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Das neue Robotron

An der Lingnerallee entsteht ein Wohngebiet mit bis zu 3 000 Wohnungen – auch für Fledermäuse.

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© Visualisierung: Peter Kulka Architektur

Von Sandro Rahrisch

Fast nichts erinnert mehr an die Computerschmiede der DDR: Das alte Robotron-Atrium I an der Bürgerwiese ist schon gefallen und das ehemalige Rechenzentrum nebenan wird gerade in Trümmer gelegt. Zwischen St. Petersburger Straße und Hygienemuseum wird alles vorbereitet für Dresdens neues City-Wohnquartier, den „Lingner Altstadtgarten“ mit bis zu 3 000 Wohnungen. Dafür müssen allerdings auch über 300 Bäume fallen, und Fledermäuse verlieren ihr Zuhause.

Das Gebiet, um das es geht, ist fast siebenmal so groß wie der Altmarkt. Der Investor Immovation hatte die Fläche Ende 2014 gekauft. In der ersten Phase soll ein Karree mit zwölf Häusern zwischen der Lingnerallee, der St. Petersburger Straße und dem Blüherpark gebaut werden. Nächstes Jahr könnten die Arbeiten losgehen, sofern der Bebauungsplan noch in diesem Jahr rechtskräftig wird. Bis 2025 sollen die restlichen Häuser gebaut werden, zuletzt jene zur Grunaer Straße hin.

Damit fällt zunächst ein großer Lebensraum für Tiere und Pflanzen weg. Auf dem Gelände sind 17 Brutvogelarten und sechs Fledermausarten gefunden worden, teilt das Stadtplanungsamt nach der Artenschutzprüfung mit. Der Juchtenkäfer ist zwar nicht aufgetaucht. Wegen ihm waren Naturschützer beim Bau der Waldschlößchenbrücke vor Gericht gezogen. Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich ein paar Käfer in hohlen Baumstämmen verstecken. Deshalb sollen Experten dabei sein, wenn gefällt wird. Ein Hindernis stellen die Funde aus Sicht der Stadtverwaltung aber nicht dar. Denn westlich des Hygienemuseums soll der Blüherpark erweitert werden.

Dafür müssten der Caravanparkplatz, der Parkplatz Zinzendorfstraße sowie die Fläche der Betriebsgaststätte vom Fundament befreit, also entsiegelt werden. Noch befinden sich Teile aber in Privatbesitz. Die Stadt strebt einen Grundstückstausch beziehungsweise eine Vereinbarung mit den Eigentümern an, um die Immobilien in kommunales Eigentum zu überführen.

Auch für die neue Lingnerstadt selbst stellt Dresden hohe Anforderungen an den Naturschutz. So muss der Investor sowohl die Dächer als auch die Innenhöfe zu mindestens 70 Prozent begrünen, um einen neuen Lebensraum für Insekten zu schaffen. Auch Fledermäuse ziehen in die direkte Nachbarschaft: An den Neubauten werden über 50 Kästen für die Tiere angebracht. Für die gefällten Bäume müssten eigentlich 666 neue gepflanzt werden. Geplant sind jedoch nur etwa 240. Immovation soll deshalb einen Betrag an die Stadt zahlen, damit diese an anderer Stelle neue Bäume einsetzen kann.

Das neue Viertel, das der Dresdner Stararchitekt Peter Kulka mit Kollegen aus Köln und Kaiserslautern geplant hat, soll eine Hommage an die Gründerzeit werden, die dieses Gebiet vor der Kriegszerstörung architektonisch prägte. „Wir wollen die dichte, städtische Situation, wie sie vor 1945 war, wiederaufleben lassen, ohne es in eine banale Rekonstruktion münden zu lassen“, sagte er. Eine Fassade erhält eine Putzstruktur, die nächste Naturstein, die übernächste vielleicht Ziegel. Hinzu kommen unterschiedliche Gebäudehöhen. Große und kleine Wohnungen soll es geben, für Familien mit Kindern, für Studenten, für Singles. In den Erdgeschossen wird etwas mehr Luft gelassen, für Cafés, Bäckereien und Ateliers.

Für die Bewohner wird es den Plänen zufolge viele ruhige Ecken zum Entspannen geben, obwohl sie mitten in der Stadt wohnen werden. Die Erdgeschosswohnungen erhalten zum Beispiel einen direkten Zugang zu den Innengärten, die darüber liegenden Etagen Balkone, die obersten Dachterrassen. Die Karrees zur St. Petersburger Straße hin werden kaum durchbrochen, damit kein Verkehrslärm in die Gärten dringt. Auf den neu angelegten Straßen soll Tempo 30 gelten, so können Kinder dort spielen. Zwischen dem Rathaus und dem Hygienemuseum möchten die Stadt und Architekt Kulka die Sichtachse erhalten und einen großzügigen Weg schaffen, auf dem die Dresdner zum Großen Garten flanieren können.