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Das Görlitzer Ringen um ein positives Bild

Während die Sorgen groß sind und der Arbeitskampf bei Siemens tobt, bemühen sich Rathaus und Stadtrat um ermutigende Signale.

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© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Daniela Pfeiffer

Die Schockwelle rollt noch immer durch die Stadt. Die Angst, die beiden größten Industrieansiedlungen zu verlieren, ist riesig. Solidaritätsbekundungen gibt es jeden Tag zuhauf, Siemens darf nicht schließen, Bombardier nicht drastisch abbauen, das würde die Region ausbluten. Landes- und Bundesregierung scheinen allerdings im Moment relativ machtlos oder zu sehr mit sich selbst befasst, um wirklich zu helfen. Was aber tut man im Kleinen? Im Rathaus oder im Stadtrat? Zwar ist Oberbürgermeister Siegfried Deinege in diesen Tagen gefragter Interviewpartner lokaler und überregionaler Medien und wird nicht müde, auch dem 20. noch seinen Standpunkt ins Mikrofon zu sprechen. Und er nimmt an Belegschaftsversammlungen, internen Gesprächen, öffentlichen Protestveranstaltungen teil. Doch was tut sich ansonsten in der städtischen Wirtschaftspolitik?

Die lange angekündigte und mehrfach verschobene Wirtschaftskonferenz jedenfalls wird es in diesem Jahr nicht mehr geben. Stattfinden soll sie nach wie vor. Wann, ist offen. Stadtrat Frank Wittig (FDP) findet, dass die Probleme bei Siemens und Bombardier zeigen, dass die Stadtverwaltung die wirtschaftlichen Belange noch viel stärker in den Blickpunkt nehmen muss. Allzu oft würden diese durch andere Themen verdrängt. Eine kleinteiligere Unternehmensstruktur, die flexibler auf Veränderungen reagieren kann, brauche die Stadt. Auf den Ansiedlungserfolgen sollte sich nicht ausgeruht werden, sondern weitere Unternehmen müssten angelockt, Gründern eine Perspektive geboten werden. „Im Stadtrat sind konkrete Maßnahmen wie die schon beschlossene Senkung der Gewerbesteuer zügig umzusetzen.“

Die Linken sehen Steuern als rein plakatives Element. Es bedürfe weit mehr. Um Lobbyarbeit für die Entscheidung, hier zu investieren, gehe es. Dafür enorm wichtig: weiche Standortfaktoren wie Kultur, Freizeit-, Sportangebote, Kitas und Schulen. Dass die Stadt hier in den letzten Jahren einiges geschafft hat, darin sind die Stadträte sich einig. Viele Schulen und Kitas, Straßen und Plätze sind saniert. Darauf kann man stolz sein – vor allem in diesen Tagen, sagt der Oberbürgermeister. Das Leben in der Stadt gehe schließlich weiter, wenngleich im Moment alles auf die beiden großen Unternehmen fokussiert ist. Aber Wirtschaft sei auch Tourismus oder eine sich besser und besser entwickelnde IT-Branche. Zudem schätzt der OB auch die Chance auf neue Ansiedlungen als hoch ein. „Ich sehe kein Problem, das Gewerbegebiet in Schlauroth voll zu bekommen“, sagt er. Trotzdem treibt ihn auch die Frage um: „Was wird aus dem Mittelstand, wenn er nicht mehr Zulieferer ist?“ Es geht um Angestellte in Handwerk, Gastronomie, Einzelhandel und Kultureinrichtungen, die direkt oder indirekt von den Folgen einer Schließung bedroht wären. Konkrete Ideen, was Rathaus und Stadträte tun könnten, hat Joachim Schulze (Grüne): Er wünsche sich für Görlitz zunächst eine solide Analyse von Wirtschafts-, Bildungs- und Experten für regionale Entwicklung. Im Ergebnis könnte dann ein Masterplan für die wirtschaftliche Zukunftssicherung von Görlitz entwickelt werden. „Ich schlage als Arbeitsbegriff ‚Demiani-Forum‘ vor“, sagt Schulze. Die angekündigte Wirtschaftskonferenz stellt er sich als Startschuss vor.

Potenziale für die weitere wirtschaftliche Entwicklung sieht Schulze in der Software-Entwicklung oder der Medizintechnik. Auf mittelständische Unternehmen und Betriebe sollte man setzen, genau wie auf junge, kreative und engagierte Menschen im Handel, in der Kulturwirtschaft und im Dienstleistungssektor. Die Linken finden, dass die Möglichkeit, Gründerzentren zu schaffen, bisher unterschätzt wird. Junge Unternehmer, die zusammen mit der Hochschule hier ihren Start ins Unternehmerleben vollziehen. Dafür müssten Bedingungen geschaffen werden wie günstige Mieten, Starter-Kredite, Netzwerke, gute Kinderbetreuung. Man sehe die Zukunft der Region absehbar nicht in der industriellen Massenproduktion, sondern in der Vielschichtigkeit von innovativen kleinen und mittleren Unternehmen. Die Wirtschaft in Görlitz kann stabilisiert werden. Davon ist Rolf Weidle von der großen Koalition aus CDU und Bürgern für Görlitz überzeugt. Belebung und Aufschwung werden nicht nur Großinvestitionen wie die Landratsamtserweiterung oder der Senckenberg-Neubau bringen. Auch im Tourismus habe sich Görlitz enorm gesteigert. Mit der neuen Geschäftsführerin bei der Europastadt GmbH sehe er in der Wirtschaftsförderung starke Impulse. „Die Werbung um Investoren steht an vorderster Stelle und es gibt auch eine Reihe von Interessenten“, so Weidle. Allerdings fehlen für größere Neuansiedlungen Flächen. Hier könne man nur zusammen mit Nachbargemeinden voran kommen. Eine Wirtschaftskonferenz habe erst Sinn, wenn alle Akteure gemeinsam einen Zukunftsplan für die wirtschaftliche Standortsicherung der Region erarbeiten wollen.