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Dann eben Liberec

Sachsen sieht Zittau nicht als förderwürdigen Ballungsraum. Das will die Stadt nicht hinnehmen – und zusammen mit Liberec Größe zeigen.

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© Robert Michael

Von Thomas Mielke und Petra Laurin

Anne Knüpfer hat etwas bisher Einmaliges erschaffen: eine grenzüberschreitende Landkarte, die Verflechtungen von Zittau mit der benachbarten tschechischen Nachbarmetropole Liberec (Reichenberg) zeigt. Offizielle deutsche und tschechische Karten enden in der Regel an der Landesgrenze und gehen schon gar nicht auf grenzübergreifende Verbindungen ein.

Erstellt hat die junge Frau die Karte in den letzten Monaten als Bachelor-Abschlussarbeit im Studiengang „Kartographie/Geoinformatik“ an der Hochschule für Wirtschaft und Technik Dresden. Die in Zittau geborene und in Bertsdorf-Hörnitz aufgewachsene Studentin, die wohl bald bei einer Firma in Zittau arbeitet, hatte nach einem Thema für die Arbeit gesucht und war über ihren Opa, den ehemaligen Zittauer Wirtschaftsförderer Holger Knüpfer, an die Stadtverwaltung vermittelt worden. Die beauftragte Anne Knüpfer mit einem ersten Schritt für ein ihr sehr wichtiges Thema: dem Nachweis, dass Zittau zum Großraum Liberec gehört – denn dadurch könnten sich große Entwicklungschancen für die Stadt ergeben.

Der Grund dafür, dass sich Zittau in Richtung Liberec wendet, steht im sächsischen Landesentwicklungsplan. Er unterscheidet Sachsen – vereinfacht gesagt – in Ballungszentren und Provinz. Die Ballungszentren sollen bei Wachstum und Entwicklung unterstützt werden. Die Provinz – zu der Zittau gehört – soll nur so weit gestärkt werden, dass die Daseinsvorsorge für die Einwohner nicht abbricht. Hochschulen zum Beispiel sind im Landesentwicklungsplan nur als Ausnahme für die Provinz vorgesehen. Anders sieht es aus, wenn kleinere Städte zu Ballungs- beziehungsweise zu Verdichtungs- oder Agglomerationsräumen einer Großstadt gehören. Dann stehen auch ihnen unter Umständen diese Entwicklungsmöglichkeiten zu.

Im Landesentwicklungsplan ist genau beschrieben, wie so ein Ballungszentrum auszusehen hat. Voraussetzung ist, dass dort mehr als 150 000 Menschen leben. Zudem müssen der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche größer als 11,6 Prozent, die Einwohnerdichte größer als 200 Einwohner je Quadratkilometer und die Siedlungsdichte größer als 2 000 Einwohner je Quadratkilometer sein. Darüber hinaus spielen die Verflechtungen zwischen den Städten im Ballungsraum und andere Faktoren eine Rolle. Vor diesem Hintergrund ist Liberec das einzige Ballungszentrum, in dem Zittau liegen könnte. 150 000 Einwohner leben allein in der tschechischen Großstadt und ihrer Nachbargemeinde Jablonec (Gablonz). Zudem „zeige ich, wie die Städte verknüpft sind, welche Kooperationen es schon gibt und welche Zusammenarbeit“, sagt Anne Knüpfer. So hat sie Städtepartnerschaften und -verbünde, Hochschul- und Kulturkooperationen, aber auch Straßen- und Schienenverbindungen über die Grenze hinweg vermerkt.

Bereits beim ersten Blick auf die Karte der 25-Jährigen ist zu sehen, dass es – sicher historisch bedingt – einen Zusammenhang zwischen Liberec und Zittau gibt. Die Städte sind durch eine Fläche verbunden, auf der deutlich mehr Einwohner leben als im Rest der Region. Dazu gehört auch Bogatynia (Reichenau) in Polen, sodass es sich sogar um einen trinationalen Ballungsraum handeln könnte. Ein Problem dabei: „Wegen der Eingemeindung von großen ländlichen Flächen nach Hradek liegt der im Landesentwicklungsplan festgelegte Einwohnerwert pro Fläche leicht unter den Vorgaben“, sagt Matthias Matthey, Referatsleiter Stadtplanung im Zittauer Rathaus. „Solche Lücken gibt es im Verdichtungsraum Chemnitz aber auch.“

Mehrere der Kriterien müssten Zittau und Liberec erfüllen und weitere Verflechtungen aufbauen, damit auch nur theoretisch die Chance besteht, dass der Freistaat den Ballungsraum anerkennt. Wie der Weg dahin aussieht, könnte eine Studie zeigen, die Zittau und Liberec auf den Weg bringen wollen. 2018 soll sie vorliegen, teilte Rathaussprecher Kai Grebasch mit.

Während sich Zittau von dem gemeinsamen Ballungsraum vor allem mehr Unterstützung aus Dresden erwartet, hat Liberec andere Ziele. „Er hilft den beiden Städten, ihre heutige peripherische Stellung in eine dominante Bedeutung im mitteleuropäischen Raum zu ändern“, heißt es aus dem Rathaus der sechstgrößten tschechischen Stadt. Darüber hinaus hofft Liberec durch die Zusammenarbeit, zusätzliche Projekte von EU finanziert zu bekommen. Da das aber auch schon ohne gemeinsamen Ballungsraum funktioniert, vertiefen beide Städte bereits jetzt ihre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet. Laut Liberec’ Vizebürgermeister Jan Korytar sollen so unter anderem gemeinsame Positionen bei der Wohnungspolitik, der Mobilität, im Umweltschutz, der Kultur, im Marketing und im Fremdenverkehr für den gemeinsamen, grenzübergreifenden Raum erarbeitet werden. Auch der zeitweise Austausch von Rathausmitarbeitern ist vorgesehen.

Wie hoch die Hürden tatsächlich sind, dass Sachsen Zittau irgendwann als Teil des Ballungsraums Liberec anerkennt, zeigt die Sicht des Innenministeriums. „Für eine raumordnerische „Statusänderung“ der Stadt Zittau gibt es keinerlei Veranlassung“, teilt eine Sprecherin auf SZ-Anfrage mit. „Zittau sollte sich auf die Erhaltung und Stärkung seiner Funktion als Mittelzentrum konzentrieren.“ Dass das mit dem Ballungszentrum nichts wird, liegt ihren Aussagen zufolge zum Beispiel daran, dass der Bereich zwischen den Städten zu dünn besiedelt ist und die Verflechtungen noch nicht stark genug ausgeprägt sind.

Zudem werden Agglomerationsräume in Sachsen nur mit hochverdichteten Räumen um Oberzentren in Verbindung gebracht. „In diese Kategorie fallen in Sachsen allenfalls die Kerne der Metropolregion Mitteldeutschland“, so die Sprecherin. Ein absolutes Ausschlusskriterium aber ist, dass der Freistaat Ballungsräume mit Städten in anderen Nationalstaaten nicht anerkennt. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern.

Die Karte finden Sie hier.