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„Daheim bin ich jetzt der Fremde“

Haidar Moustafa verließ den Libanon für ein Leben in Ruhe und Sicherheit. Zuletzt arbeitete er als Neurologe in Pulsnitz.

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© René Plaul

Vor drei Jahren und neun Monaten änderte sich ddas Leben von Haidar Moustafa, als er in Deutschland aus dem Flugzeug stieg. Er kommt aus dem Libanon, doch sein Weg führte ihn in die Helios-Klinik Schloss Pulsnitz. Dort arbeitete er als Arzt in Weiterbildung. Jetzt wechselt er nach Marburg ans Universitätsklinikum. Die SZ sprach mit ihm:

Herr Moustafa, warum sind Sie nach Deutschland gekommen?

Mein Vater hat sich gewünscht, dass ich als Arzt etwas erreiche. Im Libanon ist das schwierig. Also habe ich mich nach meinem Medizinstudium entschieden, im Ausland zu arbeiten. Die Wahl stand zwischen Deutschland und den USA. Und jetzt bin ich hier in Pulsnitz.

Was war Ihr erster Eindruck?

Deutschland ist nicht der Libanon, die Menschen hier sind völlig anders. Wir lachen mehr, fühlen stärker und lieben intensiver. Die Deutschen sind eher kalt und ernst. Sie arbeiten sehr viel – und Kritik üben sie noch mehr, als sie arbeiten. Alles hat seine Ordnung und die Bürokratie ist sehr wichtig. Es war schwer, mit dieser Lebensweise zurecht zu kommen. Ich fühlte mich sehr allein.

Hat sich das mittlerweile gewandelt?

Ja, ich bin angekommen. Ich habe mich an die deutsche Mentalität gewöhnt und mich in meinem Verhalten angepasst. Ich habe ein Leben neben der Arbeit. Und mit Freunden kann ich wieder lachen.

Mussten Sie mit Vorurteilen kämpfen?

Am Anfang war es tatsächlich schwer. Ich war der Ausländer und das habe ich auch gespürt. Die Menschen an der Bushaltestelle haben mich immer angestarrt und getuschelt. Im Bus war ich der Einzige, der jeden Tag von der Polizei kontrolliert wurde. Heute passiert mir das überhaupt nicht mehr. Ich weiß nicht, woran es liegt. Jetzt begegnen mir die Menschen offen und freundlich.

Wie schwierig ist die Sprachbarriere?

Ich spreche fünf Sprachen, aber Deutsch zu lernen, war hart. In den ersten Monaten in Deutschland bekam ich intensiven Deutschunterricht am Goethe-Institut in Dresden. Auch die Fachsprache in der Medizin war schwierig. Hier wird Latein genutzt, in Damaskus haben wir die Begriffe auf Arabisch gelernt. Aber ich spreche Französisch, die Worte ähneln dem Latein, da war es leichter. Heute spreche ich ohne Probleme Deutsch.

Wie kamen Sie nach Pulsnitz?

Zuerst lebte ich in Sebnitz und bin jeden Tag ins Goethe-Institut gefahren, um mein Deutsch zu verbessern. Dort hatte ich eine Freundin, welche in der Medizin arbeitete. Sie zeigte mir diese Stelle in Pulsnitz. Völlig aufgeregt, mit zitternden Knien, aber in meinem überhaupt allerersten Anzug, bin ich zum Vorstellungsgespräch gegangen. Und die Chefin wollte mich tatsächlich einstellen. Ich konnte sofort anfangen. Sie bot mir eine Stelle in der Neurologie an. Eigentlich wollte ich plastischer Chirurg werden, denn Neurologen sind bei uns daheim nicht sehr angesehen. Doch ich habe die Stelle angenommen und damit begann mein Leben in Deutschland. Es war eine gute Entscheidung. Mir macht die Arbeit Spaß und ich möchte jetzt Facharzt der Neurologie werden.

Wie begegnen Ihnen Patienten und Kollegen?

Alle sind freundlich, aber es gibt natürlich auch eine Hierarchie unter den Ärzten. Einen anerkannten Platz musste ich mir als Ausländer erst einmal erarbeiten. Dafür habe ich viel gelernt, um mit meinem Können zu überzeugen. Mit den Patienten ist es leichter, sie sind sehr offen und nett. Ich unterhalte mich viel mit meinen Patienten und höre mir ihre Geschichten an.

Ist die Arbeit in einem deutschen Krankenhaus anders?

Auf jeden Fall. Anfangs war ich sehr erschrocken über die Distanz, welche die Ärzte zu den Patienten haben. Gerade die älteren Patienten sind oft allein. Das ist im Libanon anders, da kommt die ganze Familie zu Besuch, mindestens 40 Menschen. Also unterhielt ich mich mit meinen Patienten vor Ort. Vor allem ein Tumorpatient in meinem Alter wurde mir sehr wichtig. Er kannte mein Land und seine Politik. Oft unterhielten wir uns auf Französisch. Aber als wir gemeinsam Essen waren, bezahlte jeder seine Rechnung getrennt. Das kennt man im Libanon nicht. Dort wird man eingeladen oder lädt selbst ein. Ich habe hier eine gewisse Distanz zu den Patienten erst lernen müssen.

Waren Sie seither wieder im Libanon?

Ja, ich versuche wenigstens einmal im Jahr hinzufliegen. Ich besuche meine Familie und meine Freunde. Es tut gut, sie in meine Arme zu schließen. Aber ich merke, dass ich jetzt der Fremde bin. Ich bin der Deutsche, der die Probleme und Politik im Libanon nicht verstehen kann. Ich bin kein Teil mehr davon, sondern nur ein Gast.

Haben Sie Ihre Heimat verloren?

Im Libanon bin ich der Deutsche, in Deutschland bin ich der Libanese. Ich gehöre nicht direkt dazu. Ich musste erst lernen, mich in dieser Situation zurecht zu finden. Der Ort ist egal. Es zählt für mich nur eins: Ich bin Haidar. Ein Arzt, ein Mensch. Und ich kämpfe darum, auch in der Fremde ich selbst zu bleiben.

Aber Ihr Herz schlägt weiter für den Libanon?

Der Libanon wird mir immer am Herzen liegen. Vor allem sind mir die Menschen wichtig. Es ist ein unruhiges Leben dort. Ich würde gern etwas an den Verhältnissen dort ändern. In Deutschland ist die Lebenssituation besser. Ich möchte die Menschen unterstützen, die sich hier ein neues Leben aufbauen wollen. Es ist eine schwierige Situation, denn auch die Deutschen müssen umdenken. Niemand flieht auf einem Boot aus seinem Land und riskiert das Leben seiner Familie, um hier etwas Spaß zu haben.

Was sind Ihre Ziele für die Zukunft?

Ich arbeitete in Zukunft in Marburg und möchte Facharzt werden. Ich arbeitete hart an mir, denn ich will beweisen, dass ich, der Arzt aus dem Libanon, etwas kann. Irgendwann möchte ich eine eigene Station leiten.

Möchten Sie wieder im Libanon leben?

Heute sage ich nein, aber das kann sich ändern. Derzeit ist es noch zu unruhig im Libanon, ich möchte in Sicherheit und ohne Korruption leben. Momentan ist Deutschland meine Zukunft. Ich liebe Deutschland.

Gespräch: Nadine Franke