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Das (un)sichtbare Erbe der DDR

Forscher befragten ostdeutsche Familien nach DDR-Erfahrungen. Das Ergebnis weicht vom öffentlichen Bild ab.

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© Ost-West-Forum

Von Dagmar Doms-Berger

Gödelitz. „Wir haben uns arrangiert mit der DDR. Als Familie haben wir gut gelebt“ oder: „Ich war mit der Einheit einverstanden.“ Die Sätze sind Erinnerungen von Menschen, die in der DDR gelebt haben. Aber wie war die DDR denn nun wirklich? In einem sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekt der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Zentrums für Sozialforschung Halle sind 16 Familien zum Thema DDR befragt worden.

Dr. Judith Enders ist Politikwissenschaftlerin. Die gebürtige Altenburgerin ist Mitglied im Verein Perspektive Hoch Drei.
Dr. Judith Enders ist Politikwissenschaftlerin. Die gebürtige Altenburgerin ist Mitglied im Verein Perspektive Hoch Drei. © Mina Gerngross

Die Meinung von Kindern, Eltern und Großeltern von sechs Familien haben die Forscher für die Wanderausstellung „…und dann sind wir an die Ostsee gefahren“ ausgewählt. Ein Thema, das reichlich Diskussionsstoff bietet. Vereinsvorsitzender des Ost-West-Forums Axel Schmidt-Gödelitz, einst Büro-Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin, hatte seine Kollegen Dr. Irina Mohr und Franziska Richter mit dem DDR-Projekt auf Gut Gödelitz geholt und zu einem öffentlichen Diskussionsabend eingeladen.

Hintergrund für den Forschungsansatz ist die Tatsache, dass sich nach über 25 Jahren der Wiedervereinigung im Geschichtsbild der DDR wahrnehmbare Unterschiede zwischen Erinnerung und politischer Aufarbeitung zeigen. Stellt das öffentliche und das in Geschichtsbüchern vermittelte Bild die DDR als Diktatur in den Vordergrund, ergeben die individuellen und familiären Erinnerungen ein anderes Bild. Das wollten die Forscher aufzeigen und zu Diskussionen anregen.

Das Durchschnittsalter der 50 Zuhörer, teils mit Ost-, teils mit West-Sozialisation, lag bei etwa 65 Jahren.

Nun ist es mit Erinnerungen generell schwierig. Die moderne Forschung betrachtet Erinnerungen als störanfällig und manipulierbar, unser Gehirn verändert sie ständig. Die verschiedenen Deutungsmuster der DDR-Gesellschaft erklären sich daher aus den individuellen Lebensverläufen. Die Diskussionsatmosphäre auf Gut Gödelitz war von Verständnis geprägt – kein Vorwurf, keine Verurteilung, trotz Widerspruch an der einen oder anderen Stelle unter den Zuhörern im Saal.

Ingrid Lewek, Jahrgang 1927 und Pfarrerin i.R., kritisierte, dass die Kritik über die DDR in der Ausstellung zu kurz komme, sich die meisten zufrieden über die DDR äußerten. Sie könne diese Nostalgie nur mit der derzeitigen gesellschaftlichen Stimmung begründen, die das Tatsächliche von damals überdeckt. Nach ihrer Ansicht werde vieles verdrängt und verschwiegen. Wendelin Szalai, Jahrgang 1939, Geschichtsprofessor i.R., dagegen: „Ich finde die Ausstellung gelungen.“ Jeder habe seine eigene Erinnerung und jeder ist der Meinung, dass seine Erinnerung die richtige sei. Wichtig sei das Gespräch zwischen Eltern und Kindern oder Großeltern und Enkelkindern, so Szalai.

Es gehe darum, herauszufiltern, welche Erfahrungen in die heutige Zeit übernommen werden können, sagte Irina Mohr, zum Beispiel, wenn es um die systematische Vereinnahmung von Menschen geht. Wann beginnt sie? Darüber hinaus soll die Ausstellung ein Stück Anerkennung und Gerechtigkeit vermitteln für jene, die die Wendeerfahrung machen und sich einen neuen Weg erarbeiten mussten. Die Ausstellung kann auch von Schulen angefordert werden. In Sachsen steht das Thema DDR allerdings erst in der zehnten Klasse im Lehrplan.

Mit dem Umgang mit der DDR beschäftigt sich auch das Buch „Wie war das für Euch? Die dritte Generation im Gespräch mit ihren Eltern“. Es wurde am Sonnabend vorgestellt. In dem Buch geben die Kinder Auskunft darüber, warum sie nicht aufhören können, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Mit-Herausgeberin Judith C. Enders: „Sie sind durch zwei verschiedene Gesellschaften sozialisiert worden. Nach einem Vierteljahrhundert fragen sie nun nach dem (un)sichtbaren Erbe der DDR, nach dem Leben, das nach wie vor das Heutige prägt. Und es stellt sich ihnen die Frage, was sie von diesem Erbe mitnehmen wollen.“