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Das große Drängeln auf der Autobahn

Für Lkw-Fahrer ist die allabendliche Suche nach einem Rastplatz in der Oberlausitz ein Geduldspiel. Längst auch ein gefährliches.

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© SZ/Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich

Jacek Sapocznikow hat Glück gehabt. Er hat sich auch an diesem Abend einen Schlafplatz ergattert. „Ich war zeitig genug da“, freut sich der Pole. Schon vor zwei Stunden hat er seinen 40-Tonner auf dem Rasthof Oberlausitz Nord auf einen der noch freien Lkw-Parkplätze geschoben. Jetzt, kurz vor sieben, hätte er keine Chance mehr gehabt. Der Rastplatz ist auch an diesem Montagabend schon wieder heillos überfüllt. Alle Lkw-Stellflächen sind längst besetzt, die Sattelschlepper stehen bereits auf den Pkw-Parkplätzen, auf allen halbwegs befahrbaren Randflächen, sie schieben sich voreinander und parken sich gegenseitig zu, sechs Laster haben sich gleich in der Einfahrt aufgefädelt. Und noch sind gar nicht alle da. Auf der A 4 herrscht um diese Zeit noch dichter Verkehr, rollt Lkw an Lkw in Richtung Dresden.

Jacek Sapocznikow ist froh, einen Stellplatz gefunden zu haben. „Es wird immer schlimmer“, sagt der Pole, der für eine deutsche Spedition fährt.
Jacek Sapocznikow ist froh, einen Stellplatz gefunden zu haben. „Es wird immer schlimmer“, sagt der Pole, der für eine deutsche Spedition fährt. © Uwe Soeder
Thomas Knaup, Pressesprecher der Polizeidirektion Görlitz
Thomas Knaup, Pressesprecher der Polizeidirektion Görlitz © Pawel Sosnowski/80studio.net
Isabel Siebert, Pressesprecherin Lasuv
Isabel Siebert, Pressesprecherin Lasuv © SZ

„Es wird immer schlimmer“, sagt Jacek Sapocznikow, der für eine deutsche Spedition aus Zwickau fährt. Von Polen bis nach Spanien ist er unterwegs. „Nirgends gibt es so ein Problem mit den Übernachtungsplätzen wie hier“, sagt der Mann, der seit 18 Jahren Lkw-Fahrer ist. Er hat sich die leuchtend orangefarbene Jacke mit den Reflektorstreifen übergezogen und will noch ein bisschen Luft schnappen, ehe er sich in seiner Fahrerkabine schlafen legt. Elf Stunden muss er jetzt Pause machen. Vielleicht geht er noch rüber auf ein Schwätzchen zu den Kollegen. Die meisten, die hier stehen, kommen wie er aus Polen. Die Fahrer geben sich gegenseitig Tipps, wo sie sonst noch so hinfahren könnten, wenn der Fahrtenschreiber auf Pause drängt.

Es ist ein allabendliches nervenaufreibendes Geduldspiel. 378 Stellplätze für Lkw gibt es an der A 4 zwischen Görlitz und Dresden. Aber die reichen schon lange nicht mehr aus. In den vergangenen Jahren hat der Schwerlastverkehr stetig zugenommen – allein innerhalb des letzten Jahres um über sieben Prozent. An Wochentagen ist jedes dritte Fahrzeug ein Lkw. „In den letzten 15 Jahren hat sich der Schwerlastverkehr zwischen Görlitz und Dresden mehr als verdoppelt“, sagt der Görlitzer Polizeisprecher Thomas Knaup. „Die Zahl der Stellplätze aber, die die Fahrer dringend brauchen, um ihre gesetzlich vorgeschriebenen Pausenzeiten einzuhalten, hat sich in dieser Zeit nicht wesentlich verändert.“

Die Folgen sind fast jeden Abend auf den Rastplätzen zu erleben: Besonders eng wird es immer montags und dienstags auf den Parkplätzen in Richtung Dresden, donnerstags und freitags dann vor allem in der Gegenrichtung. Beinahe jede Nacht müssen Autobahnpolizisten ausrücken und auf den Rastplätzen für Ordnung sorgen. Denn das Geduldspiel ist längst auch ein gefährliches geworden, vor allem, wenn Fahrer ihre Sattelschlepper in die Zufahrten zu den Parkplätzen stellen, weil nirgendwo anders mehr ein freier Platz ist.

„Dadurch entstehen sehr gefährliche Situationen“, sagt Thomas Knaup. Er weiß aber auch, dass die Fahrer oft gar nicht anders können. „Sie müssen ja irgendwo stehenbleiben, um die gesetzlich vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten einhalten zu können“, erklärt er. Deshalb seien die Polizeibeamten auch angehalten, Verhältnismäßigkeit und Menschlichkeit zu wahren. „Die Lkw können sich ja auch nicht in Luft auflösen“, beschreibt Knaup das Problem.

Den Fahrer des letzten der sechs Sattelschlepper, die an diesem Montagabend in der Einfahrt zum Rasthof stehen, werden die Beamten wohl wecken und weiterschicken müssen. Zu gefährlich, wie er da steht. Bei den anderen könnten die Polizisten heute ein Auge zudrücken. Sie sind höchstens eine Behinderung, aber keine wirkliche Unfallgefahr.

Für einen Schwerlasttransporter allerdings wäre hier an diesem Abend kein Vorbeikommen. Auch diese überlangen, überbreiten und überschweren Gespanne sind beinahe jede Nacht auf der A 4 unterwegs – und müssen häufig auf genau festgeschriebenen Stellplätzen pausieren. Wenn das nicht geht, weil es einfach zu eng ist, müssen die Polizeibeamten entscheiden, wie es weitergeht, erklärt Thomas Knaup. „Es ist auch schon vorgekommen, dass unsere Kollegen die Autobahn kurzzeitig sperren mussten, damit die Schwerlastgespanne rückwärts über die eigentliche Ausfahrt zu ihren Stellplätzen gelotst werden konnten, weil in der Einfahrt kein Durchkommen war“, erzählt der Polizeisprecher. „Das Geschick und die Nervenstärke der Schwerlastfahrer kann man bei solchen Aktionen nicht hoch genug bewundern.“

Fernfahrer Jacek Sapocznikow hat im Rasthof noch eine Currywurst gegessen. Es sitzen nur wenige Fahrer in der Raststätte. Die meisten sind in ihren Lastern, die Vorhänge der Fahrerkabinen zugezogen. Auch Jacek klettert wieder in seinen Sattelschlepper. Die anderen Parkplätze bis Dresden sind auch schon alle zu, hat er gerade über Funk gehört. Auch der Rasthof Oberlausitz Süd auf der anderen Seite ist voll. „Das ist meistens so“, winkt Jacek resigniert ab. Wer jetzt noch einen Schlafplatz braucht, dem bleibt nur noch, in Gewerbegebiete oder auf große Parkplätze abseits der Autobahn auszuweichen. „Aber da muss man auch wissen, wo man hinfahren kann“, sagt er. Auch einige Tankstellenbetreiber würden die Lkw-Fahrer übernachten lassen.

Beim zuständigen Landesamt für Straßenbau und Verkehr (Lasuv) ist das Problem schon lange bekannt: „Es ist richtig, dass der Lkw-Verkehr ein großes Parkproblem hat, und das nicht nur in Sachsen“, sagt Sprecherin Isabel Siebert. Es wird auch schon fleißig geplant. So sollen zwischen Görlitz und Dresden 88 zusätzliche Lkw-Parkplätze gebaut werden – am Rasthof Oberlausitz und an den Parkplätzen „Eichelberg“ bei Ottendorf-Okrilla und „Rödertal“ bei Ohorn. Zurzeit wird an den Vorentwürfen gearbeitet. Ziel sei eine Realisierung im nächsten Jahr.