankenschwester, das wollte ich immer werden“, sagt sie bestimmt. Und genauso betont sie, dass sie nie in die Pflege, sondern immer schon in den OP-Saal wollte. „Technik, das neueste Knowhow verbunden mit dem Wissen um die Physiologie ist anspruchsvoll, deshalb wurde ich Fachschwester für Anästhesie und Intensivtherapie“, erzählt die Leisnigerin.

„Es war ein schönes Miteinander-Gefühl“, erinnert sie sich. Auch die Strukturveränderungen nach der Privatisierung des vormals kreiseigenen Krankenhauses habe sie gemeistert. Andrea Kunz absolvierte eine zweijährige Ausbildung zur Leitenden Anästhesieschwester und managte die Abteilung auch, als OP- und Anästhesieabteilung zusammengelegt wurden „mit Bravour und Freude an der Arbeit“, wie sie sagt. Aber: „Es wurde immer schwieriger, alles zu koordinieren bei steigenden OP-Zahlen. Wir mussten schneller arbeiten, die Pausen wurden kürzer und ich war hin- und hergerissen, allen Ansprüchen gerecht zu werden, denen der Klinikleitung und denen der Schwestern“, erzählt die 57-Jährige.

Schließlich sei sie selbst öfter eingesprungen, wenn sich anders eine personelle Lücke nicht schließen ließ. Acht bis zehn Stunden im OP folgten 24 Stunden Bereitschaftsdienst. Der Stress nahm sie mehr und mehr gefangen. „Immer öfter konnte ich nicht schlafen, grübelte über meine Situation, fühlte eine innere Leere“, beschreibt Andrea Kunz ihre damals ausweglose Lage. Schließlich habe sie sich zurückgezogen, nicht mehr aufstehen können und sich mit Zukunftsängsten gequält. Diagnose: Burn-out. „Als diese mir ins Gesicht gesagt wurde, schien mir das unbegreiflich“, sagt sie heute.

Es folgte eine psychosomatische Rehabilitation, während der sie die Therapeutin ermuntert habe, ihre Arbeitshaltung zu überdenken. „Hoffnungsvoll, unterstützt durch therapeutische Begleitung wieder in den Krankenhausalltag zurückzufinden, kam ich nach Hause. Doch es gab keine Therapiestelle“, so Andrea Kunz. Im Krankenhaus sei sie zwar offen empfangen worden. „Aber ich befand mich gleich wieder im Hamsterrad, bis ich vor dem OP einen Kreislaufzusammenbruch erlitt. Da wollte ich nur noch raus“, berichtet sie. Ihrem Wunsch, nur noch Tagschichten zu arbeiten, sei nicht entsprochen worden. „Mir blieb nur die Kündigung.“ Das war 2010.

Aus dem Ungewissen ins Glück

Ein Schritt ins Ungewisse, doch Andrea Kunz hatte einen zweiten beruflichen Traum: „ein kleines Reformhaus oder etwas mit Massagen und zur Entspannung“. Unterstützt von ihrem Mann absolvierte Andrea Kunz ein Fernstudium Ernährungsberatung und einen Existenzgründerkurs, Kurse für Progressive Muskelentspannung und Autogenes Training. Im Oktober 2010 eröffnete sie, „ziemlich aufgeregt“, wie sie gesteht, ihre „Wellness-Oase“ im Schützenhaus.

Mit dieser zog sie fünf Jahre später an die Chemnitzer Straße. Ein Wagnis, das sich im Nachhinein betrachtet, gelohnt hat. Zwar habe sie nach wie vor einen langen Arbeitstag. „Doch ich kann über mich selbst bestimmen, mir meine Freizeit selbst organisieren“, bilanziert Andrea Kunz. Sie sei zwar dem Druck ausgesetzt, immer genug Arbeit zu haben, „aber das muss ich für mich allein verantworten“. Maßvoll und mit dem Glauben an sich selbst baute sie ihr kleines Unternehmen auf, das sie nach und nach um Angebote erweiterte.

So um die bei den Kunden sehr beliebte Klangschalenmassage, mit der sich die Chefin selbst einen teuren, aber langgehegten Wunsch erfüllt hat. Kraft gebe ihr die Dankbarkeit, die ihr die Menschen entgegenbringen, denen sie helfen kann. „Dazu gehören auch ehemalige Kolleginnen aus dem Krankenhaus“, sagt Andrea Kunz stolz.