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„Das komplizierteste und schönste war der Export“

Rudolf Koinzer war Betriebsdirektor im Waggonbau Niesky. Mit Weggefährten erinnert er sich und schaut voraus.

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© André Schulze

Von Carla Mattern

Niesky. Vor 100 Jahren wurde in Niesky mit der Fertigung von Schienenfahrzeugen begonnen. Dieser „historische Meilenstein“, wie ihn Thomas Steiner, der Geschäftsführer der Waggonbau Niesky GmbH bezeichnet, wird am 11. August mit der Belegschaft und geladenen Gästen gefeiert. Drei Männer unter den Gästen haben in ganz besonderem Maße dafür gesorgt, dass der Nieskyer Waggonbau als weltweit anerkannter Spezialgüterwaggonhersteller einen Namen hat. Mit dem ehemaligen Betriebsdirektor Rudolf Koinzer, dem ehemaligen Direktor für Technik Herbert Grätzel und dem ehemaligen Geschäftsführer für Produktion und Logistik Günter Aey sprach die SZ über damals und heute.

Herr Koinzer, Herr Grätzel, Herr Aey, welche ist Ihre schönste Erinnerung an die Zeit im Waggonbau Niesky?

Rudi Koinzer: Das komplizierteste und schönste war der Export. 1970 haben wir angefangen, ins NSW (nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet, d. R.) zu liefern. In 25 Ländern war ich unterwegs. Kaum zu glauben, wie das zustande kam.

Herbert Grätzel: Sehr gerne denke ich zurück an die innovative Arbeit bei der Fahrzeugentwicklung. Im engen Kontakt mit unseren Kunden haben wir eine ganze Reihe von Wagen konstruiert, wie die Typenreihe Schiebewandwagen auch mit tiefer gelegter Ladefläche oder Spezialwagen für den Transport von Papierrollen für Nordeuropa. Wir waren ein ausgezeichnetes Konstrukteur- und Technologenkollektiv, konnten uns weltweit sehen lassen.

Günter Aey: Zu unserer Zeit wurden über 100 Güterwagen und Spezialgüterwagen neu- und weiterentwickelt. Es gab kein logistisches Problem, das wir nicht für den Kunden gelöst haben. Und wir haben nie große Reklamationen gefangen. Stolz bin ich auch, dass es uns als Leitungsteam mit den Mitarbeitern gelungen ist, von 1965 bis 1990 ohne Unterbrechung immer reell die Pläne zu erfüllen. Wir waren der stabilste Betrieb im Schienenfahrzeugbau.

Was war damals anders als heute?

Herbert Grätzel: Das war eine andere Zeit und eine andere Struktur. Wir hatten alle Baugewerke, Glaser, Maler, Dachdecker, eine starke Reparaturwerkstatt, alles besetzt mit qualifizierten Arbeitern. Es wäre manchmal einfacher gewesen, wenn wir die Aufträge an andere Firmen hätten vergeben können.

Rudolf Koinzer: Die Generation, mit der wir die Exporte aufgebaut haben ins NSW, da sind jetzt die Söhne dran. Die alten Kunden bestellen noch immer. Und was der Herbert sagt, ist zu ergänzen: Wir hatten auch einen Kindergarten, eine Krippe, ein Ambulatorium mit zwei Ärzten, haben die Finnhütte im jetzigen Waldschulheim Stannewisch mit aufgebaut, damit wir unseren ausländischen Kunden etwas bieten konnten. 1936 gab es mal bis 4 000 Mitarbeiter, da war auch der Stahlbau noch dabei. Kurz vor der Wende waren wir 2 000 Waggonbauer mit 200 Lehrlingen.

Günter Aey: Wir verfügten über einen leistungsstarken Betriebs- und Rationalisierungsmittelbau und waren damit in der Lage, Anlagen zu entwickeln und zu bauen, die funktional dem Industrieroboter entsprachen. Der Facharbeiterstamm war ausgezeichnet, das waren alles gefragte Leute. Der hatte seinen Ausgangspunkt in unserer betrieblichen Berufsausbildung. In über zehn Berufen wurde an der Betriebsberufsschule, in der Lehrwerkstatt, den Ausbildungsplätzen des Betriebes der Nachwuchs ausgebildet. An der Betriebsakademie erfolgte die Erwachsenenqualifizierung vom Facharbeiter zum Techniker.

An welche komplizierte Aufgabe denken Sie noch heute oft zurück?

Rudolf Koinzer: Das Komplizierteste war, die Ausländer zu betreuen und eine Basis für Gespräche zu schaffen außerhalb des Protokolls. Denn manch einer kam mit vielen Vorurteilen.

Günter Aey: Die schwierigste berufliche Periode war für mich von 1990 bis 1994, als der Betrieb mit allen Chancen und Risiken in die Marktwirtschaft überführt wurde. Nach der Wiedervereinigung entwickelten sich die Verkehrsleistungen der Bahn im Güterwagenverkehr stark rückläufig. Auf dem Weltmarkt gingen die Preise für Waggons runter. Wir waren auf Zukäufe aus Polen, Tschechien und der Slowakei angewiesen. Dazu kam die Personalanpassung. Die Mitarbeiterzahl ging von 1 900 runter auf 500. Das tat menschlich sehr weh, denn es gab niemanden, der das Gehen verschuldet hatte. Die andere Seite: Es wurden neue Firmen gegründet wie die von Uwe Kurz und Andreas Rummler, die heute noch bestehen. Auf der anderen Seite wurden wir laufend überprüft, sogar von der bekannten Beratungsfirma Mc Kinsey.

Herbert Grätzel: Wir standen vor der Aufgabe, eine reibungslose Produktion zu organisieren, und mussten dafür gezielt mit eigenen Kräften für die Instandhaltung und Rationalisierung sorgen. Bereits 1978 begann wir damit in der Teilefertigung und Teilemontage.

Günter Aey: Mit dem aus dem Jahr 1990 stammenden Investplan wurden Vorhaben verwirklicht wie die neue Strahlhalle, der Einbau von Rolltoren, die modernisierten Krananlagen, die erneuerte schweißtechnische Ausrüstung bis zum Schweißroboter, neue Abkantpressen, Werkzeugmaschinen, Punktschweißmaschinen für die Aluminium-Fertigung, hochproduktive Bohr- und Fräswerke. Logistisch neu gestaltet wurden die Vorfertigung und die Aluminium-Bearbeitung. Das reduzierte deutlich die Materialströme. Schon 1983 sind wir mit der Fertigung der Schiebewände für die Spreizhaubenwagen aus Aluminium in eine höhere technologische Stufe gestartet. Bei laufender Produktion wurde der Betrieb grundlegend neu strukturiert. Dank der Finanzkraft der Deutschen Waggonbau AG wurden dafür von 1994 bis 1997 rund 44 Millionen DM ausgegeben.

Verfolgen Sie die Entwicklung?

Rudolf Koinzer: Ich war gerade erst drin im Waggonbau und habe ein Interview für den Film zum Jubiläum gegeben. Bin schon sehr gespannt darauf. Mein Nachbar Philipp Flasch ist im Organisationskomitee für das Jubiläum und hat mich angesprochen.

Günter Aey: Im Bundesanzeiger werden ja die Jahresgeschäftsberichte veröffentlicht, die ich gründlich analysiere. Darüber hinaus trifft man ja auch viele Waggonbauer. Außerdem arbeite ich als Ehrenmitglied noch immer im Unternehmerverband mit, den ich mitgegründet habe.

Herbert Grätzel: Vom Konstruktionsbüro gibt es jedes Jahr zwei Zusammenkünfte, da berichtet der Chefkonstrukteur über Projekte. Gerade waren wir in der Sächsischen Schweiz bei einer Fahrt unterwegs.

Was wünschen Sie dem Waggonbau?

Günter Aey: Die Entwicklung soll nachhaltig gestaltet werden, indem weiter wichtige Ersatzinvestitionen erfolgen und nicht nur Gewinne abgezogen werden. Die Mitarbeiter sollen teilhaben mit ihrem Verdienst, wenn gewinnbringend gearbeitet wird. Außerdem sollten die Leistungen der Mitarbeiter anerkannt und sie in die Schritte der Entwicklung einbezogen werden.

Herbert Grätzel: Für die Entwicklung der technischen Ausrüstung ist derzeit viel getan worden. Ich denke, man kann optimistisch sein für die weitere Entwicklung.

Rudi Koinzer: Ich wünsche den Waggonbauern, dass die stabile langjährige Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern und Kunden bestehenbleibt.