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Das erste Mal Schnee in der Hand

Carlos ist Gastschüler aus Paraguay und erlebt Deutschland im Winter. Seine Gastfamilie wohnt in Lodenau und er besucht das Nieskyer Gymnasium – um Deutsch zu lernen.

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© André Schulze

Von Steffen Gerhardt

Glaubt man den Wetterprognosen, wird sich Carlos Doldon Romonach zu Weihnachten in Deutschland wohlfühlen. Zumindest von den Temperaturen her, die fast zehn Grad Celsius erreichen sollen. Carlos ist ein 16-jähriger Schüler aus Paraguay, der für drei Monate in Deutschland weilt, die meiste Zeit davon bei seiner Gastfamilie in Lodenau. Einen Vorgeschmack, wie sich Winter anfühlt, bekam der Jugendliche in dieser Woche. „Ganz schön kalt fasst sich der Schnee an. Ich halte ihn zum ersten Mal in meinem Leben in den Händen“, sagte Carlos beim Fototermin vor seiner Gastschule. In Paraguay ist jetzt Hochsommer. Da klettert die Quecksilbersäule auf über 40 Grad Celcius. Da hält man es im Freien kaum aus vor Hitze und einer Luftfeuchtigkeit von rund 70 Prozent, berichtet Carlos. Die gefütterte Jacke, die er trägt, hat er nur für Deutschland gekauft. Denn auch wenn Winter in Paraguay ist, die Temperaturen bleiben immer im zweistelligen Bereich. Und noch etwas ist anders als in seiner Heimat. „Bei uns scheint die Sonne sechs bis acht Stunden am Tag. Hier in Deutschland kann ich die Sonnentage an einer Hand abzählen, seitdem ich hier bin.“

Carlos besucht das  Schleiermacher-Gymnasium in Niesky. Dort nimmt er am Unterricht einer zehnten Klasse teil. „Ich habe den vollen Unterricht in deutsch, nur die Arbeiten muss ich nicht mitschreiben“, sagt er erleichtert. Es ist die dritte Woche, an der Carlos in Niesky zur Schule geht. „Sein Deutsch ist schon merklich besser geworden“, bescheinigen ihm seine Lehrer. Schließlich wird nicht nur in der Schule mit ihm deutsch gesprochen, sondern auch in seiner Gastfamilie in Lodenau. „Carlos ist nach Deutschland gekommen, um unsere Sprache zu lernen. Dabei unterstützen wir ihn auch zu Hause“, sagt seine Gastmutter Cornelia Kloss.

Ihre jüngste Tochter Alexandra besucht ebenfalls das Nieskyer Gymnasium, nur eine Klassenstufe höher als Carlos. Aber eine Klassenkameradin von ihm kommt ebenfalls aus Lodenau. So sitzt er nicht allein im Schulbus nach und von Niesky. „In der Schulzeit stehe ich 5 Uhr morgens auf. Denn hier ist der Weg länger als bei mir zu Hause“, erzählt der junge Mann. Carlos wohnt in der Hauptstadt Asunción. Als die größte Stadt Paraguays liegt sie an der Grenze zu Argentinien und hat über eine halbe Million Einwohner. Die Landessprachen sind Guaraní und Spanisch. Carlos will noch Deutsch dazulernen. Nicht nur, weil die deutsche Schule nur eine viertel Stunde von seinem Zuhause entfernt steht, sondern weil sein Vater bereits dort gelernt hat. Es ist das deutsch-paraguayische Kulturinstitut, das zum weltweit tätigen Goethe-Institut gehört. Carlos jüngere Schwester (13) und Bruder (8 Jahre) besuchen ebenfalls diese Schule. Er seit der fünften Klasse.

Die Reise nach Deutschland ist für ihn eine einmalige Gelegenheit in seiner Schulzeit. Mit 40 weiteren Jungen und Mädchen in seinem Alter ist Carlos für drei Monate nach Deutschland geflogen. Seine Mitschüler sind wie er in Gastfamilien untergebracht. Die erste Woche verbrachten sie gemeinsam in Berlin, um sich in Deutschland einzugewöhnen. Nun ist jeder auf sich allein gestellt. „Wir sind aber trotzdem übers Internet im Kontakt“, sagt Carlos. Dass es ihn an den östlichsten Rand von Deutschland verschlägt, sah er erst beim genauen Blick auf die Landkarte. „Ich habe nach der Adresse gesucht, und da stand Rothenburg drauf. Aber Rothenburg gibt es ja gleich sechsmal in Deutschland.“ Schließlich blieb das an der Neiße übrig. Unzufrieden ist er nicht. „Mein Großvater hat eine Landwirtschaft, ich kenne das Landleben“, sagt Carlos. Ihn begeistert das sogar, denn sein Berufswunsch ist Tierarzt, verrät er.

Dass Carlos in Lodenau gelandet ist, verdankt er seiner Gastfamilie. Sie hatten eine Anzeige vom in Stuttgart ansässigen Humboldteum gelesen. Das ist ein gemeinnütziger internationaler Verein für Bildung und Kulturdialog. Er unterstützt weltweit deutschsprachige Schulen. Und dieser Verein suchte Gasteltern für Schüler aus Paraguay. Cornelia Kloss erzählt, dass sich ihre Familie dafür beworben hatte. „Anfang Oktober wussten wir, dass Carlos zu uns kommt und bis 10. März bleibt.

Ein Aspekt dieses Austausches ist, dass die jungen Gäste Weihnachten in deutschen Familien erleben. „Wir feiern wie jedes Jahr. Die ganze Familie kommt zusammen, bei uns sind das vier Generationen. Und Carlos wird dabei sein, auch wenn wir Heiligabend in die Kirche gehen“, berichtet die Gastmutter. Nur eins wird sie ihm nicht bieten können: Schnee zu Weihnachten. „Aber einen Schneemann haben wir schon im Garten gebaut“, ergänzt Cornelia Kloss. Nun hoffen sie und ihre Familie wenigstens auf einen weißen Jahreswechsel.