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„Meine persönliche Heilung“

Wasserspringen ist wie Fahrradfahren – man verlernt es nicht. Die Dresdnerin Maria Hartmann ist das beste Beispiel dafür.

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© Ronald Bonß

Von Alexander Hiller

Ein kurzer Blick auf ihr rechtes Handgelenk genügt – und Maria Hartmann taucht gedanklich in eine Zeit ein, die 15 Jahre zurückliegt. Damals ging es ihr auch hauptsächlich ums Eintauchen. Um jenes in Wasser – möglichst spritzerlos. Die damals 17-Jährige vom Dresdner SC gehörte zu den hoffnungsvollsten deutschen Wasserspringer-Talenten.

Doch dann waren da nach einem Wintertrainingslager und einem Ausflug aufs Snowboard diese wahnsinnigen Schmerzen unterhalb der rechten Hand. „Später stellte sich das als Bruch des Kahnbeins, also der Handwurzel, heraus. „Weil gerade Wettkampfphase war, wurde ich immer nur von Ärzten der Stützpunkte untersucht. Die entdeckten den Bruch nicht, weil sie aufs Röntgen verzichteten“, erzählt Hartmann. „Ich mache den Ärzten extreme Vorwürfe. Einer schaute sich in Berlin das Handgelenk an und sagte, da sei eine Entzündung drin und hat mich dagegen gespritzt.“ Erst ein halbes Jahr nach der Verletzung wurde der Bruch erkannt. Das Gelenk war da schon so beschädigt, dass ein Beckenknochen von Hartmann als Ersatz eingepflanzt werden musste. Heute streicht sie sachte über die lange Narbe. „Weitestgehend ist das wiederhergestellt, aber für die Dauerbelastung, die mein Handgelenk für den weiteren Leistungssport hätte aushalten müssen, wäre das zu krass gewesen“, sagt sie.

Also zog die deutsche Jugendmeisterin, die gerade bei den Frauen Fuß gefasst hatte, einen Schlussstrich unter ihre Karriere, noch ehe die richtig begonnen hatte. „Das war für mich traumatisierend, ich habe das nie wirklich verarbeitet. In den ersten Jahren konnte ich keine Wettkämpfe verfolgen, bin kaum noch in die Sprunghalle gegangen, weil ich einen radikalen Abstand brauchte“, erinnert sie sich.

Drei WM-Titel beim Comeback

Um die Halle machte sie seither einen Bogen, verzichtete auch darauf, sich Wasserspringer-Wettbewerbe im TV anzuschauen. „Ich habe aber gemerkt, dass mir persönlich etwas gefehlt hat. Jetzt weiß ich: Es war das Springen.“ Denn nachdem sie vor zwei Jahren ihren Sohn Alexander in der sogenannten Froschgruppe beim DSC angemeldet hatte, war es wieder da: diese Spannung, dieses Kribbeln. „Ich habe wieder Blut geleckt. Das, was jetzt gerade passiert, ist meine persönliche Heilung. Und das heilt unheimlich“, sagt sie.

Denn die jüngsten Ereignisse klingen eigentlich unglaublich. Im September 2016 machte Hartmann ihren ersten Sprung nach der 15-jährigen Pause. „Das war ein Kopfsprung vorwärts. Dann tastete ich mich langsam an andere Sprünge heran. Das ging auch alles. Die ganzen Abläufe waren gespeichert“, erinnert sie sich. Tatsächlich hat sie die komplizierten Bewegungsabläufe ihrer früheren Sprünge automatisiert so einfach wie Fahrradfahren. „Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Letztes Jahr September habe ich mich erstmals wieder in den Springer-Badeanzug getraut. Ich wollte gucken, wie sich das anfühlt.“

Restrisiko wird genau abgewägt

Ein knappes Jahr später fühlt sich das weltmeisterlich an. Dreifach. Hartmann holte bei der Masters-WM in Budapest in der Altersklasse 30 bis 34 Jahre die Titel vom 1-m-, 3-m-Brett und vom Turm. Mit dreimal Training pro Woche brachte sich die Dresdnerin wieder so in Form, dass sie in den beachtlichen Starterfeldern (bis zu 13 Konkurrentinnen) jeweils die Sprungserien mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad ins Wasser setzte. Ihre alte Verletzung bemerkt sie bei den Sprüngen vom Brett nicht, vom Turm (5 m oder 7,5 Meter) wägt die zweifache Mutter das Risiko genau ab.

„Die drei Titel sind ein wahnsinniger Erfolg für mich. Man kann es mit dem Leistungssport von früher nicht vergleichen. Das Niveau ist niedriger, und jeder entscheidet selbstbestimmt, welche Schwierigkeit er springen will“, erklärt die Diplombetriebswirtin, die sich bei der Sparkasse im Unternehmenskundenbereich Immobilieninvestment zur Kundenbetreuerin weiterbilden lässt. Ihr Arbeitgeber „belohnte“ die herausragenden Ergebnisse mit einem 600-Euro-Scheck. Hartmann musste, wie alle anderen Masters-Athleten auch, sämtliche Kosten für die WM tragen.

„Ich habe jetzt wieder extrem Lust auf den Sport. Aber für mich stand von vornherein fest, dass ich nicht nur wieder anfange, um mir einmal den Erfolg zu holen, den ich damals vielleicht verpasst habe. Mir geht es um das Springen. Es ist wirklich unbeschreiblich, was das mit mir und meinem Kopf macht“, erklärt sie strahlend. Vielleicht ist das schon eine Art Botschaft an Tochter Anna (3). Sie springt schon liebend gern ins Wasser, ihr Bruder Alexander (6) hat aber inzwischen aufgehört.