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Das fliegende Auge

Einmal im Jahr kontrolliert Mitnetz Strom die Freileitungen aus der Luft. DA-Redakteurin Maria Fricke war dabei.

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© Dietmar Thomas

Von Maria Fricke

Döbeln. Die Rotoren drehen immer schneller, der Lärm dringt trotz Kopfhörern an die Ohren. Plötzlich heben wir ab. Ich fliege. Das erste Mal in meinem Leben. In Windeseile sind wird auf 30 bis 35 Metern Höhe. Unter mir der Gewerbepark Mockritz. Dächer von Firmen und Lagerhallen. Daneben der Solarpark. Unzählige Module auf einer Fläche so groß wie 40 Fußballfelder. Den Anblick habe ich selten.

Manchmal gehen Journalisten für ihren Job auch in die Luft: Für DA-Redakteurin Maria Fricke war es der erste Flug überhaupt.
Manchmal gehen Journalisten für ihren Job auch in die Luft: Für DA-Redakteurin Maria Fricke war es der erste Flug überhaupt. © Dietmar Thomas

Nicht so Dietmar Kabisch, Fachreferent für Hochspannungsleitungen bei der Mitnetz-Strom aus Markkleeberg. Einmal im Jahr inspiziert er mit einem Kollegen die Freileitungen aus der Luft. Sowohl im Frühjahr als auch im Herbst steigen sie dafür mit einem Helikopter in rund 30 bis 35 Metern Höhe, um die etwa 25 Meter hohen Masten und Freileitungen zu begutachten. Diese 110-Kilovolt-Hochspannungsleitungen verteilen den Strom zwischen den Umspannwerken der Mitnetz-Strom. „Sie sind somit von wesentlicher Bedeutung für die sichere Versorgung der Stromkunden“, erklärt Mitnetz-Strom-Sprecherin Evelyn Zaruba.

Bis auf 15 Meter an die Leitung ran

Am Donnerstag hat sich das Team die Region Döbeln vorgenommen. Angeflogen werden dabei etwa 250 bis 300 Masten, die im Abstand von ungefähr 350 Metern zueinanderstehen, schildert Evelyn Zaruba. Um 8 Uhr starten Kabisch, sein Kollege und Pilot Reiner Flath bei Taucha. Weiter geht es nach Eula bei Borna, Mockritz und Torgau. Da ist jedoch nur ein kleiner Bruchteil dessen, was insgesamt zu kontrollieren ist: Rund 1 200 Kilometer Hochspannungsleitung verteilt auf einer Fläche von 4 440 Quadratkilometern in der Netzregion Westsachsen. Etwa sechs Stunden sind die Experten täglich in der Luft. Alle zwei Stunden wird getankt. Das geschieht auf dem Flugplatz oder mit einem Tankwagen, der den Hubschrauber begleitet.

„Das Wetter ist hervorragend heute“, sagt Kabisch. Die Sicht ist klar, kaum Wind, die Sonne scheint. Nur eine dünne Wand trennt uns von der Außenwelt. Die Fensterscheibe des Piloten wackelt. Die Maschine hat schon einige Jahre auf dem Buckel. „Das Baujahr spielt keine Rolle“, sagt Reiner Flath von der Firma DHD Heliservice aus Groß Kreutz (Havel). „Alle wichtigen Teile sind immer neu, nur die Zelle ist etwas älter“, sagt der Mann, der seit 35 Jahren fliegt. Die Erfahrung ist zu spüren.

Flath muss sehr genau fliegen. Er nähert sich mit seiner Maschine auf bis zu 15 Meter den Leitungen. Mehr Abstand nimmt der Pilot nur, wenn er sieht, dass sich Tiere in der Nähe befinden. Auf einer Weide schrecken ein paar Pferde durch das Geräusch des Hubschraubers auf. Flath fliegt einen kleinen Bogen. „Die haben genug Auslauf. Wir halten aber trotzdem Abstand“, erklärt Dietmar Kabisch. Ebenso sei es, wenn Vögel gesichtet werden, die auf einem Mast ein Nest haben und gerade brüten, versichert Evelyn Zaruba. „Einige Vogelnester haben wir heute auch wieder gesehen“, sagt Kabisch. Probleme bereiten die nicht. Aber nur, weil die Mitnetz-Strom den Tieren Nisthilfen anbietet. „Würden wir die Vögel einfach machen lassen, würde das schon anders aussehen“, so Kabisch.

Flüge noch immer Besonderheit

Die Augen der Experten sind akribisch auf die Leitungen gerichtet. Sie versuchen, sämtliche Unregelmäßigkeiten, Beschädigungen und Gefährdungen zu erkennen. Sind Seile, Mastkonstruktionen, Isolatoren und Armaturen in Schuss? Gibt es Veränderungen im Trassenbereich? Sie achten darauf, ob Blitzeinschläge die Seile beschädigt haben, Pflanzen in die Leitungen ragen oder Fremdkörper. „Hier, die Pappeln wurden erst verschnitten“, sagt Kabisch. Diese Bäume würden besonders schnell in die Höhe wachsen. „Wir haben nur zwei beschädigte Masten gesehen. Das waren wahrscheinlich Landwirte. Aber die Standsicherheit ist nicht gefährdet“, so Kabisch.

Seit 1992 fliegt er zu Kontrollzwecken mit dem Helikopter über das Leitungsnetz. „Die Flüge sind immer noch etwas Besonderes“, sagt er. „Auch, weil man so in kurzer Zeit einmal das ganze Netz sehen kann.“ So manche Kuriosität hat der 59-Jährige bei seinen Flügen bisher entdeckt: Spielzeugdrachen, die sich in den Leitungen verhangen haben, sind der Klassiker. Ein Wäschekorb aus Plastik, den Hobby-Naturschützer als Nisthilfe oben auf dem Mast angebracht haben, findet sich schon seltener. Aber auch die Folgen von Berührungen mit Kränen sehen die Kontrolleure immer wieder. Meist geschieht das bei „wilden Baustellen“, für die es keine Genehmigung gibt. Ab und zu fällt auch ein abgestelltes Auto auf, das für Zweisamkeiten genutzt wird, sagt Kabisch.

Billig ist diese Art der Kontrolle nicht. Zwischen 500 und 680 Euro pro Stunde kostet der Flug mit dem Helikopter. Das Fluggerät mietet sich der Stromversorger. Seit mehreren Jahren gibt es dabei eine Zusammenarbeit mit der Firma aus Groß Kreutz. Neben den Flügen gibt es aber auch weitere regelmäßige Kontrollen, wie Evelyn Zaruba informiert. Alle Leitungen werden jährlich begangen. Über einen Zeitraum von fünf Jahren werden zudem alle Masten einmal bestiegen. Aber auch an den Erdungsanlagen sind Kontrollen notwendig. Diese erfolgen ebenfalls im Fünf-Jahres-Rhythmus. Bei Mängeln gibt es Sonderkontrollen, hinzukommt die Ursachenforschung nach Stromausfällen.

Für heute hat Kabisch in Döbeln genug gesehen. „Es sieht gut aus hier. Wir haben nur wenig gefunden.“ Der Helikopter steuert Rochlitz an. Ich sitze wieder in meinem Auto. Der Lärm der Rotoren dröhnt in meinen Ohren nach. Der Kopf fühlt sich schwer an. Es war herrlich in der Luft.