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Das Ende eines Wirtshauses

Fast 200 Jahre kehrten Dresdner im Gasthaus „Goldener Stiefel“ ein. Zuletzt fehlten die Gäste – und nun auch noch der Stiefel.

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© Christian Juppe

Von Nora Domschke

Bereits seit Mitte Januar fehlt nun schon das goldene Zunftzeichen der Schuhmacher, das dem „Goldenen Stiefel“ in Torna seinen Namen gab. Vielleicht ein Zeichen – denn Gastronom Jörg Mauckisch hatte die Traditionsgaststätte im Sommer vergangenen Jahres schweren Herzens geschlossen. Schuld sei die große Konkurrenz an Restaurants in der Dresdner Innenstadt. Ihm fehlte in Torna am südlichen Stadtrand indes die Laufkundschaft. „Es war abzusehen, dass sich die Kostensituation mit der Einführung des Mindestlohns weiter verschlechtert.“ 30 000 bis 40 000 Euro Umsatz wären pro Monat mindestens nötig gewesen, um alle Kosten zu decken, erklärt Jörg Mauckisch.

© Repro: Archiv

Geld, das er mit Gaststätte und Hotelzimmern nicht erwirtschaften konnte. Dabei hatte der Dresdner erst 2009 – damals war er Pächter – ordentlich in den Um- und Ausbau von Gasträumen und Küche investiert. „Wir haben die kompletten Möbel und die Technik erneuert, die Mauern mussten trockengelegt werden.“ Nach dem Umbau bot das Restaurant Platz für 150, der Sandsteinkeller für zusätzliche 70 Gäste. In der oberen Etage hatte Familie Mauckisch Zimmer für Übernachtungen eingerichtet. Wie viel Geld die Sanierung gekostet hat, will er allerdings nicht verraten. An den Wochenenden sei das Geschäft dann auch gut gelaufen – gleich mehrfach an einem Tag hätte er Restaurant oder Kellergewölbe für Familienfeiern vermieten können. An den Wochentagen reichten die Stammgäste aus dem umliegenden Wohngebiet und aus der Gartensparte indes nicht aus.

So fällte Mauckisch im vergangenen Jahr die Entscheidung, den „Goldenen Stiefel“ zu schließen. 2012 hatte er die Traditionsgaststätte von deren Vorbesitzer abgekauft. Nun soll sie zu einem Wohnhaus werden. Über Gerüchte, dass er das Haus der Stadt als Asylbewerberheim angeboten habe, schüttelt er nur mit dem Kopf. „Das war nie mein Plan.“ Stattdessen will er jetzt Zwei- bis Fünfraumwohnungen vermieten, je nach Bedarf. Derzeit bereitet Mauckisch den Umbau dafür vor, lässt unter anderem die Bäder in den Hotelzimmern herausreißen. Auch der ehemalige Gastraum ist schon leer geräumt, die Möbel sind eingelagert. Ein neues Restaurant will der Gastronom, der schon zu DDR-Zeiten eine Gaststätte am Barockgarten Großsedlitz bewirtschaftete und später in Leipzig arbeitete, allerdings nicht wieder betreiben.

Mit der Schließung des „Stiefels“ und dem Umbau zum Wohnhaus geht in Torna eine fast 200-jährige Wirtshausgeschichte zu Ende. Schon 1815 gab es im Gehöft Alttorna 5 eine Gaststätte. Zehn Jahre später übernahm der Schuhmacher Johann Andreas Kotte die Wirtschaft, die ihren Namen einer Anekdote aus dieser Zeit verdankt. So sollen Gäste dem Wirt zum Geburtstag einen goldbemalten Stiefel geschenkt haben – und ein Schild mit dem neuen Gasthausnamen.

In den 1860er-Jahren ging die Schankwirtschaft an Kottes Schwiegersohn über, der 1877 ein neues Gebäude oberhalb des Pfaffenbergs bauen ließ, das bis heute dort steht. Damals war der „Goldene Stiefel“ vor allem für seine herrliche Aussicht ins Elbtal und in die Sächsische Schweiz bekannt. Eine Lithografie aus dem Jahr 1893 zeigt das Wirtshaus nebst Skizze der Gipfel, die die Gäste von dessen Terrasse aus sehen konnten. Nicht zuletzt wegen der guten Sicht waren um 1900 die Mitglieder des Gebirgsvereins Sächsische Schweiz Stammgäste in der Tornaer Kneipe. Auf einer Postkarte von 1904 ist deutlich zu erkennen, wie frei die Sicht vom Pfaffenberg einst gewesen ist. Später, in den 1920er-Jahren, entstanden in der dörflichen Idylle immer mehr Wohnhäuser, die den Blick ins Gebirge zunehmend versperrten. Dennoch blieb das Lokal über viele Jahrzehnte hinweg ein beliebtes Ausflugsziel für Dresdner und Touristen.

Auch, als es zu DDR-Zeiten in den 1970er-Jahren von der Handelsorganisation betrieben wurde. Besonders begehrt waren im Sommer die Plätze im Biergarten, in der kalten Jahreszeit wurden die Gasträume für Tanzveranstaltungen genutzt. Seit 1988 ist der „Stiefel“ wieder in Privatbesitz. Trotz der Schließung will Jörg Mauckisch jetzt zumindest das Gebäude für den Stadtteil erhalten – mit Erinnerungen an dessen Geschichte. „Der Schriftzug bleibt dran.“ Vielleicht hängt ja auch irgendwann wieder ein goldener Stiefel an der Terrasse.