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„Das größte Massaker war in Koselitz“

Auch in Glaubitz, Gröditz und Riesa war der Nazi-Terror spürbar. Das ist vielen unbekannt, kritisieren Historiker.

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© Sebastian Schultz

Von Antje Steglich

Riesa/Gröditz. Das Ausmaß des Terrors der NS-Zeit in der Region Riesa ist erschreckend groß. Bereits im Frühjahr 1933, kurz nach Erlass der Reichstagsbrandverordnung, wurde im Volkshaus und im damaligen Amtsgerichtsgefängnis Riesa ein sogenanntes frühes Konzentrationslager eingerichtet, um Oppositionelle – vor allem aus SPD und KPD – kurzfristig festsetzen zu können. „Das war eine Art Ad-hoc-Maßnahme. Denn wenn man versucht, auf einen Schlag eine Vielzahl Gegner wegzusperren, geht das mit den normalen Gefängnis-Gebäuden nicht“, erklärt der Mitautor des soeben erschienenen Buches „NS-Terror und Verfolgung in Sachsen“, Klaus-Dieter Müller. „Das waren zentrale Orte, die bewusst gewählt wurden. Sie sollten abschrecken.“ Es gab in der Bevölkerung allerdings große Proteste, und diese Lager wurden oft nach einigen Monaten – wie auch in Riesa – wieder aufgelöst und das System Konzentrationslager in Deutschland als Methode gegen den Widerstand weiter institutionalisiert.

So entstanden die großen KZ wie Flossenbürg in Bayern, für das 1943 beziehungsweise 1944 Außenlager im Schloss Neuhirschstein sowie auf dem Gelände des Gröditzer Stahlwerkes mit insgesamt weit mehr als tausend Häftlingen eingerichtet wurden. Und als die Lager aufgrund der herannahenden Alliierten Ende des Zweiten Weltkrieges geräumt wurden, zogen auch die sogenannten Todesmärsche durch den Altkreis. 14 waren es genau, die unzählige Ortsteile von Riesa, Strehla, Zeithain, Nünchritz, Stauchitz und Glaubitz durchquerten. Fluchtversuche der Häftlinge endeten in Koselitz und Glaubitz in Massakern mit mehr als 270 Todesopfern. „In Koselitz fand das größte Massaker in Sachsen statt. Was daran vor allem so erschreckend ist: Es bestand überhaupt keine Notwendigkeit dafür“, erzählt Klaus-Dieter Müller. „Das waren typhuskranke, geschwächte Häftlinge, die nicht mehr transportfähig waren. Die hätte man einfach in den Lagern lassen können.“ Doch es kam anders. Und das soll nun auch der breiten Öffentlichkeit gezeigt werden.

Schon seit vielen Jahren forscht eine lose Gruppe von etwa 50, vor allem geschichtsinteressierten Ex-DDR-Bürgern um den Zschopauer Historiker Hans Brenner zur Geschichte Sachsens in der NS-Zeit. Ziel war und ist es dabei, vor allem die Opferperspektive in seiner gesamten Bandbreite in den Fokus zu rücken, erklärt Klaus-Dieter Müller. Mit Unterstützung der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung ist so ein mehr als 600 Seiten umfassendes Werk entstanden inklusive bislang einzigartigem Kartenmaterial zu den Todesmärschen und Konzentrationslagern in Sachsen. „Wenn sich die Leute dafür interessieren, was am Kriegsende in ihrem Ort passiert ist, ist das Buch ein guter Anhaltspunkt“, sagt Klaus-Dieter Müller. Viele wüssten bisher über dieses blutige Kapitel der Heimatgeschichte nicht Bescheid. „Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert. Das Buch ist auch gut für Schulen geeignet“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain.

Klaus-Dieter Müller und weitere Autoren haben ihr Werk im Januar erstmals im sächsischen Landtag vorgestellt und sind in der nächsten Woche auch im Riesaer Stadtmuseum zu Gast. Ihre Forschungsarbeit geht indes aber weiter. „Es gibt noch relativ viel zu machen“, ist der Radebeuler Historiker überzeugt. So seien beispielsweise während der NS-Zeit in Sachsen insgesamt 4 600 Prozesse gegen Widerständler geführt worden, die zwar statistisch erfasst, aber inhaltlich bisher noch nicht aufgearbeitet seien. „Da liegt noch viel Material in sächsischen Archiven. Das ist ein Punkt, wo man ansetzen könnte.“

„NS-Terror und Verfolgung in Sachsen – Von den Frühen Konzentrationslagern bis zu den Todesmärschen“, erschienen 2018 bei der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Das Buch wird am Mittwoch, 7. März, ab 17 Uhr im Benno-Werth-Saal des Stadtmuseums Riesa vorgestellt. Der Eintritt ist frei.