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Das Brot der Armen

In den Balkanstaaten essen die Menschen weniger Fleisch. Dabei gehört es als fester Bestandteil zur regionalen Küche. Dagegen werden extrem viele Backwaren gekauft, wenn auch nicht ganz freiwillig.

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© Reuters

Von Thomas Roser

Ausgerechnet in den für ihre fleischreiche Küche bekannten Balkanstaaten geht der Fleischverkauf zurück – und es brummt der Absatz von Backwaren. Es sind die leeren Haushaltskassen, die immer mehr Familien sich zunehmend fleischlos ernähren lassen.

Ob nahrhafte Grill-Spezialitäten aus Bosnien oder überbackene Ofengerichte aus Bulgarien: Kaum zu bewältigende Berge schmackhafter Fleischspezialitäten scheinen von Albanien bis nach Serbien der feste Bestandteil der herzhaften Küche Südosteuropas zu sein. Doch ausgerechnet in den für ihre fleischreichen Kochkünste bekannten Balkanstaaten geht der Fleischverkauf seit Jahren zurück: Es ist die Armut, die viele Familien zu unfreiwilligen Vegetariern werden lässt.

Auf der von Moldawien und Ukraine angeführten Rangliste der zehn ärmsten Länder des Kontinents finden sich nicht weniger als acht Balkanstaaten – darunter mit Bulgarien und Rumänien auch zwei EU-Mitglieder. Etwas niedrigere Kosten für Grundnahrungsmittel als in Westeuropa können die wesentlich geringeren Einkünfte der Familien kaum kompensieren. Während beispielsweise die Deutschen rund 15 Prozent der Haushaltskasse für Nahrungsmittel aufwenden, sind es in Bulgarien 35 und in Rumänien gar 50 Prozent.

Die beschränkten Mittel wirken sich auf den Speiseplan aus: Bulgaren und Rumänen sind in der EU die Nationen mit dem höchsten Brotverbrauch. Bei den Nachbarn im gebeutelten EU-Wartesaal sehen die notgedrungenen Essgewohnheiten nicht anders aus.

Einen wieder steigenden Absatz von Backwaren vermeldeten kürzlich die Statistiker in Serbien. „Das Fleisch flüchtet vom Teller – und wird getauscht für Brot“, titelt die Zeitung Dnevnik in Novi Sad. Bei hochwertigeren Lebensmitteln wie Rind- und Schweinefleisch, Milch, Obst, aber selbst auch Kartoffeln liege der serbische Pro-Kopf-Konsum um mehr als die Hälfte unter dem der Europäischen Union, berichtet die Belgrader Politika ihren Lesern: Im Durchschnitt stünden jedem Serben täglich nur zwei Euro für drei Mahlzeiten zur Verfügung.

Seit dem Jahr 2008 dümpelt die Region in der Dauerkrise. Zwar verbuchen alle Staaten auf der Balkanhalbinsel seit vergangenem Jahr wieder bescheidene Wachstumsraten, doch können diese die enormen Einkommensverluste der letzten Jahre für viele Familien kaum kompensieren. Die Durchschnittslöhne in Bosnien seien nicht einmal halb so hoch wie der Wert des statistischen Warenkorbs, berichtet die Zeitung Euro Blic in Banja Luka: Der hohe Brotverbrauch von 110 Kilogramm pro Jahr und Kopf sei auch ein „Ausdruck der Armut“.

Die Folgen der Ebbe im Haushaltssäckel bekommen vor allem die Fleischer zu spüren: Statt Rind- oder Schweinefleisch geht immer mehr Billiggeflügel über die Ladentheke. Je mehr sich die Krise verschärfe, desto ungesunder und minderwertiger würden sich ihre Landsleute ernähren, so Gordana Bulic vom Verband der bosnischen Verbraucherschutzorganisationen: „Der Fleischkonsum zeigt, dass die Taschen der Bürger zunehmend leer sind – und sie immer mehr am Essen sparen.“