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Dellen-Doktoren reisen dem Hagel hinterher

Wenn es Golfbälle vom Himmel regnet, kommen die Helfer sogar mit dem Ferienflieger.

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Von Heiko Lossie

Wer an Naturkatastrophen denkt, dem kommen ferne Wirbelstürme oder Erdbeben in den Sinn. Doch eng begrenzt im Lokalen brechen auch in Deutschland im Sommer regelmäßig die Naturgewalten los. Ende Juli war es wieder so, beispielsweise östlich von Hannover. Hagelkörner groß, wie Tennisbälle zerstörten nahe Peine jedes dritte Dach. Im größten Automobilwerk der Welt, bei VW in Wolfsburg, traf es Tausende Neuwagen. Niedersachsens größter Versicherer VGH meldete Rekordschäden, vergleichbar mit dem Orkan Kyrill 2007. Was nur wenige wissen: Ereignisse wie dieses erwecken eine kleine Branche zum Leben.

Bereits als die Autobesitzer die Krater auf ihren Fahrzeugblechen noch ungläubig beäugten, rollten Kolonnen mit Dellen-Experten an. Ein kleiner Industriezweig hängt an den Pkw-Schäden. „Wenn es hagelt, ist Saison. Und dieses Jahr ist es wirklich extrem“, sagt Wolf-Henning Hammer, Chef im Bundesverband Ausbeultechnik und Hagelinstandsetzung (BVAT). Er beschreibt ein inzwischen globales Geschäft, getrieben von den Sommergewittern. „Wenn hier auf der Nordhalbkugel Winter ist, ist halt auf der Südhalbkugel Saison.“ Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft betrug der Aufwand für Sturm, Hagel und Blitz bei Pkw im Jahr 2011 rund 690 Millionen Euro.

„So groß ist unsere Industrie aber bei Weitem nicht“, sagt Guido Dilk vom Anbieter KHS, ein Gründungsmitglied im BVAT. Schließlich laufe ein Großteil des Geschäfts über herkömmliche Karosserie- und Lackierbetriebe. Eine Handvoll Dellen-Doktoren dominiere das mobile Geschäft mit den Sammelbegutachtungen im Großschadensfall. Ein Teil sei bundesweit aufgestellt, andere global. KHS hat Niederlassungen in Italien, Schweden, der Schweiz, Frankreich und in den USA. KHS-Chef Dilk glaubt, dass das Hageljahr 2013 noch intensiver als 2008 werde.

Damals traf ein Hagelsturm allein rund 30 000 Neuwagen am VW-Werk in Emden und sorgte für einen Großeinsatz der Branche. Laut Wolf-Henning Hammer charterten Hageltechniker aus dem Ausland Ferienflieger oder mieteten Reisebusse. „Die Technik samt mobiler Büroausstattung ist immer schon fertig verpackt. Denn ein Zeitvorteil ist auf jeden Fall sinnvoll“, sagt Hammer. „Wenn es ein Reisebüro geben würde, das sich auf die Hagelinstandsetzung spezialisiert – das hätte ausgesorgt.“

In der VW-Stadt Wolfsburg sind derzeit die Hotelbetten knapp. Das Pendlerchaos wegen der hochwassergeschädigten ICE-Trasse ist dafür auch ein Grund, aber dennoch: Hunderte Hageltechniker sind in und um Wolfsburg unterwegs, nicht nur bei VW. Die Dienstleister mieten Scheunen oder bauen gleich mobile „Besichtigungspavillons“ auf. Großereignisse schwächten zwar den Konkurrenzkampf um Preise, sagt Hammer. Doch sie seien auch eine Gelegenheit für schwarze Schafe.

Wer wie bei VW an die Großaufträge kommen will, muss Personalpower haben. Der Branchenriesen Douteil aus Nordrhein-Westfalen etwa kommt auf einen Fuhrpark aus 100 Fahrzeugen und 50 Anhängern. Er ist auch in Polen, der Schweiz, Brasilien und in den USA unterwegs.

Wichtig ist frühe Information. Der „Dent Master“ (Dellen-Meister) aus Dallas in den USA lädt im Internet dazu ein, Hagelstürme zu melden. In einer Online-Maske können Tippgeber gleich anklicken, wie dick es denn kam: Tischtennisball, Hühnerei oder Grapefruit? In Deutschland bemühen die Dellendrücker Profi-Dienstleister, die Wetterdaten sammeln.

Denn wenn es hagelt, dann klingelt in der Regel bald die Kasse. Rund um Autowerke ist der Effekt logischerweise groß. Die Industrieversicherungssparte der Allianz berichtet zwar von Schutzmöglichkeiten wie Hagelnetzen, doch immer wieder trifft es das Blech. Die Versicherer sind dann wichtige Helfer. Bettina Sattler von der Allianz sagt, dass die Versicherung bei der Auswahl der Hagelausbeulfirmen und den Ausschreibungen unterstütze.

Die Nachfrage ist auch für Kfz-Betriebe ein Standbein. So bieten Handwerkskammern Fortbildungen an zur „Fachkraft für innovative Fahrzeugaufbereitung“. Inhalt: lackschadenfreie Ausbeultechnik. (dpa)