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„Das heißt dann sicher nicht mehr Vattenfall“

Der neue Firmenname für die Lausitzer Tagebaue und Kraftwerke ist noch die geringste von vielen offenen Fragen.

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© André Schulze

Von Tilo Berger

Michael von Bronk wusste, dass nicht nur Fragen zum Lausitzer Existenzgründerwettbewerb kommen. Der startet jedes Jahr im Frühjahr, und der 2016er-Auftakt fand am Dienstag in Weißwasser statt. Veranstalter des mit insgesamt 10 000 Euro dotierten Wettbewerbes ist der Verein Wirtschaftsinitiative Lausitz, und an dessen Spitze steht Michael von Bronk, der Personalvorstand des Bergbau- und Energiekonzerns Vattenfall. In dessen Cottbuser Unternehmenszentrale sollen im November die Sieger des Wettbewerbes gekürt werden, erklärte von Bronk. Und kam einer Frage zuvor: „Das heißt dann bestimmt nicht mehr Vattenfall.“

Aber wie? Eine Antwort darauf wusste Michael von Bronk am Dienstag auch noch nicht. Doch der neue Name lautet wohl nicht Obrag (Ostdeutsche Braunkohle AG), wie Beobachter bis zum Montag mutmaßten. Dieser Name wäre infrage gekommen, falls die künftigen Eigentümer der Lausitzer Braunkohle-Tagebaue und -Kraftwerke die großen Betriebe in den ostdeutschen Revieren miteinander verschmolzen hätten. Doch das haben sie nicht vor, ließen die Chefs des tschechischen Energiekonzerns EPH am Montag durchblicken.

EPH gehört bereits die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH (Mibrag) im Leipziger Revier. Seit Montag steht fest, dass sie auch Vattenfalls Braunkohlesparte bekommen sollen. Also die vier Tagebaue Nochten, Reichwalde, Welzow-Süd und Jänschwalde, die drei Kraftwerke Boxberg, Schwarze Pumpe und Jänschwalde in der Lausitz sowie das halbe Kraftwerk Lippendorf bei Leipzig. Zehn Wasserkraftwerke gibt’s dazu.

Im Juli oder August soll der Verkauf über die Bühne gehen, vorausgesetzt, der schwedische Staat als Inhaber des Vattenfall-Konzerns stimmt zu. Aber daran zweifelt niemand.

Verhaltener Optimismus

Der künftige Name der bisherigen Vattenfall-Kohle ist noch die geringste aller offenen Fragen, auf die von den Tschechen schnelle Antworten erhofft werden. Da ist zum einen die Frage nach der Zukunft der rund 8 000 Arbeitsplätze direkt bei Vattenfall sowie weiterer rund 16 000 Jobs bei Zulieferern und Handelspartnern. Bis 2020 gibt EPH eine Jobgarantie für Bergleute, Kraftwerker und Verwaltungsmitarbeiter. Für Betriebsrat Rüdiger Siebers „die beste Lösung“, zumal sich die Tschechen auch zum gültigen Tarifvertrag bekennen. „Die Kuh ist vom Eis“, sagte Siebers. Weißwassers parteiloser Oberbürgermeister Torsten Pötzsch ist eher „verhalten optimistisch“. Begeisterung hört sich anders an. „Eine Garantie bis 2020, das ist nicht viel. Wir denken da längerfristig“, gab Pötzsch als Stadtoberhaupt Hunderter Bergleute und Kraftwerker am Dienstag zu bedenken.

Auch Vattenfalls Partner in der Region haben jetzt Fragen. Zum Beispiel, wer künftig die Großgeräte und Kraftwerksanlagen instand hält und repariert. Fachleute, die das können, gibt es sowohl in Deutschland als auch in Tschechien. Vattenfall vergab jährlich Aufträge für rund 700 Millionen Euro, davon blieb immer ein Großteil in der Lausitz. Davon profitierte auch der Anlagenhersteller SKM mit Hauptsitz in Boxberg. „Wir erwarten natürlich, dass EPH alle Verträge von Vattenfall übernimmt“, erklärte Geschäftsführer Steffen Söll. „Wir wünschen den neuen Inhabern ein glückliches Händchen und hoffen auf gute Zusammenarbeit.“

Diese Hoffnung teilt der SKM-Chef mit vielen Industrie- und Handwerksbetrieben in der Region. Der Präsident der Handwerkskammer Dresden, Jörg Dittrich, forderte am Dienstag „eine wegweisende Vision, die gerade auch den heutigen Zulieferern und Dienstleistern von Vattenfall sowie den jungen Menschen in der Region Perspektiven aufzeigt und damit die Lausitz in eine erfolgreiche Zukunft führt. An dieser Stelle steht auch die Politik in der Pflicht, dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen zu setzen.“

Auf baldige Antworten hoffen auch rund 1 700 Menschen, die über der Kohle des geplanten Tagebaus Nochten II wohnen. Der Freistaat Sachsen hatte schon grünes Licht für die Erweiterung des Tagebaus Nochten gegeben, doch Vattenfall legte alle Planungen auf Eis. Wird EPH die Planungen übernehmen und die Förderstätte vergrößern – oder nicht? Diese Frage ist offen, „und die Unruhe bleibt“, erklärte der Bürgermeister von Schleife, Reinhard Bork. Bis zum 1. April 2015 sollte es eigentlich baureife Grundstücke für die potenziellen Umsiedler geben, doch getan hat sich nichts. „Ich habe die Sorge, dass vor allem junge Leute wegziehen“, sagte Bork. „Das geht an die Substanz im Ort, die Einsatzbereitschaft unserer Freiwilligen Feuerwehr ist schon jetzt beeinträchtigt.“

Auf gepackten Koffern

Strom aus Braunkohle werde sich vielleicht erst ab 2022 wieder rechnen, wenn das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz geht. „So lange bleibt doch hier niemand auf gepackten Koffern sitzen“, sorgt sich der Schleifer Bürgermeister. Die gleichen Bedenken gibt es auch im Vorfeld des Tagebaus Welzow-Süd, dessen Ausbau die brandenburgische Landesregierung bereits genehmigt hat, sowie im möglichen Abbaufeld eines neuen Tagebaus Jänschwalde-Nord. Für diese Förderstätte läuft noch das Planungsverfahren.

Während sich die Bürgermeister verhalten optimistisch geben und von Unruhe sprechen, kommt von Vattenfall-Vorstandschef Hartmuth Zeiß ein ganz anders klingender Kommentar: „Für unsere Mitarbeiter und viele betroffene Menschen in der Region ist das nach einer langen Zeit der Ungewissheit das erwartete Signal, dass das Braunkohlengeschäft in der Lausitz unter einer erfahrenen Führung fortgesetzt werden soll, die Vertrauen in die Wirtschaftlichkeit und Zukunft unseres heimischen Energieträgers setzt.“ Immerhin sichert Lausitzer Kohle etwa ein Zehntel der Stromerzeugung in Deutschland.