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Das Kunstrasen-Dilemma

Der neue Belag für Fußballplätze ist moderner und gesünder. In den ersten Jahren geht immer alles gut.

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Von Annechristin Bonß

Hoch fliegt der Ball in den blauen Spätsommerhimmel, Kinder schreien, sie rennen hinter dem runden Leder her. Jeder will derjenige sein, der gleich aufs Tor schießt. Die Eltern stehen am Spielfeldrand und bestaunen den Nachwuchs. Montag bis Freitag ab 16.30 Uhr wird auf dem Fußballplatz in Cossebaude trainiert. 360 Mitglieder zählt die Abteilung Fußball des TSV Cossebaude, 70 Prozent davon sind Kinder und Jugendliche. Sie alle wollen trainieren, spielen, kicken. Bis 21 Uhr ist der Trainingsplan jeden Tag voll. Am Wochenende kommen die Punktspiele dazu.

Das volle Programm hat dem Platz in den vergangenen Jahren viel abverlangt. Nach 14 Jahren kann hier bald nicht mehr gespielt werden. Die Nähte wurden immer wieder repariert. Nun können sie zu bösen Stolperfallen werden, wenn die Spieler mit den Stollen hängenbleiben. Die einst fünf Zentimeter langen Fasern sind an einigen Stellen komplett verschwunden, genau wie die Füllung, das Granulat. „Nur noch diese Saison, und der Platz ist durch“, sagt Abteilungsleiter Thomas Wiesenthal, der gleichzeitig im Vereinsvorstand sitzt.

Hier fangen die Probleme des Vereins an. Seit Jahren wird darüber diskutiert. Denn die Komplettreparatur kostet 440 000 Euro. Geld, das Stadt und Verein allein nicht aufbringen können. Zwar stehen die Chancen gut, dass die Sportförderung des Landes aushelfen kann. Bei diesem Modell teilen sich die Gesamtkosten zwischen Stadt, Land und Verein. Doch auch dann bleiben für den Verein 176 000 Euro und für die Stadt 132 000 Euro. „Das können wir nicht aufbringen“, sagt Thomas Wiesenthal. Theoretisch hätte der Verein 10 000 Euro pro Jahr zurücklegen müssen, um wenigstens halbwegs an diese Summe heranzukommen. Das jedoch sei illusorisch. Von den Mitgliedsbeiträgen zahlt der Verein bereits einen Teil der laufenden kleineren Reparaturen, Strom und Wasser im Vereinshaus sowie den Platzwart. Gespart haben die Fußballer 40 000 Euro.

Große Vorteile, große Kosten

Das Problem könnten bald auch andere Vereine haben. 68 Fußballplätze verwaltet der Sportstätteneigenbetrieb, darunter 24 Kunstrasenplätze. Bis 2018 kommen zwei weitere hinzu. Dafür verschwinden zwei Hartplätze. Die Vorteile der Kunstfasern liegen auf der Hand. Bei mindestens 2 000 Spielstunden pro Jahr loben Experten dauerhaft gleichmäßig gute Spieleigenschaften. Das fördert auch das technische Spiel der Kicker. Nur bei Schnee und Frost kann hier nicht trainiert werden – also weit länger im Jahr als bei Rasen- oder Hartplätzen. Dazu sind die Spielfeldmarkierungen dauerhaft eingebracht, teilt der Eigenbetrieb Sportstätten mit. Viele Sportler kennen die Vorteile und wollen deshalb gern auf Kunstrasen trainieren.

Doch ist der komplett kaputt, wird es teuer. Ab 14 Jahren ist die Nutzungsdauer meist erreicht. Auf dem ältesten dieser Plätze in Dresden wird seit 16 Jahren gespielt, der jüngste ist gerade einmal ein Jahr alt. In den nächsten fünf Jahren werden fünf Plätze älter als 15 Jahre sein. Die Kosten für die dann notwendige Komplettsanierung können stark variieren. Sie liegen zwischen 250 000 und 600 000 Euro. Doch ein Extrabudget oder eine Art Sparschwein für diese großen Ausgaben gibt es im städtischen Haushalt nicht. Hier ist nur Geld für die laufenden kleineren Reparaturen verbucht. Im Ernstfall muss die Stadt also langfristig planen, ob sie die Kosten für eine große Reparatur wie in Cossebaude tragen kann. Dieses Geld fehlt dann allerdings an anderer Stelle.

Und auch die Vereine müssen mit hohen Kosten rechnen. 17 der derzeit 24 Kunstrasenplätze sind dauerhaft an diese verpachtet. Die können damit selbst planen, wann und wie oft sie darauf trainieren. Die Stadt entscheidet hier nicht. Dafür übernehmen sie wie die Cossebauder auch Pflichten – so die finanziellen Kosten für den Betrieb. Und im Ernstfall eine Beteiligung an der Gesamtsanierung.

SPD-Stadtrat Thomas Blümel kennt das Problem. „Ein Dilemma, das mit der Zeit zu tun hat“, sagt er. So seien die heute gebauten Kunstrasenplätze technologisch nicht mehr vergleichbar mit denen von früher. Mit der neuen Generation an Plätzen seien nicht mehr so hohe Reparaturkosten zu erwarten. Trotzdem erkennt auch der Politiker im Sportausschuss das finanzielle Problem. Die Stadt habe in den vergangenen 20 Jahren versäumt, Rückladen für die Sportstätten zu bilden. „Da wurde von der Hand in den Mund gelebt“, sagt er. Im vergangenen Haushalt seien die Mittel für die Instandsetzung bereits erhöht worden. Vielleicht klappt das auch für die Folgekosten. Bis dahin müsse man sehen, woher die Gelder für eine Komplettsanierung kommen können.

Wie das aussehen kann, haben die Cossebauder erfahren. Die Ortschaft hat dem Verein 80 000 Euro aus dem eigenen Budget versprochen. Die fehlende Restsumme will der Eigenbetrieb für den Verein übernehmen. Nun fehlt nur noch die Zusage vom Land über die Fördermittel. Dann könnte der Bau im Sommer 2017 beginnen. Zumindest in Cossebaude scheint das Kunstrasen-Dilemma damit gelöst zu sein.