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Das Protokoll der Huldigung

Am 3. August vor 200 Jahren war ganz Görlitz auf den Beinen. Es galt, sich den neuen Landesherren als gehorsame Untertanen zu präsentieren.

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© Repro: Städtische Sammlungen

Von Sven Brajer

5 Uhr: Der 3. August ist zugleich der 43. Geburtstag von Preußenkönig Friedrich Wilhelm. Der Tag beginnt, indem eine halbe Stunde lang mit allen Glocken geläutet wird.

So sieht sie aus: die Schlussakte des Wiener Kongresses von 1815, in der auch die Trennung der Oberlausitz besiegelt wurde.
So sieht sie aus: die Schlussakte des Wiener Kongresses von 1815, in der auch die Trennung der Oberlausitz besiegelt wurde. © Repro: Archiv/dpa

5.30 Uhr: Vom Rathausturm erklingt das Morgenlied: „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, eine Kantate von Johann Sebastian Bach.

7 Uhr: Das Ratskollegium, das Offizierskorps der Garnison des Zweiten Königlich West-Preußischen Landwehr-Infanterie-Regiments, die geladenen Herren der Landstände sowie weitere besonders erbetene Gäste versammeln sich vor dem Rathaus auf dem Untermarkt. Anführer der Versammlung sind Leutnant von Dombrowsky, Leutnant Geiß und Leutnant Wittke. Die Bürgergarde erscheint mit Fahnen und Musikkapelle.

8 Uhr: Die Abordnung marschiert zur Peterskirche. Dazu kommen „die Herren Lehrer am Gymnasium mit den sämtlichen Zöglingen dieser gelehrten Schule im Feierkleid und in Prozession in die Kirche gezogen, ebenso sämtliche Schullehrer der vier Schulen und die Lehrer am Waisenhaus mit ihren Schulknaben und Mädchen und den Waisenkindern“. Der feierliche Zug wird begleitet mit dem erneuten Läuten aller Glocken und mit mehreren Kanonenschlägen. In der Peterskirche hält Archidiakon M. Janke eine „der Feier des Tages angemessene und sehr zweckmäßige Huldigungspredigt“, wie die lokale Presse am nächsten Tag befindet.

10 Uhr: Nach der Predigt donnern erneut die Waffen. Vor der Peterskirche hat eine Abteilung der Görlitzer Garnison Aufstellung genommen und gibt drei Ehren-Salven ab. Dann ziehen alle Festgäste zum Obermarkt. Dort hat das städtische Bauamt vor der in Richtung Brüderstraße gelegenen Treppe des Salzhauses (heute nicht mehr vorhanden) eine Art Tempel errichten lassen. Das später Portikus genannte Bauwerk wird als ägyptischer Stil gedeutet und mit reichhaltigen Blumengewinden verziert. In dem Tempel dient eine Büste der Verehrung seiner königlichen Majestät von Preußen. Die Anwesenden salutieren vor dieser. Die Bürgerwehr hält Ehrenwache mit Musik.

12.30 Uhr: Alle Teilnehmer des Zuges in die Kirche werden zum Imbiss ins Rathaus eingeladen. Dazu kommen noch Stadtprediger, weitere Lehrer, zwölf Stadtdeputierte und 90 Abgeordnete der Görlitzer Bürgerschaft. Eingeladen sind auch die beiden Ältesten der Görlitzer Schützengilde, die ihre Ehrenfahnen mitbringen. Major von Zelewsky lässt zeitgleich auf dem Untermarkt die hiesige Garnison zur Parade in zwei Linien aufstellen. In Nebenstraßen sammeln sich langsam die Zuschauer, bald sind es Tausende.

14 Uhr: Der festliche Zug aller Versammelten setzt sich vom Rathaus aus zur symbolischen Huldigungs-Feier auf dem Obermarkt vor dem Tempel in Bewegung. Der übrige Platz ist von den gesamten Einwohnern und vielen Fremden aus benachbarten Städten und Dörfern besetzt, die zur Teilnahme an dieser Feier nach der Predigt vom Magistrat zum Erscheinen auf dem Obermarkt eingeladen worden waren. Stadtrichter Dr. Straphinus steigt auf die Stufen des Altars des Tempels und spricht zu den Versammelten. Die Zeitung notiert: „Worte des Herzens. Hohe Wichtigkeit des Tages. Gelobt sei der Name der Stadt Görlitz und aller Anwesenden als dem neuen allerhöchsten Regenten schuldige Untertanen. Gelöbnis der Treue und des Gehorsams. Von Gott erbetenes Heil für das neue Vaterland und das königliche Haus.“ Dann folgen die üblichen Vivat-Hochrufe. Die Musikkapelle intoniert Hymnen und Märsche, die Garnison schmettert weitere Salven in den Himmel. Zum Schluss der Feierstunde singen alle tausende Besucher gemeinsam „Den König segne Gott, ruft jeder Patriot.“ Mehrmals wird dieser Gesang angestimmt. Dann setzt eine markante Musik der Bürgergarde-Kapelle den Schlusspunkt.

15.30 Uhr: Langsam leeren sich Obermarkt und benachbarte Straßen und Gassen. Die Menschen diskutieren das Erlebte, besuchen die Schenken der Stadt, doch ihre Gespräche sind zwiespältig. Man habe den neuen Herrschern gehuldigt, ja, aber im Herzen ist mancher eher doch noch mehr den bisherigen sächsischen Landesherren verbunden.

16 Uhr: Um diesen doppelt feierlichen Tag als Huldigungs-Tag und zugleich als gesegneten Tag „der Geburt unsers allgnädigsten Königs und Landesvaters durch Bezeugung öffentlicher Freuden und Frohgenuss zu erhöhen“, so die offizielle Begründung, lädt der Magistrat der Stadt Görlitz zu einem Mittagstisch ein – um 16 Uhr ungewöhnlich spät. Im Saal des Rathauses und im Kleinertschen Garten-Saal wird aufgetafelt, wobei die mehreren hundert Personen dafür vorher ausgewählt wurden. An der Auswahl war auch schon die neue preußische Verwaltung beteiligt, oder, wie es tags darauf in der Zeitung stand, „mit frohem Anteil dabei“. Der Magistrat hatte auch für die in Görlitz stationierte Garnison ein Festessen gegeben, und auch an sozial bedürftige Menschen wurde an jenem Tag vor 200 Jahren gedacht: Insassen von Hospitälern, dem Waisenhaus und sogar die Gefangenen im Görlitzer Zuchthaus bekamen zur Feier des Tages eine extra Mahlzeit verabreicht. Was es genau zu essen gab, ist allerdings nicht überliefert. Nachzulesen ist nur, dass allein die 150 Gedecke im Saal des Rathauses eine aufwendige Angelegenheit für die Bediensteten wurden.

20 Uhr: Stadtmitarbeiter beleuchten den hölzernen Tempel auf dem Obermarkt, alle öffentlichen Gebäude, den Rathausturm, die Bibliothek, das Königliche Amtshaus. Auch viele Bürger beginnen, ihre Häuser zu illuminieren.

21 Uhr: Wieder zieht sich ein großer Marschblock durch die Stadt. Der „Zug der ersten Klasse“, wie die Ältesten des Görlitzer Gymnasiums bezeichnet werden, begibt sich über die Peterstraße, wo dem Herrn Stadtrichter Dr. Straphinus ein Vivat entgegengebracht wird. Dieser hatte am Huldigungstag das Sagen in der Stadt Görlitz. Denn die Bürgermeister Sohr und Neumann sowie der Polizeidirektor waren in Merseburg zur Generalhuldigung für Wilhelm Friedrich geladen.

22 Uhr: Der Zug der Gymnasiasten marschiert zum Obermarkt. Die jungen Leute tragen Fackeln und singen Lieder. Auch aus anderen Görlitzer Straßen kommen nächtliche Besucher mit Fackeln und Öllampen auf den Platz. Im Schein der Lampen nehmen sie noch einmal die Inschriften am Tempel in sich auf. „Dem edlen Könige von Preußen Ehrfurcht, Liebe, Gehorsam, Treue – die Stadt Görlitz“ steht auf der einen Seite. Auf der anderen ist dies zu lesen „Fridericus Wilhemus III – Liebe gründet des Volkes Treue“. Beleuchtet in der Nacht empfinden viele den hölzernen Tempel als kolossal. Die Fackelträger stapeln schließlich ihre Lichtbündel vor dem Bauwerk zu einem mächtigen Opferfeuer übereinander. Die gleißende Helligkeit lässt erkennen, dass tagsüber noch viel mehr Blumen, Girlanden und Inschriften dazugekommen sind.

23.45 Uhr: Der Stadtschreiber notiert: „Alle Anordnungen zu diesem Feste waren vom Magistrate zweckmäßig und trefflich ausgeführt worden und so zur Freude aller Einwohner dieser Tag ohne die geringste Störung vollbracht. Heil dem König! Heil dem Neuen!“

Der Dresdener Historiker Sven Brajer ist Mitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. In diesem Jahr erhielt er den Hermann-Knothe-Preis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.