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Das Geheimnis des Klosterlikörs

Friseurmeister Heil besitzt eine der letzten Flaschen des legendären Getränks von Kaffee Starke. Aber wo ist das Rezept?

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© Sebastian Schultz

Von Dörthe Gromes

Riesa. Vielen Riesaern ist der Kloster- oder Kräuterlikör, den es bei Kaffee Starke zu kaufen gab, noch in guter Erinnerung. Oft wurde er gar als lokale Spezialität in den Westen verschickt. Doch mit dem Ende des Starkschen Geschäftes ging auch die Rezeptur dieses Schnapses verloren.

Die Familie von Gunter Heil war jahrzehntelang der Nachbar von Starkes. Der Frisörsalon wird bereits in vierter Generation betrieben. 1907 erwarb Gunter Heils Großvater das Haus in der Großenhainer Straße 3, nur zwei Jahre zuvor hatte der Leipziger Kaufmann Oskar Paul Starke die Nummer 1 gekauft und dort sein Kaffeegeschäft mit Rösterei im Hinterhof eröffnet.

Der pensionierte Friseurmeister erinnert sich noch gut daran, dass der Likör im Keller des Starke-Hauses hergestellt wurde. Eben dieser Keller diente in den letzten Kriegsjahren als Luftschutzkeller. Das Kürzel LSR für Luftschutzraum steht noch heute an der Tür. Als Sechsjähriger suchte Gunter Heil mit seiner Mutter in den Bombennächten Schutz in diesem Keller.

Oskar Paul Starke starb 1941, sein Sohn Johannes Paul Starke führte das Familiengeschäft weiter. Neben Kaffee und Likör gab es auch Süßigkeiten, Tabakwaren und Lose der Sächsischen Landeslotterie zu kaufen. „Der Starke war ein guter Geschäftsmann“, meint sein ehemaliger Nachbar. „Dort gab es immer was Besonderes, was man anderswo nicht bekam. Keine Ahnung, wie er das als privater Händler zu DDR-Zeiten geschafft hat.“

Der Laden sei penibel sauber gewesen, und Johannes Paul Starke sei stets mit weißem Kittel und Krawatte gekleidet gewesen. „Zu Kindern war er sehr nett, denen hat er immer Süßigkeiten zugesteckt“, weiß der 77-Jährige noch. Zu seinem eigenen Sohn Hans, der nur wenige Jahre älter war als Gunter Heil, soll er jedoch recht streng gewesen sein: „Als Halbwüchsige waren wir befreundet. Bei verhängten Fenstern spielten wir damals in seinem Zimmer Skat, damit Hans’ Vater nicht dahinterkam.“ Mit dem elterlichen Laden hätte Hans Starke nichts am Hut gehabt. Lange hielt er es in Riesa ohnehin nicht aus und ging in den 1950er Jahren in den Westen. „Danach hatten wir nur noch sporadisch Kontakt“, so der Friseur.

Johannes Paul Starke starb 1972 an Krebs. Kurz zuvor hatte er seinen Laden für immer geschlossen. Das Haus schenkte die Erbengemeinschaft, die mit dessen Erhalt überfordert war, elf Jahre später der Stadt. Ein staatlich betriebener An- und Verkauf zog ins Erdgeschoss. Die letzten Mieter zogen Anfang der 90er aus, die Kaffeerösterei im Hinterhof wurde vor etwa zehn Jahren abgerissen. Seit Langem wird ein Käufer gesucht, etliche Investitions- und Sanierungspläne zerschlugen sich bereits.

Auch Starke Junior ist mittlerweile gestorben, ohne Nachkommen hinterlassen zu haben. Das Rezept für den Likör nahm er wohl mit in den Westen. „Es gab Leute, die versucht haben, es aus ihm rauszuholen, aber er hat es nicht preisgegeben“, erzählt sein Jugendfreund. Die Chancen auf eine Wiederauflage des Riesaer Likörs stehen daher schlecht. Zumal nur noch wenige Originalflaschen erhalten sein dürften. Neben Gunter Heil besitzt auch Ex-Kreishandwerksmeister Kurt Hähnichen eine ungeöffnete Flasche. Er fand sie im Nachlass seiner Tante in Fulda. Den Likör hatte sie damals von Hähnichens Familie als „Weihnachts-Tropfen“ erhalten. „Es wird wohl nicht die einzige Flasche gewesen sein, die wir ihr geschickt haben“, kommentiert Hähnichen den Fund.

Während Hans Starke sein Glück im Westen suchte, übernahm Gunter Heil den familieneigenen Frisörsalon. Besonders zu Illa Starke, der zweiten Frau von Ladeninhaber Johannes Starke, hatte er weiterhin einen guten Draht. „Sie kam immer freitags um eins zum Haaremachen“, meint er. Seine damalige Nachbarin beschreibt Heil als „lustige und arbeitsame Person, die Wert auf gutes Aussehen gelegt hat.“ Von ihr bekam der passionierte Sammler alter Dinge einige Stücke aus der Ladeneinrichtung geschenkt. So ist auch die Likörflasche bei ihm gelandet. Öffnen und trinken will er sie jedenfalls nicht: „Als Jugendlicher habe ich mal den Likör probiert, fand ihn aber selbst gar nicht so toll.“