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Das Salafismus-Problem der deutschen Schiiten

Der Salafismus gilt laut Verfassungsschutz derzeit als „dynamischste islamistische Bewegung“. Das beunruhigt auch andere Moslems im Land.

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© dpa

Von Anne-Beatrice Clasmann

Im Flur stehen fünf Paar Männerschuhe, ordentlich nebeneinander aufgereiht. Ansonsten weist nichts darauf hin, dass sich in diesem Zweckbau im Berliner Bezirk Neukölln Muslime zum Gebet treffen – es gibt kein Minarett und keine Kuppel. Neben dem Gebetsraum hat die 2009 gegründete Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS) ihr Büro.

Durch die Ankunft der Flüchtlinge sind viele islamische Gemeinden hierzulande innerhalb kurzer Zeit stark gewachsen. Die Schiiten verzeichnen in ihren Moscheen und Gebetsräumen ein Plus von etwa 30 Prozent. Die meisten schiitischen Neuankömmlinge kommen aus Afghanistan, Pakistan und aus Bahrain.

Die größte Gruppe unter den Schiiten, die schon länger in Deutschland leben, stellen allerdings die Iraner, gefolgt von den Afghanen, Libanesen und Irakern. Viele Iraner hatten ihr Land als Reaktion auf die Islamische Revolution von 1979 verlassen. Sie definieren sich vielleicht auch deshalb insgesamt weniger stark über ihre Religion, als dies bei muslimischen Zuwanderern aus der Türkei oder der arabischen Welt der Fall ist.

Dass Sunniten, die sich auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) berufen, inzwischen auch Anschläge in Europa verüben, beunruhigt die in Deutschland lebenden Schiiten genauso wie die deutsche Mehrheitsbevölkerung. Denn Teil der vom Salafismus inspirierten IS-Ideologie ist der Hass auf Schiiten, die von den Terroristen als „Abtrünnige“ geschmäht werden. „Es gibt auch Gläubige, die sagen, an einem Feiertag wie Aschura, wo normalerweise besonders viele Menschen zur Moschee kommen, bleiben sie aus Angst lieber zu Hause“, sagt Dawood Nazirizadeh, Vorstandsmitglied der IGS. Einige der 154 Mitgliedsgemeinden des Dachverbandes hätten inzwischen Sicherheitspersonal angeheuert, um ihre Gebetsräume bei Veranstaltungen zu sichern.

Der Salafismus ist für die Schiiten in Deutschland auch noch aus anderen Gründen bedrohlich. Denn obwohl es sich dabei um eine radikale Spielart des sunnitischen Islam handelt, haben sich vereinzelt auch junge Schiiten diesen Gruppen angeschlossen. „Es kommt auch vor, dass wir in Deutschland schiitische Muslime, die ihre eigene religiöse Tradition nicht wirklich kennen, an salafistische Gruppen verlieren“, sagt Nazirizadeh. Anfällig für die salafistische Missionierung seien vor allem „Menschen mit Identitätsproblemen“. Ihnen wolle der IGS ein alternatives Angebot machen.

Damit die im Ausland ausgebildeten Prediger die Lebenswelten der jungen Gläubigen in Deutschland besser verstehen lernen, beteiligt sich die IGS seit Oktober 2015 an einem Projekt des Goethe-Instituts zur „sprachlichen und landeskundlichen Fortbildung von Imamen“. Geplant worden war dieses Projekt, an dem 30 schiitische Prediger und 40 Imame der marokkanischen Gemeinden in Hessen, Hamburg und Berlin teilnehmen, schon vor der Ankunft von Hunderttausenden muslimischen Flüchtlingen ab Sommer 2015.

Doch auch auf einer weiteren Ebene erleben die Schiiten-Gemeinden den Salafismus als Problem. Ähnlich wie die Vertreter der großen sunnitischen Islam-Verbände ärgert sich auch Nazirizadeh, dass der „Islam der Mitte“ in vielen Foren und Medien weniger präsent ist als die Radikalen. Er sagt: „Das sieht man schon daran, dass man, wenn man bei YouTube ,Islam‘ eingibt, vor allem Salafisten und Islamhasser zu sehen bekommt.“ (dpa)