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Das Ausbluten in Zittau ist vorbei

2014 sind erstmals seit der Wende mehr Menschen nach Zittau gezogen als fortgingen. Ein anderes Problem aber bleibt.

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© szo

Von Thomas Mielke

Sven Rössel, Jens Jankowski und Juliane Fleischmann sind nur drei von über 4 400 Menschen, die in den letzten drei Jahren nach Zittau gezogen oder zurückgekehrt sind. Sie stehen damit stellvertretend für einen Trend, der aus den kürzlich vom Statistischen Landesamt vorgelegten Bevölkerungszahlen für 2014 hervorgeht: Im vergangenen Jahr sind mehr Menschen zu- als weggezogen.

Zwar sind es nur reichlich 20, aber das Verhältnis von Zu- und Abwanderern hat sich erstmals seit der Wende in Zittau gedreht. Die andere Seite der Medaille ist die zurückgehende Zahl der Abwanderer. Waren es in den ersten drei Jahren nach der Wende noch über 7 600, die ihre Heimatstadt vor allem wegen der fehlenden Arbeit verließen, sind es zwischen 2012 und 2014 nur noch 4 500 gewesen.

148 neue Zittauer

Auch wenn diese Entwicklung laut Rathaussprecher Kai Grebasch noch keine langfristige Trendwende bedeuten muss: Vorerst geht es so weiter. Seinen Angaben zufolge, die auf der Statistik des Einwohnermeldeamtes der Stadt basieren, sind zwischen Anfang Januar und Anfang Oktober dieses Jahres fast 148 Menschen mehr nach Zittau gezogen als fortgegangen.

Drei Beispiele für Zittaus Zuzug

Neuer Job in Zittau

Sven Rössel kam im Sommer 2013 nach Zittau. Damals wurde ein neuer Leiter für die hiesige Kreismusikschule gesucht. Rössel war zuvor Orchestermusiker bei der Anhaltinischen Philharmonie in Dessau. Dass es ihn in die Oberlausitz zog, ist auch der Tatsache geschuldet, dass er von hier stammt. „Meine ersten Kontrabass-Stunden bekam ich an der Musikschule in Zittau“, erzählt er. 1998 verließ er Zittau, blieb aber durch seine Eltern eng mit der Region verbunden. Heute schätzt er vor allem das vielfältige Freizeitangebot – für Groß und Klein.

Zurück in die Heimat

Jens Jankowski hat mehrere Gründe gehabt, nach Jahren in Dresden in seine Heimatstadt zurückzukehren. Vor allem sind ihm als Vater das soziale Umfeld mit Oma und Opa und die ländliche Region für den Nachwuchs wichtig. Als er 2012 in die Selbstständigkeit ging, stand zudem die Frage, wo er seine Existenz aufbaut. Seit 2013 lebt er mit seiner Familie wieder in Zittau und baut in Mittelherwigsdorf mit Gleichgesinnten Edelfahrräder. „Die nächsten zwei, drei Leute, die ich einstelle, sind auch Zittauer, die ich zurückhole“, sagt er.

Wegen Stadt und Liebe

Juliane Fleischmann ist bereits das zweite Mal hergezogen. Ursprünglich hat sich die Cottbuserin in Zittau zur Ergotherapeutin ausbilden lassen, weil es in Sachsen die besten Ergotherapieschulen Deutschlands gibt, wie sie sagt. Und hier ihren Mann kennengelernt – einen Zittauer. Dann sattelte sie beruflich um: Sie holte das Abitur nach und studierte in Dresden. Da ihr kleine Städte und vor allem Zittau gefallen und ihr Mann hier leben wollte, ist sie aus der Großstadt zurückgekommen. Frau Fleischmann betreibt den Laden „Kumm oack rei“.

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Grebasch vermutet vor allem zwei Gründe, warum die Zuwanderung nach Zittau seit 2012 wieder steigt: Zum einen nimmt die Zahl der Ausländer, die sich in der Stadt niederlassen, zu. In diesem Jahr sind bereits 180 registriert worden. Dazu gehören vor allem Polen, Tschechen, ausländische Studenten und Asylbewerber. Die ersten Asylbewerber seit vielen Jahren kamen Ende 2011 nach Zittau.

Inzwischen leben rund 290 von ihnen im Heim an der Sachsenstraße und dezentral in Wohnungen überall in der Stadt. Zum anderen profitiert Zittau von einem Trend, den Grebasch in einschlägigen Studien entdeckt hat: Nicht nur die Großstädte profitieren von der Landflucht. Auch kleinere wie Zittau ziehen Menschen an – aus den umliegenden Dörfern und Gemeinden. Wegen der infrastrukturellen Vorteile, sagte Grebasch der SZ. Nicht alle Gemeinden haben noch Apotheken, Kitas, Schulen und Lebensmittelläden. Zittau dagegen schon.

Olbersdorf an erster Stelle

Zahlen des Statistischen Landesamtes bestätigen seine Sicht. Demnach sind in den letzten drei Jahren jeweils über die Hälfte aller Zuwanderer aus anderen sächsischen Städten und Gemeinden gekommen, davon wiederum zwei Drittel aus dem Landkreis Görlitz. Tatsächlich hat Zittau 2014 am stärksten von Olbersdorf profitiert: 147 Menschen zogen aus der Nachbargemeinde in die Neißestadt. Auf den Plätzen folgen Dresden, Chemnitz, Mittelherwigsdorf, Schneeberg, Görlitz, Löbau, Herrnhut, Großschönau, Oderwitz, Ebersbach-Neugersdorf, Seifhennersdorf, Bertsdorf-Hörnitz und Oybin.

Grebasch warnt in diesem Zusammenhang vor einem in den Studien beschriebenen Nachfolgeeffekt: Wenn die Städte bis zum Abreißen des Zustroms aus dem Umland nicht für eine eigene stabile Entwicklung sorgen, kippt das Verhältnis von Zu- und Abwanderern eines Tages wieder – dann aber zugunsten der ganz großen Städte.

Dass die Zittauer trotz der Zuwanderungsquote auch 25 Jahre nach der Wende weniger werden, liegt nun nicht mehr an der Abwanderung, sondern an einem anderen Problem: Wegen weggezogener junger Leute sank die Geburtenrate. So sterben mehr Zittauer, als neue geboren werden. Für das Jahr 2014 zählten die Landesstatistiker für Zittau 435 Todesfälle und 244 Geburten.