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Das Ost-Produkt ist tot

Klassiker aus Mitteldeutschland verkaufen sich heute nicht mehr über Nostalgie – so die Erkenntnis der Ernährungsbranche. Auch wenn sich das Klischee hartnäckig hält.

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© Sebastian Willnow

Von Sven Heitkamp

Leipzig. 150 Lebensmittelproduzenten aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt präsentierten sich gestern im Schkeuditzer Globana-Handelszentrum mehr als 500 Großeinkäufern. Kathi, Nudossi, Vita-Cola, viele ostdeutsche Klassiker waren dabei. Und in einem waren sich fast alle einig: Das Ost-Produkt ist tot. Das verstaubte Image, mit dem sich viele traditionelle Marken aus DDR-Zeiten in den 90er-Jahren teils erfolgreich gegen massive Westkonkurrenz stemmten, zieht heute nicht mehr. Auch wenn sich das Klischee hartnäckig hält.

Thomas Hartmann kennt das Dilemma. Der Geschäftsführer der Sächsischen und Dresdner Back- und Süßwaren in Radebeul – bekannt vor allem als Nudossi-Produzent – sagt: „Herkunft ist wichtig. Aber für ein Unternehmen, das in den nationalen Markt will, darf es kein Ost und West mehr geben.“ Die Ost-Marken sollten daher dringend den Generationswechsel bedenken. Nudossi etwa hat zwar im Osten einen Bekanntheitsgrad von 86 Prozent – im Westen aber bisher erst 21 Prozent.

Diese Quoten will Hartmann steigern und zugleich neue, junge Käufer auftun. Einer seiner Werbeträger ist Richard Freitag, der 23-jährige Skispringer aus dem Erzgebirge, der vorigen Winter einen Weltmeistertitel holte.

Freitag hat „Nudossi“ auf seinen Skiern stehen. Wenn er im Fernsehen zu sehen ist, gehen die Klicks auf der Nudossi-Internetseite um das 15-fache hoch. „Das muss man ausbauen“, sagt Hartmann. Bei Facebook zum Beispiel, wo der Skiflieger 42 000 Personen gefällt – die Haselnuss-Nougat-Creme aber erst 9 400 Freunden. Junge Leute würden heute zudem stark auf Nachhaltigkeit achten, erzählt der Radebeuler Süßwaren-König. Deshalb sei es ein Plus, dass sein Brotaufstrich viel mehr Haselnüsse und weniger Palmfett enthalte als andere. Der freche Slogan dazu: „Voll auf die Nuss“.

Vorigen Herbst hatte eine Studie der „MDR Werbung“ festgestellt: Der Lokal-Patriotismus für Marken aus dem Osten wächst sich aus Altersgründen langsam aus. Junge Leute machen 25 Jahre nach dem Mauerfall kaum noch einen Unterschied zwischen Ost und West. Der Impuls, altbekannte DDR-Produkte zu kaufen, sei bei der jüngeren Generation nicht mehr so ausgeprägt wie bei den über 40-Jährigen. Auch laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts für Demoskopie landen Nostalgie und Gewohnheit aus Vorwendezeiten immer seltener im Einkaufswagen. „Ostprodukte sollten einer Verjüngungskur unterzogen werden“, rät Ralf Sippel, Chef des Chemnitzer PR-Unternehmens Zebra-Consult.

Heimat ja, Osten nein

Vita-Cola hat sich längst auf den Weg gemacht. „Wir sind raus aus der Ostalgie. Wir wollen nicht die Ewiggestrigen sein“, sagt Geschäftsführer Thomas Heß. Von dem Cola-Getränk, das vor allem im Osten erzeugt und getrunken wird, werden seit vielen Jahren ziemlich konstant rund 50 Millionen Liter verkauft. Zugleich aber erobert der Getränkekonzern massenhaft neue Käufer mit einer neuen Produktpalette: Stolze 30 Millionen Liter sind durch Limonaden-Mixe wie „Brazil“, „Exotic“, und „Caribic“ und durch Cola-Kreationen dazugekommen. Junge Leute spricht das Label als Sponsor von Musik-Wettbewerben, Breakdance-Akademien und Konzerttouren an. „Wir leugnen unsere Wurzeln nicht, wollen die Marke aber zugleich durch Innovationen überregional platzieren“, sagt Heß.

Ähnliche Beispiele lassen sich viele erzählen, ob bei Riesaer Nudeln, Filinchen – oder bei Kathi. Die Backmischungen aus Halle präsentieren sich für junge Familien ebenfalls neu: weg von traditionellen Kuchen hin zum bunten Familienblech. Der Papageienkuchen, ein Muss bei jedem Kindergeburtstag, verkauft sich bereits 600 000 Mal im Jahr. 2013 erfunden, macht er nun die Hälfte der verkauften Packungen aus. „Das Produkt ist etwas, das man Kathi abkauft“, sagt Verkaufsmanager Stephan Hesse. „Man muss aus der Ostschiene raus und sich als gesamtdeutscher Hersteller mit Standort im Osten präsentieren.“

Sachsens Agrarminister Thomas Schmidt (CDU) hat den Trend ebenfalls beobachtet. „Es geht heute um hohe Qualität, um regionale Herkunft und um Heimat – statt um das Ostprodukt“, sagte Schmidt gestern zur Eröffnung der Warenbörse. Und die Nachfrage steige. Junge Käuferschichten, so ergänzte seine Thüringer Amtskollegin Birgit Keller, schauen heute darauf, wo ein Produkt und seine Rohstoffe herkommen und wie weit etwa Transportwege sind. Dafür sei die mitteldeutsche Warenbörse eine gute Anlaufstation.

Wermutstropfen dabei: Nach der Premiere im November 2013, als 82 der 163 Aussteller aus Sachsen kamen, waren es gestern nur noch 55 der 150 Unternehmen. Dafür ging die Zahl der Fachbesucher deutlich nach oben: von etwa 300 auf mehr als 500 Einkäufer von Großkunden, je zur Hälfte aus dem Einzelhandel sowie aus der Gastronomie und Hotellerie. Unter ihnen Roger Ulke, Vorstand bei der Konsum Dresden Genossenschaft, der mit fünf Einkäufern angereist war. Ein Drittel des Sortiments seien bereits regionale Produkte, erzählte Ulke. Und er hat schon wieder neue Produkte entdeckt.