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Das Gefühl zu atmen

„Es war kein Leben.“ Ein Satz, der viel über ihre Zeit in Chemnitz sagt. Aljona Savchenko genießt jetzt das Leben auf und neben dem Eis – mit drei neuen Männern an ihrer Seite und an einem anderen Ort.

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© kai schmidt

Von Michaela Widder

Niemand da. Der Interviewtermin scheint geplatzt zu sein. Nur der schwarze Rucksack mit der Deutschland-Aufschrift deutet darauf hin, dass es doch Aljona Savchenko sein könnte, die zum Auto eilt. Also hinterher in die Tiefgarage. Die Eiskunstläuferin muss sich fühlen, als verfolge sie ein aufdringlicher Fan. Als sie ihren Namen hört, bleibt sie trotzdem stehen und dreht sich verdutzt um.

Die zweite Karriere: Mit Bruno Massot steht die 33-Jährige seit 2014 auf dem Eis und gewann schon WM-Bronze und EM-Silber.
Die zweite Karriere: Mit Bruno Massot steht die 33-Jährige seit 2014 auf dem Eis und gewann schon WM-Bronze und EM-Silber. © dpa
Die erste Karriere: Mit Robin Szolkowy (r.) und Trainer Ingo Steuer feiert Aljona Savchenko fünf Weltmeistertitel.
Die erste Karriere: Mit Robin Szolkowy (r.) und Trainer Ingo Steuer feiert Aljona Savchenko fünf Weltmeistertitel. © dpa

Der Beginn eines Gesprächs hätte besser laufen können. Eigentlich braucht ihr Mann jetzt das Auto, und sie hat nach dem dreistündigen Eistraining Hunger. Doch das eine Problem klärt sie mit einem Anruf, das andere mit einer Käsesemmel, die sie sich am Kiosk in der Oberstdorfer Eishalle kauft. Dazu zieht sie einen Kaffee aus dem Automaten. Die Welt ist für den Moment wieder in Ordnung.

Früher hätte Aljona Savchenko vermutlich anders reagiert. So entspannt wie an diesem Februartag erlebte man die fünfmalige Weltmeisterin bislang selten. Irgendwas ist passiert im Leben der gebürtigen Ukrainerin. „Ich fühle mich frei und wohl, ich habe das Gefühl, atmen zu können“, sagt Savchenko, die mit Bruno Massot bei der WM in Helsinki ab Mittwoch um ihre 21. internationale Medaille läuft. Neuer Eispartner, neuer Trainer, neue Stadt – und der Mann ihres Lebens an der Seite. Von ihrem alten Leben scheint – außer dem Sport – nicht mehr viel übrig geblieben zu sein.

Ein Jahrzehnt gehörte Aljona Savchenko mit Robin Szolkowy zu den besten Eiskunstlaufpaaren in der Welt, sie gewannen fünf WM- und vier EM-Titel sowie zwei olympische Bronzemedaillen. „Wir haben zusammen große Erfolge gefeiert. Aber wir konnten den Erfolg nicht genießen“, sagt sie. Die Dreierkonstellation mit dem verbissenen Trainer Ingo Steuer galt bis zum Bruch im Frühjahr 2014 als schwierig.

Erst jetzt, da sie in einem neuen Umfeld lebt und trainiert, ist der 33-Jährigen das richtig bewusst geworden. Sie weiß um den großen Anteil ihres Ex-Trainers, der aus der kleinen Juniorenweltmeisterin aus Kiew und dem gebürtigen Greifswalder in Chemnitz ein Weltklassepaar formte. Sie sagt aber auch: „Hinter der Medaille sah es anders aus.“ Wie – das ist Vergangenheit, darüber sprechen will sie eigentlich nicht mehr, auch wenn es zu ihrer Geschichte gehört. „Es war kein Leben.“ Ein Satz, der viel über die Zeit in Chemnitz sagt.

Während Szolkowy den Schein wahrte und immer freundlich auftrat, fiel es Savchenko auch in der Öffentlichkeit schwer, ihre Unzufriedenheit trotz der vielen Titel zu verbergen. Nach den Winterspielen in Sotschi trennten sich ihre Wege. Selbst der Abschied „war doof gelaufen“, findet Savchenko, die daran auch ihren Anteil hatte. Szolkowy beendete seine Karriere, für sie kam das nicht infrage. „Es ist zu früh. Ich hatte schon zu viel vermisst, bevor ich überhaupt aufgehört habe.“

Höchstens drei, vier Tage nach dem Saisonende hält es Savchenko ohne Eis aus, so vernarrt ist sie seit 30 Jahren in den Sport. Es war ihr dritter Geburtstag, als sie die ersten Schlittschuhe bekam und noch am selben Abend ihren Vater überredete, eine Runde auf dem zugefrorenen See in der Nähe zu drehen. Als sie vier war, wollte er seine Tochter das erste Mal im Verein anmelden. Sie sei zu klein, hieß es. Ein Jahr später wurde Aljona dann aufgenommen. Sie musste um vier Uhr aufstehen, pendelte mit dem Bus von Obuchiw ins 60 Kilometer entfernte Kiew zum Sechs-Uhr-Training, danach ging es erst in den Kindergarten.

Der Ehrgeiz und diese Härte zu sich selbst gehören zu Aljona Savchenko wie das Lächeln auf dem Eis. Für Bruno Massot, der seit Frühjahr 2014 ihr neuer Eispartner ist, war der Beginn keinesfalls leicht. Ständig musste der Franzose es aushalten, mit Robin Szolkowy verglichen zu werden. Erst in diesem Winter befreit er sich von der Last. „Ich glaube, das hat ihn anfangs sehr genervt. Aber ich habe ihm gesagt: Sei, wie du bist. Unser Trainer meint, wir sollen den Moment genießen und nicht darauf schauen, was wir nicht haben.“

Seit Oktober 2014 trainieren sie bei Alexander König in Oberstdorf. „Aljona weiß genau, was sie will, und das ziemlich kompromisslos“, erzählt der frühere Paarläufer. „Für Bruno ist es oft schwer, diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, da seine früheren Partnerinnen sportlich schwächer waren. Nun auf Augenhöhe mit Aljona zu sein, stößt schon manchmal an sein Ego.“ Doch König hat für die beiden und ihre Situation ein Händchen – er findet die passende Ansprache. Selbst, wenn Savchenko mal mit schlechter Laune auf das Eis gehe, komme sie mit guter nach Hause – und das liegt am Trainer. „Er ist der Sonnenschein, er strahlt viel positive Energie aus“, sagt sie.

Als Alexander König am Bistro in der Eishalle vorbeigeht, grinsen sich beide an. Dann zieht Aljona Savchenko eine Tafel Schokolade aus dem Rucksack und schaut fragend zu ihrem Trainer. Er nickt nur, ja, sie ist von ihm. Eine süße Aufmerksamkeit zum Feierabend. Das Leben ist schön.

Trotz der Hürden, die das Trio zu überwinden hat. Die Startfreigabe für Massot zog sich anderthalb Jahre hin, und noch jetzt stottern sie zehn Prozent ihrer Wettkampfeinnahmen an den französischen Verband ab. Auch gesundheitlich könnte es besser laufen. Erst hatte sich Aljona Savchenko im Herbst einen Bänderriss im rechten Fuß zugezogen, dann fällt Anfang März Bruno Massot mit einem leichten Bandscheibenvorfall zwei Wochen aus. Der Trainer dämpft daher die Erwartungen vor der WM. „Eine Medaille wäre toll, aber wir müssen cool und realistisch bleiben.“

Wenn Savchenko an den Start geht, will sie gewinnen. Und natürlich lebt der Traum vom Olympiasieg. Doch sie verfolgt die Ziele nicht mehr mit der Verbissenheit vergangener Jahre. Weil sie jetzt auch ein Leben abseits vom Eis führt. Ein junger Engländer hat ihr im Herbst 2014 den Kopf verdreht. Liam Cross lernte sie auf einem Pokerabend bei Freunden in Oberstdorf kennen. „Ich kann gar nicht mehr alleine schlafen“, sagt sie und grinst wie ein frisch verliebter Teenie. Bis auf ihre Grundausbildungszeit bei der Bundeswehr im schwäbischen Sonthofen, verrät Savchenko, haben sie jede Nacht zusammen verbracht.

Am 18. August 2016 heiratete sie ihren acht Jahre jüngeren Liam. Er ist Grafikdesigner und arbeitet als freier Künstler. Eine Zeit lang jobbte er in der Gastronomie, aber das passte nicht zum Tagesrhythmus einer Profisportlerin. Zuallererst ist er nämlich für Aljona da und begleitet sie zu jedem Wettkampf. Eifersucht, die bei der engen Arbeit mit Massot auf dem Eis entstehen könnte, lässt er sie nicht spüren. „Die Jungs verstehen sich gut. Die Freundin von Bruno wohnt auch in Oberstdorf, und wir unternehmen auch mal was zu viert. Es geht bei uns familiär zu“, sagt sie.

Im Herbst haben die beiden in Oberstdorf eine größere Wohnung mit Blick auf die Berge bezogen. Aljona Savchenko genießt die Zweisamkeit mit ihrem Mann. „Einfach auf der Couch liegen“, sagt sie, „mal nichts tun.“ Manchmal zieht es sie auch in die Allgäuer Berge, doch die meiste Zeit noch immer aufs Eis. Wie lange Savchenko weiter Wettkämpfe laufen will, lässt sie offen. „Ich setze mir jetzt keinen Endpunkt, sondern lasse mir meinen Freiraum. Ich führe doch jetzt das Leben, das ich mir lange gewünscht habe.“

Sie spürt, Luxus ist das, was uns zusammenhält.