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Das abenteuerliche Ende einer Flucht

Das Kriegsschiff „Dresden“ wurde monatelang von Briten verfolgt. Seit 100 Jahren liegt das Wrack auf dem Meeresboden.

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© Postkarte: Sammlung Holger Naumann

Von Lars Kühl

Um den halben Erdball flog ein chilenisches Fernseh-Team zu Dreharbeiten extra nach Dresden. Wegen einer Schiffsglocke. Die ist seit 2007 als Dauerleihgabe im Militärhistorischen Museum zu sehen, obwohl sie hierzulande nur echten Historikern bekannt ist. In dem südamerikanischen Land hingegen zählt die Glocke zum Nationalgut. Von den exotischen Gästen erzählt Martin Nagel, Sprecher des Museums. Zu den bedeutendsten Exponaten über den Ersten Weltkrieg gehöre das Geläut zwar nicht, sagt der Hauptmann. Dafür ist seine Geschichte umso außergewöhnlicher.

Die Schiffsglocke wurde 2006 aus dem Meer geborgen und ist heute im Militärhistorischen Museum zu sehen.
Die Schiffsglocke wurde 2006 aus dem Meer geborgen und ist heute im Militärhistorischen Museum zu sehen. © Lars Kühl

Für die Chilenen sogar Grund genug, vor Kurzem für einen Beitrag in Dresden zu recherchieren. Mit der Karriere als TV-Star konnte keiner rechnen, als das „Seiner Majestät Schiff, kurz SMS, Dresden“ am 5. Oktober 1907 in Hamburg vom Stapel lief. Getauft wurde der Kleine Kreuzer von Gustav Otto Beutler, damals Oberbürgermeister in Dresden. Nur siebeneinhalb Jahre später sank das Kriegsschiff der Kaiserlichen Marine. Die Umstände des Untergangs sind allerdings so abenteuerlich, dass die SMS Dresden zur Legende wurde. Davon ist außer den Erzählungen allerdings nur noch die gusseiserne Schiffsglocke, rund 150 Kilogramm schwer, geblieben. Der Rest des Kreuzers und seine Geschichte liegen in 65 Metern Tiefe auf dem Meeresboden vor der chilenischen Küste – inzwischen genau 100 Jahre. Als die Fischer am 14. März 1915 auf der heutigen Robinson-Crusoe-Insel ihrem Tagwerk nachgingen, ahnten sie am Morgen noch nicht, was sich in den folgenden Stunden vor ihren Augen ereignen würde.

Die SMS Dresden ankerte dort seit Tagen vor San Juan Bautista. Die Besatzung des Kreuzers hatte harte Monate hinter sich. Eigentlich befand sich das Schiff im August 1914 auf der Heimreise. Kurz nachdem es die Jungferninseln verlassen hatte, empfing Fregattenkapitän Fritz Emil Lüdecke ein Telegramm: „Drohende Kriegsgefahr – nicht heimkehren – Kreuzerkrieg führen!“ Die „Dresden“ machte kehrt und versenkte zwei britische Dampfer sowie einen Frachter. Sie ist entscheidend an der Seeschlacht bei Coronel gegen die Royal Navy beteiligt. Im Überschwang des Sieges verlangt der Kaiser, zusammen mit vier anderen Kreuzern die britische Übersee-Basis auf den Falkland-Inseln zu erobern. Die Deutschen verlieren das Gefecht am 8. Dezember 1914. Nur die „Dresden“ kann entkommen – durch ihren Turbinenantrieb. Danach versteckt sich das Schiff in den Fjorden von Feuerland. Die Versuche, über den Pazifik Richtung Heimat durchzubrechen, misslangen. Vor allem, weil Kohle fehlte. Das Schiff sollte Nachschub erhalten. Doch der britische Panzerkreuzer Kent fing Funksprüche ab und entdeckte die „Dresden“. Die floh mit Höchstfahrt und hatte ihre Verfolger nach fünf Stunden abgehängt. In der Cumberland Bucht fanden die Deutschen einen Unterschlupf.

Dort lagen sie inzwischen seit fünf Tagen. An Bord nur noch 80 Tonnen Kohle, die Maschinen waren durch die Fluchtfahrten nahezu unbrauchbar. Kapitän Lüdecke wollte das Schiff und die Besatzung deshalb internieren lassen. Doch statt der chilenischen Streitkräfte tauchten am Vormittag des 14. März 1915 drei britische Kreuzer auf. Die Neutralität Chiles beachteten sie nicht und schossen sofort auf die wehrlose „Dresden“. Acht Seeleute starben, bevor Waffenstillstandsverhandlungen begannen. Doch die Gespräche blieben erfolglos.

Der Kommandant gab deshalb den Befehl zur Selbstversenkung. Vorher ließ er Sprengladungen anbringen und die Seeventile öffnen. Die über 300 Seeleute sprangen in den kalten Süd-Pazifik, schwammen und paddelten in Beibooten um ihr Leben. Fast alle erreichten das Ufer, während die „Dresden“ hinter ihnen sank.

Die Deutschen betraten Boden, der die Weltliteratur geprägt hatte. 1704 war der Freibeuter Alexander Selkirk nach einem Streit von seinem Kapitän auf der Insel ausgesetzt worden. Über vier Jahre lang musste er dort ausharren. Nach seiner Rückkehr nach England inspirierte seine Geschichte Daniel Defoe, den Roman „Robinson Crusoe“ zu schreiben. Danach erhielt das Eiland später auch seinen Namen.

Das Wrack der „Dresden“ liegt heute immer noch vor der Küste. Zwei gelbe Bojen markieren die Stelle, die Chilenen betrachten es als Denkmal. Inzwischen übt es auf Taucher einen besonderen Reiz aus. Die Schiffsglocke hat ein deutsch-chilenisches Expertenteam 2006 geborgen. Restauriert wurde sie im Archäologischen Landesmuseum Schleswig. In Dresden erzählt die Glocke jetzt hinter Glas ihre Geschichte.