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Das größte Katzenklo der Welt

Das Maracana ist eines der legendärsten Stadien der Welt. Doch Fußball-WM und Olympische Spiele sind Geschichte. Den Brasilianern blutet das Herz.

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© Reuters

Von Georg Ismar

Das Maracana gehört jetzt den Katzen. Der Bereich bei den Drehkreuzen, wo sonst zu Zehntausenden die Fans in einen der berühmtesten Fußballtempel der Welt strömen, ist übersät mit Kot. Zwei Katzen streunen umher. Rein kommt hier niemand derzeit. Touristen in Rio de Janeiro, die hier eine Führung machen wollen, stehen vor den Gittern. Drinnen ist die Szenerie noch trostloser.

Dort, wo Mario Götze am 13. Juli 2014 in der 113. Minute Deutschland zum Weltmeistertitel gegen Argentinien schoss, ist der Rasen total vertrocknet, Fenster sind kaputt und Tausende Plastiksitze sind herausgerissen worden. Insgesamt sollen rund 7 000 Sitze fehlen, berichtete die Zeitung O Globo, die einen exklusiven Zugang in das Innere bekam, Videos zeugen von dem katastrophalen Zustand.

Diebe trieben hier zuletzt ihr Unwesen, Fernseher wurden gestohlen – und zwei Büsten, darunter eine Büste des Journalisten Mario Filho, Namensgeber des Stadions, das im Volksmund aber nur als Maracana firmiert. „SOS Maracana“, schlägt der Fußballverband von Rio de Janeiro (FERJ) Alarm. Es ist unklar, ob hier wie geplant in wenigen Wochen wieder regulär Fußballspiele stattfinden können, unter anderem die Klubs Flamengo und Fluminense tragen hier ihre Heimspiele aus.

Konflikt mit dem Stadion-Betreiber

Zudem ist das Stadion seit Tagen immer wieder ohne Strom, eigentlich ist es ein Wahrzeichen der Stadt. Wie konnte es nur so weit kommen? Dahinter steckt ein tiefer Konflikt zwischen dem Organisationskomitee von Rio 2016 und der Stadion-Betreibergesellschaft, die mehrheitlich dem Baukonzern Odebrecht gehört. Demnach sei das Stadion nicht wie vertraglich vereinbart wieder in dem Zustand übergeben worden, wie man es für den Umbau für Olympia im März 2016 überlassen habe.

Zudem seien nicht wie vereinbart maximal 81 Tonnen Feuerwerk, sondern viel mehr eingesetzt worden, was weitere Schäden verursacht haben könnte, berichteten lokale Medien unter Verweis auf interne Dokumente. Für die Eröffnungs- und die Schlussfeiern der Olympischen und Paralympischen Spiele gab es eine Reihe von Umbauarbeiten, für Bühnenaufbauten wurden viele Sitze abmontiert, die aber einfach in einen Raum geschmissen wurden und nun kaum noch zu gebrauchen sind. Die prachtvollen Feiern sind längst der Tristesse gewichen, das Maracana ist Sinnbild der akuten Finanznot in Rio nach den Spielen.

Das Organisationskomitee von Rio 2016 konnte auch andere Rechnungen nach den Spielen kaum zahlen – die Betreibergesellschaft Maracana S.A. weigert sich, die Schäden selbst zu beheben. Das OK von Rio 2016 betont, schon mit Wirkung zum 30. Oktober gemäß des Vertrages gar nicht mehr zuständig zu sein. Helfen könnte nun vor allem ein Eingreifen der Regierung des Bundesstaats Rio de Janeiro – aber die hat keinerlei Mittel. Sie ist wegen einer drohenden Pleite zu einem drastischen Sparkurs gezwungen, was zu Einschnitten bei Polizei und Krankenhäusern führt und gewaltsame Proteste hervorgerufen hat.

Eine Richterin ordnete vor wenigen Tagen schließlich an, dass Maracana S.A. als Betreiber das Stadion wieder auf Vordermann zu bringen hat, sonst drohe eine Strafe von umgerechnet 58 000 Euro – pro Tag. Dennoch passierte zunächst nichts, außer streunenden Katzen war niemand zu sehen. „Das Maracana ist den Katzen übergeben worden“, titelte Rios auflagenstärkste Zeitung O Globo erschüttert. Der Rechtsstreit ist noch lange nicht ausgestanden, zudem gibt es Spekulationen, dass der tief in einen Korruptionsskandal verstrickte Odebrecht-Konzern seine Anteile ohnehin am liebsten loswerden wolle. So geht das für die Fußball-Weltmeisterschaft für 1,3 Milliarden Reais (derzeit 380 Millionen Mio. Euro) umgebaute Maracana ungewissen Zeiten entgegen.

Tagsüber keine fünf Sicherheitsleute

„Für mich als Brasilianer ist das eine unglaubliche Schande“, sagt César Luis Moraes (51), der vor dem Stadion eine Nachbildung des WM-Pokals und Kühlschrankmagneten mit dem Maracana verkauft. „Hier gibt es gerade mal 4,5 Sicherheitsleute tagsüber, alles verfällt.“

Touristen müssen sich mit Erinnerungsfotos vor dem Stadion begnügen, statt auf dem Platz oder in den Kabinen Fotos zu schießen, wo sich einst Schweinsteiger und Messi umzogen. Auch den Ball, mit dem Pelé hier sein 1 000. Tor schoss, bekommen sie derzeit nicht zu sehen.

An einem anderen Eingang steht einsam José Constante, der Kokosnüsse verkauft, kaltes Kokoswasser ist der einzige Trost für Touristen, die hier derzeit nicht reinkommen. „Das ist alles sehr bitter.“ Auch er hat keine Ahnung, wie lange das Stadion, eigentlich ein nationales Heiligtum, noch die derzeit wohl größte Katzentoilette der Welt sein wird. (dpa)