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Das Paar mit den heilenden Händen

Hartmut und Romy Sommer betreiben seit einem Vierteljahrhundert eine Physiotherapie in Niederau – und das trotz eines schweren Handicaps.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Niederau. Eigentlich war Hartmut Sommers Berufsweg vorgezeichnet. Seine Eltern betrieben eine Gaststätte in Schieritz. Zeitig war klar, dass er und sein Bruder diese Gaststätte einmal übernehmen werden. Und so wurde der heute 55-Jährige folgerichtig Kellner, arbeitete im elterlichen Betrieb. Doch dann wurde alles anders. Wegen einer schwerwiegenden Augenerkrankung ging das nicht mehr. Sommer schulte um zum Masseur. Bei der Ausbildung lernte er seine Frau Romy kennen. Auch sie ist schwer sehbehindert. Dennoch standen sie im Beruf ihren Mann bzw. ihre Frau. Sie im Riesaer Krankenhaus, er in der Lommatzscher Poliklinik. Glücklich werden sie dabei nicht. „Zu DDR-Zeiten waren wir Physiotherapeuten doch Kellerkinder. Ich erinnere mich noch, wie ich in die mit sechs bis acht Leuten belegten Krankenzimmer kam, fragte, wer von ihnen mein Patient ist. Unter solchen Bedingungen wollte ich nicht ein Leben lang arbeiten“, sagt die 51-jährige Romy Sommer.

Und dennoch: Selbstständig zu werden, das hatten sie und ihr Mann nie im Sinn. Bis 1991. Da wagt eine ihrer Kolleginnen den Sprung in die Selbstständigkeit. Zur Eröffnung sind die Sommers eingeladen. Und sind begeistert. „Wir sahen, dass es auch anders geht als im Krankenhaus oder in der Poliklinik“, sagt Hartmut Sommer. Doch die Suche nach einer passenden Praxis in Meißen ist nicht von Erfolg gekrönt. Doch dann wird eine Physiotherapie in Niederau ausgeschrieben. Die Sommers ergreifen ihre Chance, bewerben sich. Und bekommen den Zuschlag. In dem gemeindeeigenen Gebäude eröffnen sie 1992 ihre eigene Praxis. Auf 65 Quadratmetern. Klein, aber mein. Gleich nebenan sitzt die Hausärztin. Die Zusammenarbeit funktioniert gut.

Doch dann geht die Ärztin in den Ruhestand, die Sommers stehen vor einem weiteren Problem. Ihr Patientenstamm ist stark gewachsen, doch erweitern geht nicht. Sie haben einen Plan. Wollen in Niederau ein eigenes Haus mit Praxisräumen bauen. 1998, nach nur neun Monaten Bauzeit, ziehen sie ein. Jetzt haben sie 200 Quadratmeter in acht Räumen zur Verfügung, für Massage oder Krankengymnastik. Auch Unterwassermassage wird lange Zeit angeboten, aber wenig genutzt. Sie wird es nach einem Umbau nicht mehr geben. „Als wir einzogen, waren wir glücklich, aber auch unsicher. Wir hatten schließlich sehr viel Geld in die Hand genommen, mussten uns verschulden. Dabei haben wir keine Möglichkeit, die Einnahmen zu erhöhen, können wir unsere Preise nicht selbst kalkulieren, bekommen sie von den Krankenkassen vorgeschrieben“, sagt Hartmut Sommer. Für ihn gibt es die klassische Physiotherapie nicht mehr. Nicht nur die Krankheitsbilder, auch die Behandlungsmethoden seien viel komplexer geworden. Deshalb setzen die Sommers, die mittlerweile zwei Angestellte haben, auf kontinuierliche Weiterbildung. So qualifiziert sich Romy Sommer derzeit abends und an den Wochenenden zur Heilpraktikerin. „Ich kann Kollegen nicht verstehen, die Weiterbildung ablehnen, weil sie nur Geld koste. Dieses Geld holen wir doppelt und dreifach wieder rein“, sagt ihr Mann. Immer mehr Krebspatienten kommen zur Nachsorge in die Physiotherapie. Ein Problem ist auch Migräne. Selbst ein Konzept für Schulkinder wegen Migräne und Schulstress haben die Sommers entwickelt. „Die Behandlung ist das eine. Doch zuvor muss die Ursache gefunden werden“, sagt Romy Sommer.

Mehr als 5 000 Patienten gingen bisher in den 25 Jahren durch die heilenden Hände von Romy und Hartmut Sommer. Obwohl beide nicht Auto fahren können, machen sie Hausbesuche. Hartmut Sommer nimmt das Fahrrad, zumal die meisten Patienten aus einem Umkreis von fünf Kilometern kommen. Seine Frau wird gefahren. Immer noch kommen treue Patienten aus Zehren bis nach Niederau.

Die Sommers behandeln ihre Patienten nicht nur, sie animieren sie auch, aktiv mitzumachen. Das ist nicht immer einfach. Nur etwa 20 Prozent der Patienten wollten sich helfen lassen. „Um gesund zu werden, bedarf es auch eigener Anstrengungen. Da genügt es nicht, sich auf die Pritsche zu legen und sich behandeln zu lassen, sondern man muss eigene Anstrengungen unternehmen, seine Komfortzone verlassen“, sagt Hartmut Sommer. Und redet sich ein bisschen in Rage. „Manche müssten nicht chronisch krank sein, wenn sie bestimmte Spielregeln des Lebens einhalten würden“, sagt er. Und meint vor allem, aber nicht nur, das Rauchen, für das er keinerlei Verständnis hat und das Ursache für viele Erkrankungen ist. Doch es gibt ja auch andere. „Es macht Spaß, mit Leuten zu arbeiten, die sagen, ich möchte gesund werden, ich mache mit“, so Romy Sommer.

Wer die Praxis mal übernimmt, ist unklar. Die 24-jährige Tochter jedenfalls studiert Betriebswirtschaft und Recht, kommt dafür nicht infrage. Doch ans Aufhören denken die Sommers ohnehin nicht. Auch nach Erreichen des Rentenalters möchten sie zumindest für ein paar Stunden in der Praxis arbeiten.

Bereut haben beide die Selbstständigkeit jedenfalls nicht, sagen sie. Und dass es bei Hartmut Sommer letztlich nichts mit dem kellnern und der Übernahme des elterlichen Betriebes wurde, ist auch nicht schlimm. Den führte sein Bruder. Bis zum vorigen Jahr. Seitdem ist er geschlossen.