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Das Reich lässt grüßen

Die Bundesrepublik ist ein Bluff, sagen die „Reichsbürger“ und geben ihre Ausweise ab – auch in hiesigen Rathäusern.

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© Kristin Richter

Von Jörg Stock und Maria Fricke

Region Döbeln. Und wieder grüßt das Reich. Das „Präsidium des Deutschen Reichs“ mit Sitz in Fürstlich Drehna, Südbrandenburg, erlässt im Amtsblatt Nr. 1 die „Anordnung zur Entnazifizierung“. Ausweispapiere der BRD seien „Nazi“-Ausweise. Um die Menschenrechte wiederzuerlangen, solle jeder umgehend seine rechtmäßige Staatsangehörigkeit in einem der Bundesstaaten des Deutschen Reichs annehmen, gemäß Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom Juli 1913. „Sofern Sie dieser amtlichen Anordnung nicht folgen, können Sie sich strafbar machen!“

Ein Ausweis der sogenannten Reichsbürger.
Ein Ausweis der sogenannten Reichsbürger. © Kristin Richter
Unfug aus dem Faxgerät: Das „Präsidium des Deutschen Reichs“ ordnet an, die Ausstellung von „Nazi“-Ausweisen zu unterlassen.
Unfug aus dem Faxgerät: Das „Präsidium des Deutschen Reichs“ ordnet an, die Ausstellung von „Nazi“-Ausweisen zu unterlassen. © SZ/J. Stock

Das Pamphlet ist ein Symptom des Treibens der „Reichsbürger“ – mit konkreten Folgen für die örtlichen Ämter. Die müssen auch in der Region Döbeln damit leben, dass plötzlich Bürger vor ihnen stehen, die ihren Ausweis abgegeben wollen. Vor allem im Zuge der Flüchtlingswelle seien Bürger in Großweitzschen zur Verwaltung gekommen, um ihren Ausweis abzugeben, wie Bürgermeister Ulrich Fleischer (parteilos) sagt. Bekannt ist das von vier Personen, wie Diana Fiedler vom Einwohnermeldeamt ergänzt. Da die Anwohner jedoch noch über einen gültigen Reisepass verfügen, verstoßen sie nicht gegen die Ausweispflicht, die in Deutschland gilt. Wenn deutsche Staatsbürger sowohl ihren Personalausweis als auch ihren Reisepass abgeben, liegt ein Verstoß gegen die Ausweispflicht vor – eine Ordnungswidrigkeit

Durchaus auffälliger sind Reichsbürger in der Vergangenheit in das Rathaus Ostrau gekommen, wie Bürgermeister Dirk Schilling (CDU) sagt. Da sei auch schon mal ein Ausweis ins Zimmer geworfen worden. „Wir sind den Leuten mit gebotener Sachlichkeit begegnet, um nicht noch Öl ins Feuer zu gießen“, so Schilling. Die Abgabe des Ausweises sei nicht quittiert worden und die Anwohner wurden zudem auf die Ausweispflicht hingewiesen.

Auch in Döbeln sind schon einmal Ausweise abgegeben worden mit dem Verweis, dass die Bürger die BRD als Staat nicht mehr anerkennen, sagt Stadtsprecher Thomas Mettcher. Bei drei Personen war dies bislang der Fall. Ob sie jedoch noch im Besitz eines Reisepasses waren, kann Mettcher nicht sagen. Wenn sie kein Dokument mehr gehabt haben sollten, sei gegen sie ein entsprechendes Verfahren eingeleitet worden. Zudem sind einige Bürger aus dem selben Grund ihren offenen Forderungen gegenüber der Stadt nicht nachgekommen. „In dem Fall wird der rechtlich vorgegebene Verfahrensweg beschritten. Kommen die Personen den Zahlungsaufforderungen nicht nach, so wird die Angelegenheit an das zuständige Gericht übergeben“, erklärt Mettcher.

Der bekannteste Reichsbürger der Region dürfte einst in Hartha gelebt haben: Rosa von Zehnle. Er wollte sogar damals Bürgermeister der Stadt werden. Inzwischen ist der Mann aus Hartha verschwunden, wie Hauptamtsleiterin Barbara Müller sagt. Darüber hinaus sei jedoch in Sachen Reichsbürger Ruhe in der Stadt. Bisher habe noch niemand mit dieser Begründung seinen Personalausweis zurückgegeben. Auch Zehnle habe das nicht gemacht. Sein Ausweis sei kurz vor der Bürgermeisterwahl einfach ausgelaufen, so Müller.

Wie die Situation in Roßwein ist, bleibt offen. Die Stadt will sich zu dem Thema nicht äußern, so Bürgermeister Veit Lindner (parteilos). Aus dem Leisniger Rathaus gab es bis Redaktionsschluss keine Rückmeldung. In Waldheim habe bisher keiner seinen Ausweis zurückgegeben, wie Hauptamtsleiterin Barbara Wesler sagt.

Am 20. Dezember des vergangenen Jahres hatte sich das Landesamt für Verfassungsschutz (LfS) Sachsen an die Behörden und Gerichte gewandt, mit der Bitte, vorliegende Informationen zu Reichsbürgern an das LfS zu übermitteln. Seit dem 1. Dezember werden sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter vom LfS beobachtet, teilt Sprecher Martin Döring mit. „Das Ersuchen an die Kommunen dient zunächst dem Ziel, sich einen landesweiten Überblick über die Reichsbürgerszene in Sachsen verschaffen und das Personenpotenzial beurteilen zu können“, erklärt der Pressesprecher. Auch aus dem Altkreis Döbeln seien bisher schon Rückmeldungen eingegangen. Derzeit arbeite das LfS an einem umfassenden Lagebild zur Reichsbürgerszene in Sachsen.

Man gehe von rund 500 „Reichsbürgern“ im Freistaat aus, wovon etwa dreißig „Bezüge zu rechtsextremistischen Beobachtungsobjekten“ hätten, etwa zur NPD oder zu neurechten Gruppen wie den „Identitären“. Das Phänomen Reichsbürger zu erfassen, sei deshalb so schwierig, sagt Döring, weil es sich um ein nahezu uferloses Sammelbecken handele. „Es gibt viele Einzelaktivisten und Spinner fernab jeglicher Strukturen, die glauben, sich mit dem Staat ein permanentes Gefecht liefern zu müssen.“

In aller Munde sind die „Reichsbürger“ spätestens seit Oktober 2016, als einer von ihnen einen bayerischen SEK-Beamten erschoss. Von harmlosen Querulanten unterscheiden sie sich durch fixe Glaubenssätze. Der wohl wichtigste: Die BRD ist kein legaler Staat, sondern ein Verwaltungskonstrukt, erfunden nach Kriegsende von den Alliierten, um die Deutschen für dumm zu verkaufen und auszubeuten. Aus dieser Erkenntnis leiten „Reichsbürger“ das Recht ab, sich selbst zu verwalten oder provisorisch die Macht zu ergreifen.

Geläufige Protestform ist es, den Personalausweis irgendwie loszuwerden. „Reichsbürger“ wollen kein „Personal“ der Bundesrepublik sein. Auch halten sie die im Ausweis vermerkte Staatsangehörigkeit „Deutsch“ für gefälscht. Der einzig legitime deutsche Staat ist für die meisten Vertreter der Szene das „Deutsche Reich“ Weimarer Prägung, in dem man Staatsangehöriger eines Gliedstaats war, zum Beispiel des Freistaats Preußen. Erst unter Hitler wurde die einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit verordnet. So ist auch das Fax vom „Reichspräsidium“ zu deuten, wenn es von „Nazi“-Ausweisen spricht.

Weil die Reichsbürger von den „BRD-Vasallen“ ihrer Überzeugung nach keine korrekten Ausweise erhalten, basteln sie sich, quasi in Notwehr, selbst welche. Dabei sind ihnen „Reichsdruckereien“ im Internet behilflich. Einen Reichs-Personenausweis kriegt man für etwa 30 Euro, ein Reichs-Reisepass, „hundert Prozent Handarbeit“, kostet 90 Euro.

Strafrechtlich liegen solche Eigenbauten in einer Grauzone. Weil es die Staaten und Behörden, die in ihnen genannt sind, gar nicht gibt, kann streng genommen auch keine Urkundenfälschung vorliegen.