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Das (un)gleiche Paar

Der Politiker-Sohn Max Josef Strauß und der Millionär Oliver Kreider wollen von Sachsen aus die Diagnostik der menschlichen Psyche revolutionieren. Das Hauptquartier sitzt in Radebeul, das Know-how aber in Bayern.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Meißner serviert. Über dem Wurzelholztisch hängt ein großer Kristallkronleuchter. Sein Licht lässt den mit Blattgold verzierten Wandfries leuchten.

Den richtigen Blick für Häuser: Die Friedensburg in Radebeul hat Oliver Kreider aus einer Insolvenz ersteigert. Hier ist auch der Firmensitz der NCLogis.
Den richtigen Blick für Häuser: Die Friedensburg in Radebeul hat Oliver Kreider aus einer Insolvenz ersteigert. Hier ist auch der Firmensitz der NCLogis. © Archiv/Arvid Müller
Der Dabo ist das Ergebnis einer achtjährigen Programmier- und Entwicklungs- arbeit. Foto:
Der Dabo ist das Ergebnis einer achtjährigen Programmier- und Entwicklungs- arbeit. Foto: © NCLogic

Der Besitzer der Fabrikantenvilla in Hartmannsdorf, Oliver Kreider, hat sich viel Mühe gegeben, dem Haus seinen alten Glanz zurückzugeben. „Da habe ich mich ganz schön reingesteigert“, sagt er, nicht ohne Stolz über das Ergebnis. Kreider ist Perfektionist. Was er anpackt, muss gelingen, und das möglichst effizient. Deshalb hat der Unternehmer auch ein Start-Up gegründet. Seit 2014 gibt es die NCLogis AG mit Sitz in Radebeul. 19 Mitarbeiter sind für das Unternehmen tätig, das ein Gerät zur Diagnose psychischer Krankheiten entwickelt und vertreibt.

Einer der Mitarbeiter ist Maximilian Josef Strauß. Der älteste Sohn des ehemaligen CSU-Ministerpräsidenten ist eigens aus München angereist, um die NCLogis und ihr Diagnosesystem vorzustellen. Das Projekt ist ihm wichtig, denn er war selbst Betroffener, kennt den Diagnosedschungel aus eigenem Erleben.

Es war in den Neunzigerjahren. Strauß stand mehrfach vor Gericht, wurde unter anderem mit dem Skandal um Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber in Verbindung gebracht. Auch sein anwaltliches Engagement bei der traditionsreichen Maschinenfabrik Sangerhausen Samag beschäftigte die Justiz. Strauß wurde in allen Fällen freigesprochen, hatte aber über die Prozesse seinen Lebensmut verloren. Er musste sich wegen Depressionen stationär behandeln lassen. Das Wort kommt ihm heute noch schwer über die Lippen, auch wenn er nach eigener Aussage ohne Medikamente lebt.

Es ist jetzt exakt zwei Jahre her, dass sich Strauß und Kreider zum ersten Mal begegneten. Sie trafen sich auf der Geburtstagparty eines Freundes im Tiroler Wintersportort Kitzbühl und sprachen dort über psychische Erkrankungen, die immer mehr Menschen betreffen. Und die dabei sind, zu einem volkswirtschaftlichen Problem zu werden. Denn die Ausfallrate von Beschäftigten steigt. Die heutigen klinischen Neurologen und Psychiater sehen Patienten mit einer ständig wachsenden Palette von Symptomen und Beschwerden. „Aber wenn es um das Aufholen der neuesten Forschung geht, haben viele nicht die Zeit oder Ressourcen“, erklärt Oliver Kreider die Lücke zwischen der Patientenversorgung auf der einen Seite und dem Fortschritt der Medizin auf der anderen.

Kreider ist im hessischen Bürstadt aufgewachsen und kam nach einer Reifenpanne im Wendejahr 89 zufällig nach Chemnitz. Hier verdiente er mit dem Autohandel sein erstes Geld. Später leerte er die Spielautomaten in Gaststätten aus, fuhr die Münzen eimerweise im Kofferraum seines Autos zur Deutschen Bank. 1992 verkaufte Kreider seine Firma, bekam sein erstes „großes Geld“ und stieg in das Immobiliengeschäft ein. Erst handelte er mit denkmalgeschützten Häusern, dann vor allem mit Insolvenzimmobilien. Million um Million blieb bei Kreider hängen, und der schämt sich nicht für den Erfolg, im Gegenteil. „Ich habe einfach den richtigen Blick für Häuser“, sagt der 47-jährige Unternehmer. Und das richtige Näschen für das Geschäft. Aus einer Insolvenz hat er die Friedensburg in Radebeul ersteigert, für nur 1,3 Millionen Euro. Hier ist auch der Firmensitz der NCLogis AG, hier hat Max Strauß auch noch ein Büro. Bis vor Kurzem war er Mieter in dem 750-Quadratmeter-Haus. Ein traumhaftes Anwesen hoch über der Elbe, das der Großkundenbetreuer von NCLogis nun wieder gegen eine Münchner Wohnung getauscht hat. Aus strategischen Gründen, wie Strauß betont. Schließlich sitzen in München die Programmierer von NClogics. Zudem kooperiere das Unternehmen sehr eng mit der Technischen Universität an der Isar. Ein Miteinander, dass man sich auch in Dresden gewünscht hätte, doch hier traf man nur auf „eine Mischung aus Behäbigkeit und Arroganz“.

Es ist der Wille zum Erfolg, der Max Strauß und Oliver Kreider eint. Der eine hat das Geld für die Innovation, der andere einen Namen, mit dem sich Türen leichter öffnen. Als Markenbotschafter möchte sich Max Strauß dennoch nicht verstanden wissen. „Franz Beckenbauer für Fußbälle oder Vettel für Autos, das mag funktionieren. Ich bin einfach nicht bekannt genug“, sagt er, und schiebt ein lautes Lachen hinterher, das keinen Widerspruch duldet. Max Strauß ähnelt seinem Vater, in der Statur, im Timbre und auch in seinen politischen Ansichten. Er hätte in der Politik Karriere machen können, hat sich aber entschieden, dem Vater den Vortritt zu lassen. „Und jetzt bin ich mit fast Sechzig zu alt.“ Wieder das donnernde Lachen.

Max Strauss verhandelt mit Kliniken über den Einsatz des klinisch validierten Systems, vermarktet unter dem Namen Dabo. Derzeit sind Gehirnmessungen (EEG), Muskelmessungen (EMG), Herzmessungen (EKG), Ganganalyse (3D-Beschleunigungssensoren) und Fragebögen in einem System einmalig kombiniert. Dabo misst, analysiert Messwerte, vergleicht die Patientendaten mit rund 100 000 Messprofilen. Wird ein Erregungszustand in einem bestimmten Hirnareal nachgewiesen, kann das der Hinweis auf eine Depression, Demenz, Angststörung, posttraumatische Belastungsstörung oder eine unfallbedingte Hirnverletzung sein. Wohlgemerkt, es ist ein Hinweis, noch keine abschließende Diagnose. Für die brauchte es weitere Tests.

Dennoch sind Kreider und Strauß überzeugt, dass ihr Produkt den Siegeszug in den deutschen Arztpraxen antreten wird. „Wir sind rein von der physikalischen Qualität Hightech, weil wir die modernste Technik konsequent umgesetzt haben“, sagt Max Strauß. Es gebe derzeit nichts Besseres am Markt, und das für einen fünfstelligen Kaufpreis. Genauer möchten die Unternehmer nicht werden. Der Dabo funktioniert nach einem Baukastenprinzip. Es gibt eine Basisvariante, und dazu kann jeder Arzt das kaufen, was er wirklich braucht, sagt Oliver Kreider.

Eine unabhängige Zulassungsstelle, die prüft, ob das Gerät auch das misst, was es verspricht, gibt es in Deutschland nicht. Mit der Konformitätserklärung CE bestätigt der Hersteller, dass das Produkt den produktspezifisch geltenden europäischen Richtlinien entspricht und entsprechend gehandelt werden darf. „Darüber hinaus haben wir die Zustimmung der Underwriters Laboratories eingeholt“, erzählt Strauß. UL genehmigt allerdings keine Produkte. Vielmehr prüft die Organisation Produkte, Komponenten, Materialien und Systeme, ob sie spezifischen Ansprüchen genügen.

Montiert wird die schwere Analyseinheit bei Advanced Instruments Manufacturing (AIM) im holländischen Brunssum. Damit sind auch endgültig die Pläne vom Tisch, eine entsprechende Fabrik in Radebeul oder Gera mit bis zu 300 Arbeitsplätzen zu errichten. Aus Holland stammt auch der Entwicklungschef des Unternehmens. Er beschäftigt sich schon viele Jahre mit psychischen Erkrankungen und den Spuren, die sie im menschlichen Gehirn hinterlassen.

Die über 100 000 Patientendaten, mit denen das Messprofil bei Dabo verglichen wird, stammen aus Pupmed, einer von der US-Regierung betriebenen Medizindatenbank, die frei zugänglich ist. „Neue Studien, neue Erkenntnisse werden von unseren Programmierern zeitnah eingearbeitet“, versichert Oliver Kreider. Wie viele Dabo-Systeme sein Unternehmen bereits verkauft hat, sagt er hingegen nicht. Das Interesse sei aber sehr groß. Einige Kliniken haben den Dabo testweise im Einsatz. Die Urteile variieren. „Das muss man verstehen, Mediziner haben lange studiert, und jetzt kommen wir und machen das, was vorher nicht sichtbar war, sichtbar“, sagt Kreider. Sichtbar wird aber nicht nur das Krankheitsbild, sondern auch der Therapieerfolg, so er sich denn einstellt. Das macht die Arbeit der Psychiater und Psychlogen quantifizierbar. Nicht jeder freut sich über diese Transparenz. Im Umkehrschluss sehen aber auch die Therapeuten, ob ein Patient seine Medikamente regelmäßig einnimmt oder nicht.

Das Dabo-System soll nur an Mediziner verkauft werden, nicht an Heilpraktiker oder Fitnesstrainer. Die Gefahr des Missbrauchs wäre zu groß. 2017 ist die Markteinführung in Amerika geplant. Dort erwartet das Unternehmen die ganz großen Umsätze. Wer Erfolg hat, hat mindestens zwei Psychologen. Und da die meisten Amerikaner auch nach ObamaCare ihre Behandlung immer selbst bezahlen müssen, sind sie an der Effizienz interessiert.

In Deutschland läuft eine Erprobung beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der von den vier großen Spitzenorganisationen der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen gebildet wird: der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband. Geben die Prüfer grünes Licht, kann die neue Diagnosemethode zu einer Regelleistung werden, und NCLogis darf mit den Krankenkassen verhandeln.

Auch wenn der amerikanische Markt groß ist, der Absatz in Deutschland ist wichtig. „Was hier eingesetzt wird, wird auch in Amerika gern genommen“, sagt Oliver Kreider. Er wird sich 2017 aus dem Vorstand des Unternehmens zurückziehen und in den Aufsichtsrat wechseln. Seine Nachfolge soll ein Profi für Medizintechnik übernehmen. „Das Unternehmen ist den Kinderschuhen entwachsen“, sagt Max Strauß. Er ist überzeugt, acht Jahre Entwicklung haben sich ausgezahlt. Doch Teil eines Start-Ups zu sein, ist auch für Max Strauß eine ungewohnte Rolle. „Wir haben einen Lernprozess hinter uns, waren teils naiv und haben jede Menge Kurskorrekturen vornehmen müssen“, sagt er.

Der Wille zum Erfolg, der sei aber ungebrochen.