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Das bizarre Recht auf Prügeln

Eine Amtsrichterin rechtfertigt mit dem Koran die Züchtigung einer Ehefrau durch ihren Mann – und erzürnt damit nicht nur Feministinnen.

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Von Thomas Schade

Die Reaktionen können heftiger kaum ausfallen. Von einem „Signal für falsche Toleranz“ ist die Rede, von „schlichtem Irrsinn“ und „richterlicher Narrenfreiheit“. Wenn der Koran über das Grundgesetz gestellt werde, dann sei es nur noch eine Frage der Zeit bis zur „Einführung der Scharia“, des islamischen Rechts, heißt es. Das Ganze sei eine „verheerende Botschaft an muslimische Parallelgesellschaften“.

Die drastischen Kommentare gelten einem Beschluss der Frankfurter Amtsrichterin Christa Datz-Winter. Sie hatte den Antrag einer Deutsch-Marokkanerin auf vorzeitige Scheidung abgelehnt und mit dem folgenschweren Satz begründet: „Die Ausübung des Züchtigungsrechts begründet keine unzumutbare Härte gemäß Paragraf 1565 BGB.“ Was war passiert?

Liebe, die enttäuscht wurde

Eine 26-jährige Deutsche, deren Name ungenannt bleibt, hatte bereits mit 14 Jahren, angeblich während eines Urlaubs in Marokko, ihren späteren Ehemann kennengelernt. Beide blieben zusammen und heirateten im Jahre 2001. Es sei eine Liebe gewesen, die bitter enttäuscht werden sollte, sagte die junge Frau gegenüber „Spiegel Online“. Nach einem Jahr, während der ersten Schwangerschaft, sollen die Streitigkeiten begonnen haben. Die Frau fügte sich offenbar nicht in die Rolle, die ihr Mann ihr zugedacht hatte. Bald sei sie von ihrem Mann geschlagen worden, der nach der Heirat eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik bekam. Etwa vier Jahre lebte das Paar so, bis sich die Situation im vergangenen Jahre zuspitzte.

Es kam zur Trennung, die Behörden sprachen ihr und den Kindern die Wohnung zu. Dennoch sei sie von ihrem Mann weiterhin belästigt und bedroht worden, so die junge Frau. Im Oktober 2006 beantragte ihre Anwältin Barbara Becker-Rojczik eine sogenannte Härtefall-Scheidung.

Am 12. Januar 2007 erhielt die junge Frau die Ablehnung des Frankfurter Amtsgerichts. Familienrichterin Christa Datz-Winter berief sich in ihrer Begründung auf den Koran. In Sure 4, Vers 34 heißt es da unter anderem sinngemäß: „...Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!“

Die Richterin argumentierte, dass die Ehepartner aus dem marokkanischen Kulturkreis seien. „Für diesen Kulturkreis ist es nicht unüblich, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübt. Hiermit musste die in Deutschland geborene Antragstellerin rechnen, als sie den in Marokko aufgewachsenen Antragsgegner geheiratet hat.“ Die Richterin verbot dem Noch-Ehemann, sich seiner Frau zu nähern, und sah dann keine Gründe für eine sofortige Scheidung ohne Trennungsjahr.

Der Verweis auf das Züchtigungsrecht ihres Ehemannes sei ein Schock gewesen, sagte die 26-jährige Frau gegenüber „Spiegel Online“. Sie ist selbst gläubige Muslima. „Es ist eine Frechheit, dass man sich in Deutschland so was rausnehmen kann. Das Allerschlimmste ist, dass die Richterin den Islam falsch interpretiert hat. Unser Prophet hat Frauen bestimmt nicht geschlagen. Der Prophet hat Frauen Rechte gegeben und sie als etwas Besonderes behandelt, nicht wie ein Stück Dreck. Aber die Richterin sieht das offenbar anders“, zitiert das OnlineMagazin die junge Frau.

Antrag auf Befangenheit

Ihre Anwältin Barbara Becker-Rojczyk stellte daraufhin einen Antrag auf Befangenheit gegen die Familienrichterin. Sie könne aufgrund ihrer Erklärung nicht zu einem objektiven Urteil kommen, hieß es darin unter anderem.

Die Familienrichterin sah das anders. In einer dienstlichen Erklärung entgegnete sie im Februar auf den Befangenheitsantrag: Der Vorwurf, sie missachte die Menschenrechte der Antragstellerin, sei für sie nicht nachvollziehbar. Schließlich habe sie der Antragsstellerin die gemeinsame Ehewohnung zugewiesen und dem gewalttätigen Noch-Ehemann untersagt, sich der jungen Frau zu nähern. Falls die 26-Jährige weiter meine, sie habe Drohungen und Belästigungen ihres Ehemannes nicht ausreichend beachtet, so müsse auch hier weiter auf den Koran verwiesen werden, „wonach die Ehre des Mannes, einfach ausgedrückt an die Keuschheit der Frau gebunden ist, d.h. im Grunde genommen für einen islamisch erzogenen Mann, das Leben einer Frau nach westlichen Kulturregeln bereits einen Tatbestand der Ehrverletzung erfüllt.“ Diese Umstände würden einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz begründen, so die Richterin, nicht aber die unzumutbare Härte.

„Gute Nacht, Deutschland“

Am Mittwoch ging bei Rechtsanwältin Becker-Rojczyk die Entscheidung des Frankfurter Amtsgerichts ein. Sie besteht nur aus einem Satz: Der Befangenheitsantrag sei begründet, so der aufsichtsführende Richter. Familienrichterin Datz-Winter wurde aus dem Grund inzwischen von dem Fall abgezogen. Ihr Koran-Beschluss wurde noch am selben Tag bekannt und bewegt seither die Gemüter.

So reicht es dem SPD-Rechtsexperten Dieter Wiefelspütz nicht, die Richterin nur von dem Fall abzuziehen. Es handle sich aus seiner Sicht um eine massive Rechtsstaatswidrigkeit, die nicht einfach durch Befangenheit aus der Welt zu schaffen sei. „Das ist ein Fall für die Rechtsaufsicht“, erklärte Wiefelspütz gestern. Auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla zeigte sich empört: „Wenn der Koran über das deutsche Grundgesetz gestellt wird, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland!“

Tragweite nicht erkannt

Auch außerhalb der Politik sorgt der Fall nun für Empörung. Nurhan Soykan vom Zentralrat der Muslime erklärte: „Die Richterin hätte nach der deutschen Verfassung urteilen müssen, statt den Koran auszulegen.“ Gewalt und Misshandlung von Menschen, egal welchen Geschlechts, seien auch im Islam Gründe, die eine Scheidung rechtfertigen. Von einem „entsetzlichen Vorfall“ sprach die Präsidentin des Juristinnenbundes, Jutta Wagner. Frauenrechtlerin Alice Schwarzer erklärte, sie sehe eine Aufweichung des deutschen Rechtssystems zu Gunsten religiöser Vorstellungen. Seit langem werde es systematisch von islamischen Kräften unterwandert. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) spricht von einem Einzelfall. „Es gibt immer mal wieder einzelne Urteile, die einem völlig unverständlich erscheinen.“

Richterin Datz-Winter bedauert ihre Entscheidung inzwischen. Ihr sei die politische Tragweite und Sprengkraft nicht bewusst gewesen, sagte der Sprecher des Frankfurter Amtsgerichts, Bernhard Olp. Keinesfalls habe sie mit dem Verweis auf religiöse Regeln diese billigen wollen. Das sei nie ihre Absicht gewesen. „Im Rückblick versteht sie es selber nicht“, sagte Olp. Nach seinen Angaben entkam die Richterin vor zehn Jahren nur knapp dem Tod: Während eines laufenden Unterhaltsprozesses hatte am 14.März 1997 ein Ex-Polizist seine 33-jährige Lebensgefährtin im Büro der Richterin erschossen, eine Anwältin schwer verletzt. Die Richterin konnte damals mit einer Kollegin flüchten. (mit dpa,ddp)