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Das Heim im Walde

Seit Jahren steht das Kinderheim in Jetrichovice leer. Der Bürgermeister will das ändern.

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© Petr Špánek

Von Steffen Neumann

Jetrichovice. Wer nach Jetrichovice (Dittersbach) fährt, hat es in der Regel auf die aussichtsreichen Felsen der Dittersbacher Schweiz abgesehen. Die Tour zum Mariina skala (Marienfelsen), der Vileminina stena (Wilhelminenwand) und dem Rudolfuv kamen (Rudolfstein) führt aber gleich am Ortsausgang an einem Gebäude vorbei, das hier wohl keiner erwartet. Der in leichtes Rosa getauchte prächtige Bau erinnert an ein Sanatorium. „So was ähnliches“, sagt Marek Kny, der Bürgermeister von Jetrichovice. „Das war ein Kinderheim.“ In den 1920er-Jahren erbaut, sollte es vor allem Kindern aus den Industriegebieten dienen, mal Ferien in guter Luft zu verbringen, erzählt der Bürgermeister. „Das war dem neuen Staat Tschechoslowakei, der ja genau vor 100 Jahren gegründet wurde, wichtig, etwas für diese Arbeiterkinder zu tun. Das galt gerade auch für die mehrheitlich deutsch besiedelten Gebiete wie hier in den Sudeten“, erinnert Kny an die fortschrittliche Sozialpolitik der Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit.

Das Kinderheim in den 1930er-Jahren und heute. Rein äußerlich hat sich nicht viel verändert. Nur das Lachen der Kinder ist verschwunden.
Das Kinderheim in den 1930er-Jahren und heute. Rein äußerlich hat sich nicht viel verändert. Nur das Lachen der Kinder ist verschwunden. © Petr Špánek
© Foto: privat

Nachdem Nazi-Deutschland vor 80 Jahren die Abspaltung der Sudetengebiete erzwang, wurde das Kinderheim eine Zeit lang als Lazarett genutzt. Nach 1945 diente es wieder seinem ursprünglichen Zweck und das bis 2005. Da war auf einmal Schluss. Der Bezirk Usti fand den Betrieb zu teuer und verkaufte das Objekt an einen privaten Investor. „Das war ein Fehler. Das Kinderheim lief gut und vor allem waren das für unsere Leute wichtige Arbeitsplätze.“ 50 Mitarbeiter waren in dem Heim tätig. So eine große Zahl lässt sich in einer kleinen Gemeinde wie Jetrichovice, die sonst nur noch vom Tourismus lebt, durch nichts ersetzen.

Doch Kny will nicht in die Vergangenheit zurückgehen, auch wenn der Verkauf Fragen aufwirft. Der Käufer war kein anderer als Alexej Krenke. Dem in Tschechien lebenden Russen gehört die „halbe Böhmische Schweiz“, wie immer wieder zu hören ist. Das bekannteste Objekt ist das Prebischtor und das Restaurant „Sokoli hnizdo“ (Falkennest). Für viele ist es unverständlich, warum eine so schöne Aussicht in privater Hand ist. Anderswo zahlt man für die Seilbahn, um auf einen Gipfel zu kommen. Am Prebischtor dagegen wird fürs zu Fuß Ankommen abkassiert.

Umso mehr beklagen viele den Zustand des Kinderheims in Jetrichovice. Seit dem Verkauf ist nichts passiert. Immerhin gibt es einen Wachdienst. „Nötigste Sanierungsarbeiten wurden auch durchgeführt, aber wirklich nur die nötigsten“, sagt Kny. Für das Haus, das im sehr guten Zustand verkauft wurde, ist der lange Leerstand nicht gut. Von den hochtrabenden Plänen Krenkes, hier ein Luxushotel zu errichten, ist nichts geblieben. Seit vier Jahren taucht das Objekt wieder auf diversen Immobilienseiten zum Verkauf auf.

Der Preis ist nicht gerade niedrig, auf jeden Fall höher als 2005. Doch es tut sich nichts. Für Kny ist die Geduld schon lange am Ende. Doch nun hat er sich entschlossen, etwas zu tun. „Sie finden hier im Ort niemanden, dem das Haus egal ist.“ Das geht offenbar noch mehr Menschen so. Auf einer neu gegründeten Facebook-Seite erinnern sich Dutzende Menschen voller Sentimentalität an die Zeit, die sie als Kinder hier im Erholungsheim verbrachten: „Als ich klein war, fuhr ich jedes Jahr dahin. Mit einigen, die ich dort getroffen habe, bin ich bis heute befreundet“, sagt Lenka Malichova. „Ich war hier 1966 mit meiner Schwester zwei Monate, es war wunderschön“, stimmt Jana Presslerova zu. Und Stanislava Mocova ergänzt: „Ich würde sofort wieder fahren.“

Weil Kny nicht weiter warten will, bis etwas passiert, hat er nun gehandelt. „Wenn wir nichts tun, passiert nichts. Noch ist die Bausubstanz in Ordnung und wir können das Heim retten“, begründet er sein Engagement. Er hat eine Unterschriftenaktion gestartet. Darin fordert er den Bezirk Usti auf, das Haus zurückzukaufen. „Heute fehlt es an Altersheimen. Hier wäre der richtige Ort dafür“, ist er überzeugt. Seine Idee, das Haus zu retten und neu zu nutzen, trifft auf Widerhall. Er konnte schon mehrere Hundert Unterschriften einsammeln. „Täglich kommen neue Unterschriftenlisten“, freut er sich.

Möglichst viele Unterschriften sollen den Bezirk Usti überzeugen. Der Bezirk wäre aus Bürgermeister Knys Sicht auch am ehesten in der Lage den Kaufpreis zu stemmen. Zumindest scheint man dort nicht abgeneigt. „In einem ersten Gespräch vergangene Woche war herauszuhören, dass der Verkauf vor 13 Jahren inzwischen als Fehler angesehen wird. Es bleibt natürlich die Frage, wie hoch die finanziellen Forderungen des Eigentümers Alexej Krenke sind“, so Kny weiter.

Der ist zumindest zum Verkauf bereit. „Die früheren Pläne, ein Hotel zu bauen, sind nicht mehr realistisch“, sieht Krenke ein. Dass er verkaufswillig ist, zeigten bereits einige Anzeigen in der Vergangenheit, auf die sich jedoch offenbar kein Käufer fand. Das Hauptproblem dürfte der Preis sein. „Wir wollen natürlich nicht mit Verlust verkaufen“, sagt Krenke, hinter dem offenbar noch weitere Eigentümer stehen. Wie viel das Objekt wert ist, das 13 Jahre leer steht, werden letztendlich die Verhandlungen zeigen.

Marek Kny ist froh, dass das Thema immerhin inzwischen in aller Munde ist. „Ich tue weiter alles, was in meiner Kraft steht“, sagt er. Und vielleicht klappt es ja sogar noch im 100. Jahr der Gründung der Tschechoslowakei, dass dieses historische Gebäude wieder einer neuen Nutzung entgegengeht.