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Das Mädchen vom Wandbild

Ein Stück Großröhrsdorfer Schulgeschichte musste der Wärmedämmung weichen. Eine Zeitzeugin erinnert sich.

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Von Reiner Hanke

Großröhrsdorf. Es ist weg. Das Wandbild. Dunkle Platten verdecken das Graffito an der Großröhrsdorfer Oberschule. Wärmedämmung und Energiesparkonzepte haben gegenüber der Schulgeschichte den Vorrang erhalten. Auch das Mädchen oben im Bild neben dem Zuckertütenbaum mit den frechen Zöpfen ist jetzt unsichtbar. Es ist nicht irgendein Großröhrsdorfer Kind.

Gisela Kuhnert als das Wandbild an der heutigen Oberschule Großröhrsdorf entstand. Sie ist das Mädchen am Zuckertütenbaum.
Gisela Kuhnert als das Wandbild an der heutigen Oberschule Großröhrsdorf entstand. Sie ist das Mädchen am Zuckertütenbaum. © privat
Die ehemalige Großröhrsdorfer Schülerin arbeitet heute als Krankenschwester.
Die ehemalige Großröhrsdorfer Schülerin arbeitet heute als Krankenschwester. © René Plaul

Dieses Mädchen hat einen Namen. Es ist die kleine Gisela. Damals Kuhnert. Heute ist sie schon lange verheiratet und wohnt als Gisela Gottschalk im benachbarten Pulsnitz. Sie erinnert sich noch genau, wie das damals war. Anfang 1967 wurde die Schule eröffnet, und sie kam genau in dem Jahr in die 1. Klasse. Die neue Schule kannte sie schon ein bisschen. Denn gegen Ende der Bauarbeiten sei sie durch den Neubau gewuselt, mit hüpfenden Zöpfen. Während ihre Mutter dort den Putzlappen schwang, wenn die Handwerker Feierabend hatten. „Da ist der Künstler wahrscheinlich aufmerksam geworden“, sagt Gisela Gottschalk. „Setzt dich doch mal“, habe er sie gebeten und den Stift zur Hand genommen. Wer das war, wisse sie nicht. Über den oder die Künstler ist überhaupt nur wenig zu erfahren. In einer Chronik wird vom Mal- und Zeichenzirkel geschrieben.

Auf dem Gerüst haben nach SZ-Informationen damals wohl Lehrer gestanden und das Bild selbst in den Putz geritzt. Gisela Gottschalk: „Im Vorbeigehen habe ich es allen immer gern gezeigt: Schaut mal, das Mädel dort oben mit den Zöpfen, bin ich.“ Die sind natürlich längst Vergangenheit. Aber was für die 55-jährige Krankenschwester viel schlimmer ist: das Bild nun auch. Sie sei extra noch einmal vorbei gefahren: „Da war es aber schon zugekleistert.“

Als Denkmal anerkannt worden

Nun bleiben ihr nur Fotos von dem Bild. Vom unsichtbaren Denkmal. Den Schutzstatus erhielt es jetzt noch kurz vor knapp. Verschwunden ist es dennoch – mit ein paar Auflagen. So durfte das Bild unter der Verkleidung nicht beschädigt werden. Während Gisela Gottschalk auf ein Foto von dem Relief schaut, schleichen sich ein paar Tränen in die Augenwinkel. Traurig und enttäuscht ist die frühere Großröhrsdorferin. „Das Bild hat so viele Schüler begleitet, es ist doch ein Zeitzeugnis und strahlt die Lebensfreude der 1960er-Jahre aus. Es ist nicht hochtrabend, sondern bodenständig, zukunftsfroh und vor allem friedlich.“ Dafür steht die Taube oben rechts. „Genau so waren wir damals angezogen“, erinnert sich Gisela Gottschalk. „Es ist unsere Vergangenheit.“ Die zu kennen sei so wichtig, um die Zukunft gestalten zu können. Dass das Wandbild noch in letzter Minute als Denkmal anerkannt worden ist, sei erfreulich, aber nur ein schwacher Trost. Dass es dennoch zugekleistert werden durfte, sei für sie völlig unverständlich: „Es ist wie bei vielen Sachen nach der Wende. Aber wie soll man über ein Denkmal nachdenken, das nicht mehr zu sehen ist?“ fragt die Pulsnitzerin. Zu ihrer Zeit sei das Bild oft Thema im Unterricht gewesen. Das könnte den Schülern auch heute nicht schaden, wenn sie sich mit der DDR- und Schulgeschichte befassen. Zu beidem gehört das Bild. Dabei sei es noch relativ neutral gehalten worden, kaum mit politischen Symbolen, vom Pionierhalstuch abgesehen. Gerade an die ersten Schuljahre erinnere sie sich sehr gern, die Pionierzeit eingeschlossen, berichtet Gisela Gottschalk. Einen blauen Plisseerock habe sie damals zum blauen Halstuch getragen. Der Rock kam von Verwandten im Westen, verrät sie und schmunzelt.

Der Kreis investiert

Sie habe inzwischen mit vielen Leuten gesprochen, alle hätten über den Umgang mit dem Graffito nur den Kopf geschüttelt. Da geht es dem Großröhrsdorfer Mathias Hennig nicht anders. Er ist Restaurator und im Verein des Heimatmuseums aktiv. Auch er spricht von einem Stück DDR-Geschichte und ist sich sicher: „Ich hätte eine einfachere und bessere Lösung für das Graffito gefunden, als es zuzukleistern. Kostengründe waren es ja wohl insbesondere, die letztlich gegen den Erhalt gesprochen hätten. So ärgert sie sich auch darüber, dass Leute über das Graffito entschieden haben, die kaum Bezug dazu gehabt hätten. Es sei sehr im Stillen passiert.

Natürlich freue es sie, dass sich mit den Bauarbeiten die Lernbedingungen weiter verbessern, sagt Gisela Gottschalk. Immerhin investiert der Kreis als Eigentümer 1,4 Millionen Euro unter anderem in Dach, Fassade, eine neue Sonnenschutzanlage und in den Blitzschutz. Dabei geht es auch ums Energiesparen. So wird die Fassade mit einem Verbundsystem zur Wärmedämmung verkleidet. Im nächsten Jahr wird noch die Heizung erneuert. „Es ist toll, dass das so eine schöne Schule wird“, sagt die ehemalige Schülerin. Vielleicht könnte ja auch für das Wandbild eine Lösung noch gefunden werden. Eine Tafel am Gebäude mit dem Bild, könnte doch daran erinnern. Denn sie wünscht sich, dass es nicht ganz in Vergessenheit gerät, dass darüber im Unterricht künftig noch gesprochen wird.