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Das Ende der Dorfkneipen?

Mit dem Finanzamt verbundene Kassen sollen in Tschechien Steuerbetrug stoppen. Das könnte Nebenwirkungen haben.

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© Steffen Neumann

Von Steffen Neumann

Tschechien. Ein einfacher Kassenbeleg ist in Tschechien derzeit der Aufreger. Jeder, der auch nur ein Bier getrunken hat, bekommt ihn. Das ist nicht nur eine Rechnung, er ist auch eine Bestätigung, dass der Betreiber der Gaststätte für dieses Bier ordnungsgemäß Umsatzsteuer entrichtet.

Für jede Bestellung, und sei es auch nur ein Pilsner, bekommt der Gast einen Beleg ausgedruckt.
Für jede Bestellung, und sei es auch nur ein Pilsner, bekommt der Gast einen Beleg ausgedruckt. © Petr Špánek

Vorbei sind die Zeiten, da Kellner mit dem Kugelschreiber fix Speisen und Getränke auf dem Bestellzettel addierten. Auch die kleinste Dorfkneipe muss seit dem 1. Dezember mit einem elektronischen Kassensystem arbeiten. Das ist überdies ständig online, um die Umsatzdaten in Echtzeit ins tschechische Finanzministerium zu übermitteln. „EET“ heißt die elektronische Umsatzerfassung abgekürzt auf Tschechisch. Damit möchte die Regierung schwarzen Schafen, die ihre Umsätze bisher nicht oder nur zum Teil versteuerten, das Handwerk legen. Inspirieren ließ sie sich von Kroatien, wo ein ähnliches System vor drei Jahren eingeführt wurde. Für Finanzminister Andrej Babis ist es das Prestigeprojekt, mit dem er seine politische Zukunft verbindet. Er verspricht im ersten Jahr 150 Millionen Euro Steuermehreinnahmen und Lotteriegewinne für alle, die ihre Belege an ihn senden. Seine Kritiker sehen dagegen das Ende der tschechischen Instanz Dorfkneipe gekommen.

„Für das alles habe ich 15 000 Kronen, also umgerechnet 560 Euro, ausgegeben. Das war noch die billigste Variante“, zeigt Jan Zelenka, Besitzer der Pension „Mikulas“ in Mikulov (Niklasberg) im Osterzgebirge, hinterm Tresen auf einen schwarzen Kasten mit WLAN-Antenne und zusätzlicher Tastatur. Im Regal darüber hat er einen kleinen Drucker deponiert. Direkt in den Bildschirm gibt er die bestellten Essen mit Beilagen und Getränke ein. Bei Fischgerichten, die nach Gewicht abgerechnet werden, kann er die Grammzahl über einen extra Button regulieren. „Die Bedienung ist relativ einfach. Hoffentlich funktioniert das dann auch zuverlässig“, bleibt Zelenka vorsichtig. Es ist ihm anzusehen, dass er mit der Neuerung fremdelt. „Wir sind eine reine Pension. Küche und Getränke haben wir nur für unsere Übernachtungsgäste. 95 Prozent unserer Einnahmen gingen also schon bisher über die Bank. Das System der elektronischen Umsatzerfassung bringt mir nichts außer Kosten und Ärger“, schimpft Zelenka. Denn zum Anschaffungspreis kommen pro Monat 300 Kronen (12 Euro) Wartungskosten hinzu.

Dass Zelenka nun seine Pension aufgibt, droht allerdings nicht. „Unsere Pension läuft gut. Das kriegen wir schon hin. Aber wir betreiben in Teplice (Teplitz) noch eine Mittagsküche mit Kantine. Ob ich die Kantine fortführe, da bin ich mir nicht sicher“, überlegt Zelenka, der verstehen kann, wenn kleine Dorfkneipen aufgeben.

„Mich ärgert, dass den Unternehmern immer mehr aufgebürdet wird. Zwar zahlen wir seit Dezember nur noch 15 Prozent Umsatzsteuer, statt 21. Trotzdem trifft EET die Falschen. Wer bisher betrogen hat, findet auch in Zukunft Wege“, klagt er. So würden erste Kneipen nun als Klub firmieren, weiß er. „Da zahlen Sie Klubbeitrag und haben das Bier frei.“ Zelenka will wegen EET auch nicht die Preise erhöhen. Andere dagegen nutzten die Gelegenheit. „Na klar, das war günstig. Alle konnten es auf den Finanzminister schieben“, sagt er.

Gaststätten-Besuch ist Tradition

Für Gäste ist das keine gute Nachricht. Die Preise steigen und die Zahl der Gaststätten sinkt. Dabei ist es das, was gerade auch deutsche Urlauber schätzen: Die Tradition, in die Gaststätte zu gehen, statt das Bier zu Hause zu trinken. Möglich ist das, weil die Preise auch im tschechischen Maßstab immer noch moderat sind.

Rund 40 000 Gaststätten gibt es laut Hotel- und Gaststättenverband derzeit in Tschechien. 20 Prozent davon könnten infolge von EET schließen, schätzt der Verband. Seit EET gilt, ist die Schließung von Betrieben im nordböhmischen Grenzgebiet Recherchen der SZ zufolge zwar noch die Ausnahme. Im Vorfeld hatte Marktführer Pilsner Urquell berichtet, dass mehr als 1 000 Gaststätten Bier abbestellt hätten. Allerdings ist die Gaststättendichte in Nordböhmen weitaus niedriger als zum Beispiel im traditioneller geprägten Mähren.

Einer, der sein Wirtshaus aufgibt, ist Daniel Pitek. Dabei hatte er die Baude auf dem Berg Milesovka (Milleschauer) im Böhmischen Mittelgebirge erst im Frühjahr übernommen. Pitek ärgert die ständige Online-Verbindung mit dem Finanzministerium. „Das ist ein unrechtmäßiger Eingriff in die Privatsphäre“, schimpft er. Andere Bauden bleiben aber offen. Und auch für den Milesovka wird es weitergehen. In der Saison gibt es noch einen Imbiss. Und für die Baude hat die Gemeinde Velemin (Welemin) bereits einen Nachmieter gefunden.

Einige Restaurants bitten inzwischen, am Tresen zu zahlen. Doch in den meisten Gaststätten ist die einzige Veränderung eben jener Beleg. Mancherorts gibt es sogar noch die gewohnten Zettel auf den Tisch. Der Gaststättenverband erwartet dagegen ein schleichendes Kneipensterben. „Die Umsatzerfassung ist eher der berühmte letzte Tropfen. Die Regulierung nimmt allgemein zu, wie das kürzliche Verbot von Spielautomaten in Gaststätten“, sagt ein Verbandssprecher. Jan Zelenka fühlt sich durch diese Worte bestätigt. „Das Schlimmste kommt ja noch“, sagt er: „Das Rauchverbot ab Ende Mai.“

Die Folgen von EET für die Wirtschaft sind noch nicht abzusehen. Ab März gilt die Neuerung auch für den Groß- und Einzelhandel. Ein Jahr später starten damit Marktstände, Kioske sowie Anwälte, Ärzte und Steuerberater. Ab Juni 2018 kommt die letzte große Gruppe dazu: Kleingewerbetreibende wie Friseure, ausgewählte Handwerksberufe, Reparaturdienste für Haushaltsgeräte oder Astrologen.