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Das große Krabbeln

Ameisen als Haustiere? Bei dem Tharandter Studenten Tony Arnhold bevölkern sie das WG-Zimmer.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Tharandt. Eine Königin lässt sich nicht hetzen. Deswegen krabbelt die Rossameise noch immer allein zwischen einem Wassertank und etwas Watte durch ihr Reagenzglas. Ihre drei Artgenossinnen haben schon längst für den ersten Nachwuchs gesorgt und durften in eine Pralinen-Box umziehen. Camponotus herculeanus sind eigentlich Holzbewohner und gehören zu den größten Ameisenarten in Mitteleuropa. Im Frühjahr hat Tony Arnold die Königinnen im Garten seiner Tante während ihres Schwarmflugs eingefangen. „Begattete Königinnen erkennt man daran, dass sie nach dem Schwarmflug ihre Flügel abstreifen oder abbeißen und eine Brutgelegenheit suchen“, sagt er.

Für vier von ihnen endete die Suche in einer Ikea-Kommode in Tonys WG im 9. Stock eines Plattenbaus in Johannstadt. Wenn alles klappt, werden die Völker in den nächsten Monaten wachsen. Im zweiten Jahr werden es etwa 100 Ameisen pro Volk sein, im dritten schon 500. Ameisen sind eben in jeder Hinsicht fleißig.

Schon als Kind war Tony Arnold von diesen kleinen Krabbeltieren begeistert. Beim Spaziergang mit seiner Mama im Wald wollte er welche mit nach Hause nehmen und weinte herzreißend, als er nicht durfte. Wer nimmt auch schon freiwillig Ungeziefer bei sich zu Hause auf, und dann auch noch welches, das gezielt und unangenehm „pinkeln“ kann?

Von wegen Ungeziefer. Für Tony Arnold gehören Ameisen zu den faszinierendsten Lebewesen überhaupt. 175 Arten gibt es in Mitteleuropa, 31 in Sachsen. „Sie können überall auf der Welt jeden Lebensraum besiedeln, abgesehen von Eis“, sagt er. „Und es ist genauso spannend, jedem einzelnen Tier zuzuschauen wie dem großen Ganzen. Das sind perfekt organisierte Staaten.“

Irgendwann konnte er seine Eltern doch überreden, kaufte sich ein Terrarium und begann die Haltung mit der Gelben Wegameise, das sind die kleinen Gelben, die im Garten immer dann auftauchen, wenn man ein bisschen tiefer buddelt. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, kann man sagen. „Ich finde, Ameisen haben ein wirklich schönes Gesicht.“

Nach den jahrelangen Erfahrungen traute sich Tony irgendwann auch an Exoten ran, Schnappkieferameisen aus den Tropen. Nach fünf Jahren starb die Königin 2016 an Altersschwäche. Seitdem steht sein großes Terrarium leer. Neben den Rossameisen pflegt er nun noch ein bislang kleines Volk von etwa 150 Ernteameisen der Art Messor barbarus, die im Süden Deutschlands zu Hause sind. „Das sind Körnersammler“, erklärt er. „Die großen Arbeiter knacken sie mit ihren mächtigen Kiefern, und die anderen transportieren sie weiter.“ Mit einer Tüte Vogelfutter kommt Tony eine halbe Ewigkeit hin. Auch sonst sind die Kleinen pflegeleicht und sogar stubenrein. Nun einmal in der Woche leert er mit einem Löffel ihr Klo. Vor der Winterruhe gibt es noch mal etwas Honig, dann kommen sie in den Kühlschrank.

Das Hobby ist damit auch ausgesprochen günstig – bis jetzt zumindest. Das könnte sich jederzeit ändern, sobald Tony seinen Träumen von weit verzweigten Gangsystemen kreuz und quer durch das Zimmer, von Belüftungs- und Beleuchtungstechnik näher kommen möchte. „Dann sind 1000 Euro gar nichts“, sagt er. „Nach oben gibt es keine Grenzen.“ Die ersten Glaszylinder hat er schon im Schrank.

Trotz seines Faibles studierte Tony Arnold nach der Schule zunächst Elektrotechnik, bis ihn seine Freunde fragten: „Sag mal, du redest doch nur von Ameisen. Willst du nicht lieber in Richtung Forstwissenschaft gehen?“ Warum eigentlich nicht, dachte er sich. Und so pendelt er nun seit Jahren von Dresden nach Tharandt. Inzwischen steht er vor seiner Bachelorarbeit, Thema: Ameisen. Er will ein Tool entwickeln, mit dem er über die Laufrichtung von Ameisen im Wald erkennen kann, wo ihre Haufen sind. Und zählen möchte er sie dabei auch gleich noch.

An der Wand in seinem Zimmer hängt zwischen Ameisenfotos auch ein Zertifikat: Sachkundenachweis Waldameisenpfleger. Vielleicht soll das ja auch seine Mitbewohner hier in der WG etwas beruhigen. Die rümpften am Anfang schon etwas die Nase wegen Tonys Untermietern. Inzwischen vertrauen sie ihm aber, dass nicht eines Nachts eine Ameisenarmada über ihre Matratze zieht. „Der Ausbruchsschutz ist schon ein großes Thema“, sagt Tony, und natürlich passiere es immer wieder mal. Dann helfe nur entweder der Staubsauger oder im Zweifel die Pinzette, wenn es um jedes einzelne Tier geht.

Ameisen-Anfänger würden ihren Lieblingen aber meist mit zu viel oder zu wenig Wasser das Leben schwer machen. Da helfe nur das Prinzip „Try and Error“. Und ja, auch bei ihm rollten schon Tränen – und das nicht nur als Kind.

Unbedingt möchte Tony Arnold bald eine der großen südamerikanischen Arten halten. Wie wäre es denn mit der Bullet Ant, dem Giganten in der Ameisenwelt? Eine einzelne Königin kostet allerdings um die 300 Euro, und nicht nur deswegen sollte der Ausbruchsschutz dann lieber doppelt und dreifach geprüft werden. Der Stich der Bullet Ant gilt als der schmerzhafteste Insektenstich überhaupt – und brennt 24 Stunden lang.