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Das Erbe der Templer

An Häusern der Pirnaer Kohlbergstraße finden sich rätselhafte Reliefs mit Abkürzungen und Initialen. Sie weisen auf eine einst sehr aktive Loge hin.

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© Archiv Rippich

Von Rainer Rippich

Pirna. Im Allgemeinen geben sich Logen mystisch, geheimnisvoll, rätselhaft und esoterisch: Männer treffen sich zu nächtlichen geheimen Zusammenkünften und Ritualen; Sinnbilder mit Zahlen und Symbolen geben Außenstehenden Rätsel auf.

Zeitzeugen in Pirna

Die Initialen P.Z. am Wohnhaus Kohlbergstraße Nr. 13 deuten auf Paul Zschunke hin, der die Pirnaer Guttempler-Loge lange führte.
Die Initialen P.Z. am Wohnhaus Kohlbergstraße Nr. 13 deuten auf Paul Zschunke hin, der die Pirnaer Guttempler-Loge lange führte.
Die Logen-Mitglieder trafen sich in den ehemaligen Schulgebäuden links und rechts des Klosterhofs.
Die Logen-Mitglieder trafen sich in den ehemaligen Schulgebäuden links und rechts des Klosterhofs.
Flachrelief der Guttempler-Loge an der Kohlbergstraße 8, 13 und 15.
Flachrelief der Guttempler-Loge an der Kohlbergstraße 8, 13 und 15.
Der Bienenkorb als Logen-Sinnbild an der Kohlbergstraße Nr. 12.
Der Bienenkorb als Logen-Sinnbild an der Kohlbergstraße Nr. 12.
Bruder Gustav Lantzsch, ein Vorsitzender der Loge.
Bruder Gustav Lantzsch, ein Vorsitzender der Loge.
Die Abbildung zeigt das Siegel der Pirnaer Guttempler.
Die Abbildung zeigt das Siegel der Pirnaer Guttempler.

Auch in Pirna waren Logen aktiv. Eine heute kaum mehr bekannte ist die Guttempler-Loge, sie fand in der hiesigen Stadtgeschichtsschreibung bisher wenig Beachtung. Die Suche in Archivalien des Pirnaer Stadtarchivs, eine ausführliche und prompte Auskunftsberatung durch das Berliner Guttemplermuseum und Hinweise von Nachkommen des letzten Hochtemplers können nun manche Fragen zur Guttempler-Loge beantworten.

Die Gründung der Pirnaer Guttempler-Loge geht auf das Jahr 1904 zurück. Einen entscheidenden Impuls erhielten die Pirnaer offensichtlich aus der Wiedervereinigung der sächsischen Logen zur Distriktloge „Königreich Sachsen“ im Sommer 1902. Als im Mai des Jahres 1904 ein Antrag beim Pirnaer Rat zur Gründung der „Guttempler-Loge“ vorlag, gab es bereits zwei weitere Logen in Pirna. Die Freimaurerloge St. Johannis „Zur Leuchte am Strome“ im Orient und die Druidenloge „Zum Schild Wettin“. Erstgenannte wechselte nach 1902 zweimal ihren Versammlungsort. Die Mitglieder trafen sich in der ersten Etage des Hotels „Kaiserhof“, Gartenstraße 11, und zuletzt in ihrem eigenen Logenhaus, Brückenstraße 2.

Die Druidenloge „Zum Schild Wettin“ nutzte als Treffpunkt das Vereinszimmer im Restaurant „Ratskeller“ am Markt 9 und später ein Logenheim im Restaurant „Alberthof“, Neue Straße 9 (heute Klosterstraße). Hier trafen sich die Mitglieder jeden Donnerstag ab 20 Uhr. Die Loge bildete einen Zweig des 1781 wieder ins Leben gerufenen alten Ordens der Druiden. In allen Erdteilen zusammen zählte man circa 100 000 Mitglieder. Deutschland verfügte über eine Reichsloge und 62 regionale Logen. Vorsitzender der Loge in Pirna mit 53 Mitgliedern war Goldschmied Franz Jüterbock.

Am 29. Mai 1904 schließlich erfolgte die offizielle Gründung der Pirnaer Guttempler- Loge. Dem Rat der Stadt waren die Wohlfahrtsaufgaben vertraut, derer sich die Guttempler stellten. Somit war die Loge in der Stadt willkommen. Am 1. Juli des gleichen Jahres erteilte der Rat der Guttempler-Loge die Genehmigung, dass sie künftig in ihrem Vereinsstempel das Stadtwappen verwenden dürfen.

Im Vereinsstempel wird das Wappen von einem Schriftband umschlossen mit den Worten „Unabhängiger Orden der Guttempler“ im oberen und „Edles Tun, Loge Nr. 732“ im unteren Bereich. Über der Helmdecke, dem Helm und der Helmkrone des Wappens erhebt sich ein Baum als Helmzier. Der Baumstamm teilt die Organisationsbezeichnung I.O.G.T. mittig. Die Abkürzung I.O.G.T. steht dabei für „International Organisation of Good Templars“. Die Guttempler-Loge war ein Wohlfahrtsverein, der inhaltlich mit den beiden in Pirna bereits bestehenden Logen in keinerlei Verbindung stand.

Die Guttempler existieren bis heute. Sie sind eine internationale Organisation, die sich für Enthaltsamkeit von Alkohol und bewusstseinsverändernden Drogen sowie für Brüderlichkeit und Frieden einsetzt und in der Entwicklungshilfe aktiv ist. Die Organisation kann als Teil der Abstinenzbewegung betrachtet werden. Die Guttempler sind in über 60 Ländern aktiv und politisch ungebunden. Es gibt weder religiöse noch weltanschauliche Schranken.

Der Guttempler-Orden wurde am 11. Juli 1851 in Utica, einer kleinen Stadt im Staat New York/USA, als „Order of Good Templars“ gegründet. In Anlehnung an die Tempelritter, die gleichzeitig kämpften und Verwundeten halfen und sie pflegten, wählte man die Bezeichnung „Orden der Guten Templer“. Mit der Ankunft des Ordens in Europa kam etwas völlig Neues nach Deutschland: Die Guttempler behandelten die Trunksucht als Krankheit, während die Allgemeinheit die „Trinker“ bzw. „Suffköppe“ damals als lasterhafte, verkommene Subjekte abschrieb.

Im Jahr 1900 wird der Deutsche Guttempler-Orden ein eingetragener Verein mit 9 273 Mitgliedern. Er entwickelte sich bis 1913 auf 1 440 Guttempler-Gemeinschaften mit insgesamt 77 301 Mitgliedern. In den Organisationsformen gab es Analogien mit der Freimaurerloge, in der ebenfalls Großlogen existierten.

Die Gründung und jahrzehntelange Führung der Pirnaer Guttempler ist eng mit dem Namen Bruno Paul Zschunke verbunden, der am 17. Juli 1855 in Pirna geboren wurde. Seine Initialen finden wir heute noch am Wohnhaus, Kohlbergstraße 13. Zwischen zwei speienden Löwenköpfen sind im Wappen seine Initialen P.Z. eingefügt. An den Häusern Kohlbergstraße Nr. 8, 12, 13 und 15 befinden sich weitere Ornamente. Auffallend ist eine Weltkugel mit einem stilisierten Strahlenkranz und der Inschrift I.O.G.T. Die Weltkugel wird von einem Schriftband mit einer weiteren Abkürzung umspannt: U.F.I.D.W. Dahinter verbirgt sich der damalige Leitspruch der Guttempler: „Unser Feld ist die Welt“.

Neben Blumenranken, Blüten und Bäumen ist der Bienenkorb mehrfach als Relief an den Hauswänden der Kohlbergstraße angebracht. Vermutlich hat Paul Zschunke den Bienenkorb als Symbol der amerikanischen Loge „Odd Fellows“ entliehen.

Die Ansammlung okkultischer Symbolik gerade an Häusern der Kohlbergstraße hat ihre Gründe. In dieser Straße wohnte Paul Zschunke, der Gründer der Guttempler-Loge. Als Geschäftsmann, Kaufmann, Baugeschäftsinhaber, Glasmachermeister, Grundstücks- und Hausbesitzer war er vielseitig aktiv. Ihm werden später Grundstücksspekulationen nachgesagt. Nach dem Anlegen der Straße im Jahr 1897 ließ der Grundstücksbesitzer Paul Zschunke neun Wohnhäuser bauen. Der Rat der Stadt entsprach seinem Wunsch, die Straße Schillerstraße zu nennen. Erst im Jahr 1924 wurde die Umbenennung in Kohlbergstraße vorgenommen.

In den Häusern wohnten überwiegend Glasmacher, die in der nahen Glasfabrik von Kirschbaum & Hirsch, der „Elisabeth-Hütte“, ihre Arbeit verrichteten. Die Pirnaer Bürger wählten Paul Zschunke in den Jahren zwischen 1906 und 1918 fünfmal als Stadtverordneten ins Stadtparlament. Als Gründer und jahrelanger Vorsitzender der Guttempler-Loge von 1904 bis nachweislich 1925 erwarb er sich große Verdienste.

Die Logenmitglieder trafen sich wöchentlich im Sitzungssaal des alten Realschulgebäudes, Schulgasse 3, dem heutigen Klosterhof. Ein Vereinszimmer in einer Schankwirtschaft, damals der übliche Veranstaltungsort für hiesige Vereine, kam für die Antialkoholiker nicht infrage. Eine aktive Jugendloge unterstützte in Pirna die Arbeit der Loge.

Als die Schulverwaltung 1913 den Versammlungsraum kündigte, suchte die Loge nach einem Ersatzraum für ihre nächtlichen Sitzungen. Dem Stadtrat schlugen sie als Ort die städtische Nähschule in der Schulgasse 2, den heutigen Eingang zum Stadtmuseum, vor. Hier wollten sie an einem Abend in der Woche ihre Sitzungen, auch die der Jugendloge, abhalten. Der Antrag wurde vom Pfarrer Anders, Vorsitzender des Jungfrauenvereins und Fräulein Handarbeitslehrerin Vorholz, Leiterin der Näherstube, unterstützt.

Nach Klärung der Vergütung für Reinigung, Heizung, Licht und Aufwartung des Hausmeisters stimmte auch der Rat am 24. April 1913 dem Umzug zu. Fräulein Vorholz stellte die Forderung, dass das Ende der Sitzungen nicht wesentlich später als 22.30 Uhr zu erfolgen hatte. Die Guttempler waren über die Lösung zufrieden, da sie gerade in der Lokalfrage nicht von Gastwirten und Alkoholinteressierten abhängig sein wollten. Hier in der städtischen Nähschule auf der Schulgasse 2 hielten die Guttempler bis 1925 ihre nächtlichen Versammlungen ab.

Am 9. November 1930 aktivierte sich die Guttempler-Loge wieder neu, nachdem sie vor 1926 ihre Tätigkeit einstellt hatte. Erst im Jahr 1932 gibt es über die Pirnaer Guttempler weitere Notizen. Die am 25. Mai 1904 gegründete Guttempler-Loge „Edles Tun“ mit der Logennummer 732 besaß mit Hochtempler Bruder Gustav Lantzsch aus Nikolsdorf bei Königstein einen neuen Vorsitzenden.

Der Königsteiner Gustav Lantzsch (1887-1971) absolvierte von 1901 bis 1905 eine Lehre als Drogist in der Königsteiner Drogerie Weyhmann. Am 30. April 1912 trat Lantzsch, ein strikter Antialkoholiker der Jugend an, der Guttempler-Loge „Rückenberg“ in Sorau/N.L., heute die westpolnische Stadt Zary, bei. In dieser Loge war auch Paula Schumann, seine spätere Frau, Mitglied.

Ihre wöchentlichen Versammlungen hielten die Guttempler jetzt sonnabends, 20 Uhr, im evangelischen Gemeindehaus, Schloßstraße 1, ab. Dieses Haus, in dem die innere Mission 1883 für wandernde Jünglinge die „Herberge zur Heimat“ einrichtete, war sehr passend. Für seine 25-jährige Mitgliedschaft erhielt Gustav Lantzsch vom Deutschen Guttemplerorden Berlin am 30. April 1937 eine Anerkennungsurkunde. Der Pirnaer Ofensetzer Oswald Krause, Schmiedestraße 27, war Logenbeauftragter.

Letzte Informationen zum Guttempler-Orden in Sachsen liegen aus dem Jahr 1938 vor. In der Umgebung von Pirna gab es in Freital eine weitere Guttempler-Loge. Sie wurde am 11. November 1906 als „Ernste Pflicht“, Nr. 957, gegründet. In der Mühlenstraße 4 hatte sie ihren Versammlungsort, in dem sie sich wöchentlich mittwochs, 20 Uhr, traf. Mit diesen Informationen enden die Aussagen über die Pirnaer Guttempler-Loge, aber über den Gründer und jahrelangen Vorsitzenden gibt es noch eine Besonderheit.

Paul Zschunke war als Unternehmer sehr vielseitig tätig. Da erscheinen seine Aktivitäten als Gastwirt auf den ersten Blick absurd. Näher betrachtet, erfahren wir, dass er mit einer besonderen Art der Gastronomie aufwartete.

Es entsprach Zschunkes Visionen und Idealen, dem Alkoholmissbrauch den Kampf anzusagen. Mit Beginn der Wohn- und Geschäftshausbebauung an der Kohlbergstraße stellte Paul Zschunke fest, dass auf dem Pirnaer Bausektor das Trinken von Alkohol zur Alltäglichkeit gehörte. Damit war er nicht einverstanden und ordnete auf seinen Baustellen ein striktes Alkoholverbot an. Er untersagte den Genuss von Alkohol in jeder Form, sowohl während der Arbeitszeit als auch in den Pausen.

Die Stadtbehörde unterstützte seine Absichten, und so erhielt er am 16. Mai 1903 die Zulassung für eine alkoholfreie Kantine. Zu diesem Zweck baute er ein ehemaliges Eckladengeschäft aus und um. Nach vier Monaten erweiterte er die Kantine zu einer alkoholfreien Gaststätte.

Hier durften nicht nur seine Bauleute, sondern auch andere Straßengäste kaufen und einkehren. Die behördliche Konzession erteilte ihm der Stadtrat am 24. September 1903. Auf seinem Grundstück erhielt er die Genehmigung zur Abgabe alkoholfreier Getränke wie Kaffee, Selterswasser, Milch, Limonade und die Verabreichung von Speisen. Der Ausschank und der Verkauf alkoholischer Getränke, insbesondere Bier und Branntwein, war nicht gestattet.

Da er mit dem Einbau von erforderlichen Toilettenanlagen in Verzug geriet, genehmigte ihm der Rat der Stadt erst zum 9. September 1904 den Betrieb der alkoholfreien Schankwirtschaft. Den Gaststättenbetrieb musste Paul Zschunke allerdings bereits nach kurzer Zeit aus vielerlei Gründen wieder einstellen. Diese Art von Gastronomie war dem hiesigen und einflussreichen Gastwirtsverein ein Dorn im Auge. Selten befürwortete er Konzessionen, die der traditionellen Gastronomie widersprachen.

Außerdem war Paul Zschunke, der als Guttempler den Genuss von Alkohol ablehnte, mit seiner Schankwirtschaft ein Außenseiter. Sein Geschäft war (noch) nicht zeitgemäß. Als Weltverbesserer scheiterte er an alltäglichen eingebürgerten Trinkgewohnheiten, die oft ihren Ursprung in verzweifelten Lebenssituationen des Arbeitermilieus hatten. Enge, dunkle, laute und feuchte Arbeits- und Wohnverhältnisse trieben viele Tagelöhner in die Schenke.