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Das Planstädtchen

Niesky ist vor 275 Jahren am Reißbrett entworfen worden. Doch wer sind die Stadtväter gewesen?

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© André Schulze, Hubert Teuchner

Von Alexander Kempf

Niesky. Wer eine Zeitreise in die Geschichte Nieskys unternehmen will, der muss nur die Tür des Raschkehauses am Zinzendorfplatz öffnen. Denn das Stadtmuseum ist ein Stück gelebte Geschichte. Das älteste Haus am Platz trägt den Namen des ersten Nieskyer Ortsvorstehers. Johann Raschke, ein Leinenweber aus Böhmen, ist im Frühjahr 1742 per Los für das Amt bestimmt worden. Also fünf Monate bevor im Sommer des gleichen Jahres in Niesky die Grundsteine für die ersten drei Häuser gelegt worden sind.

Denn Niesky ist deutlich jünger als viele umliegende Dörfer und nicht historisch gewachsen. Der Ort war die erste Tochtersiedlung der Brüdergemeine aus Herrnhut. Sein exotischer Name ist dabei kein Zufall gewesen. Die Gründungsväter tauften den Ort „Niedrig“, im Sinne von „niedrig vor Gott“. Da in der Siedlung vor allem aus dem katholischen Österreich geflohene evangelische Böhmen leben sollten, übersetzten die Gründungsväter den Namen aber ins tschechische „Niesky“. Tatsächlich kamen später keine Hundert religiöse Flüchtlinge aus Böhmen nach Sachsen. Der Name Niesky aber ist geblieben.

Möglich machte die neue Siedlung erst Siegmund August von Gersdorff, ein adliger Baumeister, welcher 1741 in Herrnhut die Brüdergemeine kennenlernte und sich ihr anschloss. Denn er stellte der aus der böhmischen Reformation kommenden Glaubensbewegung auf seinem Gut Trebus überhaupt erst Land für die böhmischen Flüchtlinge zu Verfügung. Auch das Aussehen Nieskys hat Siegmund August von Gersdorff maßgeblich geprägt. Er legte die Maße des späteren Zinzendorfplatzes fest und lieferte die Pläne für viele der typischen Häuser der Brüdergemeine. Später wurde er sogar Generalbaumeister der Brüdergemeine.

Johann Raschke, der erste Ortsvorsteher Nieskys, blieb bis 1751 im Amt und half der Siedlung so durch die schwierigen Anfangsjahre. Seine eigene Leinenweberei hatte er schon 1747 als unrentabel aufgegeben. Um der Gemeinde nicht zur Last zu fallen betrieb Johann Raschke aber bis zuletzt Landwirtschaft. Auch nach ihm bestimmte die Brüdergemeine die Geschicke des Ortes und baute es zu einem Zentrum für Handwerk und Handel für die umliegenden Dörfer aus. Bis 1842 durften sich nur Mitglieder der Glaubensgemeinschaft in Niesky ansiedeln. Erst 1892, also ganze 150 Jahre nach der Gründung, verfügte die preußische Regierung auch für Niesky eine zivile Verwaltung und der Einfluss der Glaubensbewegung wurde kleiner.

Doch auch der wirtschaftliche Aufschwung des Ortes während der industriellen Revolution wäre ohne die Brüdergemeine kaum denkbar gewesen. Kommerzienrat Johann Ehregott Christoph kauft 1835 die alte Kupferschmiede in Niesky auf und baut diese in den kommenden fünf Jahrzehnten zu einer bedeutenden Fabrik für Dampfmaschinen und Eisenbahnbrücken aus. Später erlangte der Betrieb unter den Namen Christoph und Unmack auch für seine Fertigteilhäuser aus Holz Weltruhm. Mehr als 4 000 Beschäftigte arbeiteten Anfang der 1920er Jahre für die Aktiengesellschaft in Niesky.

Ihr Stadtrecht erhielt die am Reißbrett entworfene Siedlung aber erst 1935. Es ist Historikern wie Peter Sebald zu verdanken, dass heute so viel über den Ort bekannt ist, der sich in weniger als 300 Jahren zu einer Großen Kreisstadt entwickelt hat. Der Zinzendorfplatz bleibt das Herzstück der Stadt. Und auch beim Wiederaufbau Nieskys nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sehr darauf geachtet, dass die neuen Häuser die gleichen Höhen und Ziegeldächer wie ihre Vorgängerbauten haben. Zuvor sind 38 Häuser ganz und 27 teilweise zerstört worden.

Der Artikel wurde am 3.1.2017, 13.04 Uhr, zuletzt aktualisiert.