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Das verbotene Spiel

Deutschlands beste Arbeiter-Fußballmannschaft trat 1925 gegen ein sowjetisches Team an. Gegen alle Widerstände.

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© Rainer Funk

Von Lars Kühl

Was heute Bayern ist, war vor 90 Jahren Kommando. So hieß der Fußballklub aus dem sowjetischen Charkow, den sich der Dresdner Sportverein 1910 (DSV) im August 1925 zum Freundschaftsspiel einlud. Es sollte keine Benefizveranstaltung mithilfe der Starkicker aus München zur Schuldentilgung wie am vergangenen Montag bei Dynamo sein, sondern ein Kräftemessen deutscher Arbeitersportler mit sowjetischen. Ein verbotenes noch dazu.

Ein Gegner aus der boykottierten Sowjetunion war der ausdrückliche Wunsch vieler Mitglieder des Arbeitervereines.
Ein Gegner aus der boykottierten Sowjetunion war der ausdrückliche Wunsch vieler Mitglieder des Arbeitervereines. © Rainer Funk

An Dynamo als heutiger Inbegriff hiesiger Balltretertradition war damals noch nicht einmal zu denken. Trotzdem waren die Dresdner zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits fußballverrückt. Zugpferd war der Dresdner Sportclub, 1898 gegründet, hervorgegangen aus dem Dresden English Football Club, der weltweit der erste Verein außerhalb Großbritanniens war, in dem Fußball nach den heute noch gültigen Regeln gespielt wurde. Und es gab den Johannstädter Sportverein Guts Muts 1902, von Schülern des Kreuz-Gymnasiums und Turnern initiiert. 1923 wurde Guts Muts sogar mal Mitteldeutscher Meister und nahm an der landesweiten Endrunde teil.

Zur dritten Kraft entwickelte sich in den 1920er-Jahren der DSV. 1910 schlossen sich vier Vorstadtvereine zum Arbeiter-klub zusammen. Die Fußballsparte erreichte ihre Glanzzeit zwischen 1924 und 1927, als der DSV viermal in Folge deutscher Meister des Arbeiter-Turn- und Sport-Bundes wurde, in dem er organisiert war. Zu den Endspielen gegen Stern Breslau, Berlin-Stralau, Süden Forst und Nürnberg-West kamen zwischen 8 000 und 10 000 Zuschauer, schreibt Peter Salzmann in seinem Buch „Fußballheimat Dresden“.

Beeindruckende Zahlen, doch bescheiden im Vergleich zum Spiel am 25. August 1925. Der Gegner an diesem Tag war für die Zuschauer ein Exot. Gleich mal als „Russland“ wurde er auf einem Extra-Blatt angekündigt, als „spielstärkste Elf“ von dort und „Moskauer Auswahlmannschaft“ – was nicht ganz stimmt, denn in den Reihen des Gegners standen keine sowjetischen Hauptstädter, trotzdem aber eine ganze Reihe Nationalspieler. Niemand solle es versäumen, den russischen Sport kennenzulernen, stand auf dem Plakat. „Trotz hoher Kosten mäßige Preise!“ Der Eintritt betrug in der Tat nur 80 Pfennige im Vorverkauf. Eigentlich sollte am Sonnabend, dem 22. August 1925, gespielt werden. Aber durch Probleme an der lettischen und deutschen Grenze trafen die Gäste erst später in Dresden ein. Letztendlich wurde die Partie am 25. August angepfiffen. 18 000 Zuschauer sollen sich auf den Rängen im neuen Stadion Dresden-Ost an der Hepkestraße/Ecke Bärensteiner Straße gedrängelt haben. Die Spielstätte war ganz neu. Der erste Heimatplatz, die berüchtigte „Laubegaster Sandwüste“ an der Donathstraße, war nicht mehr zeitgemäß gewesen. Deshalb bauten sich die Vereinsmitglieder eine Anlage mit Gaststätte und Umkleiden auf einem Getreidefeld, das der DSV von der Stadt bekommen hatte. Die 72 000 Arbeitsstunden dafür leisteten sie freiwillig.

Kurz nach der Eröffnung sollte ein namhafter Gegner kommen. Der DSV war rot wie eine seiner Vereinsfarben – die zweite ist bis heute schwarz. Die Mitglieder waren in der Weimarer Republik der Kommunistischen Partei Deutschlands noch näher als der Sozialdemokratischen. Vom Erfolg der Bundesmeisterschaften beflügelt, wollten die Fußballer ein politisches Zeichen setzen. Gegner sollte das beste Team aus dem boykottierten Sowjet-Russland sein.

Die Ukrainer von Kommando Charkow waren 1924 sowjetischer Meister geworden und nahmen die Einladung zur ersten Begegnung einer sozialistischen Mannschaft mit einer deutschen in Dresden, wahrscheinlich auch landesweit, an. Vermittelt hatte die Partie die Rote Sport-Internationale in Berlin. Als Drahtzieher gelten der langjährige DSV-Vorsitzende Otto Nagel und sein Bruder Arthur. Sie hatten gegen große Widerstände zu kämpfen. Denn der Arbeiter-Turn- und Sport-Bund wollte das Spiel auf jeden Fall verhindern. Selbst ein Ausschluss des DSV aus der Organisation wurde angedroht. Doch die Dresdner wollten das Kräftemessen unbedingt.

Auf dem Platz war dann die mühsame Vorgeschichte vergessen. In einem begeisternden Spiel besiegten die DSV-Fußballer die Charkower mit 3:1. Ein Rückspiel wenige Tage später verloren sie mit 0:1.

Bis 1933 holte der Verein zwei weitere deutsche Meisterschaften der Arbeiterorganisation. Als Hitler an die Macht kam, wurde der DSV 1910 sofort verboten. Auch die Sowjets wollten den Namen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Deshalb wurde 1945 die SG Striesen ins Leben gerufen. Die Dresdner Zigarettenfabriken übernahmen die Sportler 1949 als Trägerbetrieb. Umbenannt wurde Empor Tabak in der DDR zu einer der größten Sportgemeinschaften Dresdens. Vor 30 Jahren reisten die Fußballer zu zwei Freundschaftsspielen gegen Metallist und Majak nach Charkow. Nach der Wende wurde „Tabak“ wieder zum bürgerlichen Dresdner Sportverein 1910. Die Fußballer aber gliederten sich aus und spielen heute als SG Striesen in der Landesklasse – der siebenten Liga.

Das Ehrenmal, das einst als Erinnerung an die legendäre Begegnung vor 90 Jahren aufgestellt wurde, ist seit der Stadionsanierung vor fünf Jahren verschollen.