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Das große Rennen

Beim Bautzener Stadtlauf hängte Robel Tewelde alle ab. Doch der junge Mann aus Eritrea will noch mehr.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Robel Tewelde rennt. Er rennt für seinen olympischen Traum. Irgendwann möchte der 19-Jährige ganz oben auf dem Siegerpodest stehen. Mit dieser einen Goldmedaille um den Hals. Die weiße Fahne mit den ineinander geschlungenen bunten Ringen soll dann genauso im Wind wehen wie die Flagge in schwarz-rot-gold. Geboren wurde der junge Mann in Eritrea. Aus keinem Land Afrikas fliehen so viele Menschen wie aus seiner Heimat. Nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe befanden sich im vergangenen Jahr 360 000 von Teweldes Landsleute auf der Flucht. Willkürliche Verhaftungen, Folter, Armut und Perspektivlosigkeit treiben die Menschen ins Ungewisse auf die sichere Insel Europa.

Robel Teweldes Refugium ist seit vier Monaten das Spreehotel in Bautzen. Nach seiner Flucht über den Sudan und Italien landet er im April im Erstaufnahmelager in Leipzig. Von dort kommt er einen Monat später in das Haus am Stausee. Dessen Leiter Peter Rausch erinnert sich noch gut an die Ankunft des Neulings. „Da kam ein freundlicher, junger Mann, der vom ersten Tag an zum Laufen ging und mir erzählte, dass er einen Marathon schaffen will“, sagt er und bekommt ein schüchternes Lächeln des Läufers. So zurückhaltend lächelte er übrigens auch auf dem Siegerpodest nach dem Bautzener Stadtlauf. Mit fünf Minuten Vorsprung lief er über die Zielgerade.

Talent schnell erkannt

Diese Goldmedaille soll der Anfang einer Bautzener Sportkarriere sein. Denn Robels Talent haben die Trainer vom Ostsächsischen Leichtathletikverein Bautzen schnell erkannt. Vereinsvorsitzende Ines Heblack erinnert sich noch gut an die erste Begegnung auf der Müllerwiese. Dort lief der Eritreer seiner Runde, und zügig, fröhlich und einem Laufstil, der eher an das Fliegen einer Feder erinnert. „Wir haben heimlich die Zeit mitgestoppt und festgestellt. Hier läuft jemand sehr schnell“, sagt sie. Die weltoffenen Sportler kommen schnell ins Gespräch - mit Englisch, ein bisschen Deutsch sowie Händen und Füßen. Von diesem Tag an hat der Afrikaner ein paar mehr Freunde in Bautzen.

Aber nicht nur das: Die Trainer vom Leichtathletikverein stellen ihm einen Plan auf. Robel Tewelde kennt das Procedere schon. Als Neunjähriger kommt er mit seiner Mutter nach Äthiopien. In der dortigen Hauptstadt Addis Abeba wird in der Schule sein Talent erkannt. Schon dort läuft er fast täglich. „Ich habe auch schon an einigen Wettkämpfen schon teilgenommen“, sagt er auf Englisch. Seine Deutschkenntnisse beschränken sich derzeit noch vor allem auf Lebensmittel, die der Sportler braucht: Reis, Spaghetti, Obst und Bananen, antwortet er auf die Frage, woher er sich die Kraft fürs Laufen holt. Ab Mitte Oktober/Anfang November wird er deutsche Vokabel pauken. Dann gibt es Spreehotel wieder einen Anfänger-Kurs.

Ein großes Ziel: Marathon

Solange trainieren Ines Heblack und Michael Schwandt eben nicht nur Waden, Oberschenkel, Ausdauer und schnelle Beine, sondern reden mit Robel Tewelde Deutsch, laden ihn zum gemeinsamen Grillen ein und sorgen für Kontakt mit den 130 Kinder und Jugendlichen aus dem Verein. Sie können noch viel vom Talent aus Afrika lernen „Robel ferst mehr an und kann so die Oberschenkel besser entlasten. Es gibt schon ein paar sehr gute Läufer bei uns, aber auf diesem Niveau ist niemand“, sagt die Vereinschefin begeistert. Bei den täglichen Trainingseinheiten begleitet wiederum Michael Schwandt inzwischen den Läufer. Ihr Ziel heißt: Marathon.

Der Co-Trainer zeigt dem Neu-Bautzener derzeit erst einmal sämtliche Strecken rund um die Spreestadt, mal geht es Richtung Oberland, an anderen Tagen Richtung Heide- und Teichland. Mal sind es 25 Kilometer am Stück, mal sind es mehrere Fünf-Kilometer-Läufe hintereinander. Michael Schwandt radelt dann neben seinem Schützling, reicht ihm ab und zu die Trinkflasche. Ansonsten schweigt er. Denn auch Robel Tewelde federt am liebsten still über die Wege. In Gedanken ist er dann entweder beim Zieleinlauf seines Olympiasiegs irgendwann oder bei seinem großen Idol.

Beim Mopo-Halbmarathon dabei

„Ein Vorbild“, fragt der Nordafrikaner, „Mo Farah“, sagt er andächtig. Der britische Leichtathlet mit Wurzeln in Somalia wurde 2012 Doppelolympiasieger über 5 000 Meter und 10 000 Meter. In diesem Jahr wiederholte er diese Erfolge in Rio de Janeiro noch einmal. In dessen Fußstampfen möchte Robel Tewelde treten. In diesen beiden Distanzen tritt er nun auch bei unterschiedlichen Wettkämpfen an. In Berlin wird er am 9. Oktober beim Zehn-Kilometer-Lauf starten, bei der Crosslauflandesmeisterschaft am 29. Oktober macht er die sechs Kilometer zur Erwärmung und hängt dann nochmals zehn Kilometer dran. Auch beim Morgenpost-Halbmarathon am 23. Oktober will er starten. Vielleicht gibt es dann wieder Medaillen.

Seine Auszeichnungen behält er - anders als das Gefühl, als erster über die Ziellinie zu rennen - nicht für sich. Den Pokal vom Bautzener Stadtlauf hat er Peter Rausch zum Dank geschenkt. „Ich bin gern bereit, Robel und den Verein weiter zu unterstützen, auch finanziell. In meinen Augen ist er der perfekte Botschafter für so viele Flüchtlinge. Seine Chance auf eine Anerkennung seines Asylantrags steht gut. Es wird nur lange dauern“, sagt der Asylheimbetreiber.

Ihm hat Robel Tewelde auch schon sein olympisches Gold im Marathon versprochen. Dafür muss der Langläufer jetzt aber noch viel trainieren. Auch eine Portion Glück gehört wohl dazu, um irgendwann auf dem olympischen Siegerpodest zu stehen. Solange trainiert der Neu-Bautzener. Robel Tewelde rennt eben.