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Das Dämmstoff-Dilemma

Styropor gilt seit Kurzem als Sondermüll. Das verursacht bergeweise Chaos. Doch der Landkreis Bautzen hat jetzt eine Lösung.

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© André Braun

Von Jana Ulbrich

Das Drama stapelt sich gerade meterhoch auf Baustellen, bei Entsor-gungsunternehmen und auf dem Gelände von Baufirmen: Dämmstoffplatten aus Styropor. „Wir kriegen das Zeug einfach nicht mehr entsorgt“, schimpft nicht nur Dachdeckermeister Eckhard Gessel aus Oberkaina. In seiner Branche soll es sogar schon Baustopps und Kurzarbeit geben. Aber was ist da plötzlich los auf dem Bau?

Es hat mal wieder eine neue Verordnung im Abfallrecht gegeben – an sich nichts Ungewöhnliches. Diesmal aber lässt sich die Verordnung beim besten Willen nicht umsetzen, sagt der Chef des Bautzener Kreisumweltamts, Georg Richter.

Das Problem ist die Entsorgung

Die Styropor-Dämmstoffe enthalten das Brandschutzmittel HBCD, einen Flammenhemmer, der im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Deswegen hat die EU ihn auf die Liste der gesundheitsschädlichen Stoffe gesetzt. Seit dem 1. Oktober gelten Dämmstoffe mit HBCD deshalb als Sondermüll und müssen auch dementsprechend entsorgt werden. Doch an dieser Stelle beginnt das Dilemma: Bisher landeten die Dämmplatten ganz normal im Baumischabfall. Seit dem 1. Oktober ist das nun verboten. Die Baufirmen müssen das Styropor getrennt entsorgen und dabei die Menge auch noch akribisch erfassen.

Das allein ist ja für Firmen und Bauherren schon eine große Belastung, erklärt Georg Richter. Die viel größere aber ist: Es gibt in Deutschland kaum eine Müllverbrennungsanlage, die technisch in der Lage und auch dafür zugelassen ist, reines Styropor zu behandeln. Auch die Müllverbrennungsanlage in Lauta kann das nicht.

Telefone klingeln heiß

„Wir haben sofort gesehen, das wir hier alle miteinander ein großes Problem haben“, sagt Georg Richter. Beim Chef des Umweltamtes klingeln sich deswegen seit Tagen und Wochen die Telefone heiß. Genauso beim Chef des Regionalen Abfallverbandes Ravon, Roman Toedter, der den Anrufern aber auch keine Lösung bieten kann. Oder besser gesagt: konnte.

Denn inzwischen hat sich hinter den Kulissen wirklich Außergewöhnliches getan. Die Landratsämter Bautzen und Görlitz und der Ravon haben daran einen großen Anteil. „Eigentlich müssen wir als Behörde den Ravon kontrollieren“, schmunzelt Richter. In diesem Fall aber haben sie sich zu Verbündeten gemacht. Und sie haben gemeinsam ein Tabu gebrochen: Normalerweise dürfen Sonderabfälle nicht mit anderem Müll vermischt werden. „Aber wenn, wie im Fall der Dämmstoffe, eine gesonderte Verbrennung nirgends möglich ist, dann geht es doch gar nicht anders“, sagt Roman Toedter. Gemeinsam mit den Umweltamtsleitern hat er die Lösung ausgetüftelt und sie mit dem Sächsischen Umweltministerium „rund“ gemacht.

Der Ravon hat jetzt eine Lösung

Am Montag ging im Bautzener Landratsamt die Antwort aus Dresden ein. Es kann genauso verfahren werden, wie es die beiden Abfall-Experten vorgeschlagen haben: Der Sondermüll mit HBCD darf ab sofort „verdünnt“ und so auch wieder in Lauta verbrannt werden. Georg Richter und Roman Toedter steht die Freude im Gesicht geschrieben: „Wir gehen davon aus, dass wir das Problem im Ravon-Verbandsgebiet jetzt gelöst kriegen“, sagen sie. Zwar müssen Bauherren und Baufirmen die Dämmstoffe weiterhin akribisch trennen, können sie aber wieder auf den Weg in die Umladestationen des Ravon schicken. Dort dürfen die Dämmstoffe mit anderen Abfällen vermischt und in der Anlage in Lauta verbrannt werden. Die Bedingung ist, dass sie in einem Gewichtsverhältnis von 1:100 oder in einem Volumenverhältnis von 1:10 „verdünnt“ werden. Das heißt: In einen 25-Tonnen-Abfalltransporter dürfen 250 Kilogramm Styropor untergemischt werden.

„Das Vermischen von Abfall, um Schadstoffgehalte zu reduzieren, galt bisher in der Abfallwirtschaft als absolutes Tabu“, sagt Georg Richter. Umso mehr freut es ihn, dass das Ministerium dem Vorschlag aus der Lausitz gefolgt ist. Um ganz sicher zu gehen, dass das Mengenverhältnis eingehalten wird, wird der Ravon das Mischen auf seinen Umladestationen selbst übernehmen. Nach letzten Abstimmungen mit Anlagenbetreibern, Landratsämtern und Landesdirektion soll es noch vor Weihnachten losgehen, verspricht Roman Toedter. In diesem Moment klingelt sein Telefon. Der Chef einer Baufirma aus Krefeld ruft an. Er habe gehört, dass es da in der Lausitz eine Lösung gibt . . ..